Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.Gewöhnlich ist der Chor über dem Haupteingange gegenüber dem Hochaltar Wir gehen nun nach Sättigung des geistigen Menschen dnrch einige Ne¬ Gewöhnlich ist der Chor über dem Haupteingange gegenüber dem Hochaltar Wir gehen nun nach Sättigung des geistigen Menschen dnrch einige Ne¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0271" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/111165"/> <p xml:id="ID_920" prev="#ID_919"> Gewöhnlich ist der Chor über dem Haupteingange gegenüber dem Hochaltar<lb/> angebracht; befindet sich dort wirklich eine Orgel, so ist diese meistens sehr<lb/> klein, alt und verstimmt. Gibt es im Orte auch einen Organisten, so wird<lb/> das Hochamt durch Musik verherrlicht; aber statt unserer herrlichen deutschen<lb/> Kirchenmusik, hört man dann die Orgel fast nur bellinische oder verdische Opern¬<lb/> arien. Walzer. Rutscher und Pvlkamelodieu spielen. Auch eine Militärmusik<lb/> Hörteich in einem Hochamte hinter dem Altar Stücke aus „i lomwräi", „ilei'v-<lb/> vawre«, „I«. Norma", n. vortragen, und grade diese weltliche Begleitung<lb/> des Gottesdienstes zieht die Italiener am wirksamsten zum Besuche an. Nur<lb/> an hohen Festtagen hört man ein Orchester nebst guten Sängern Messen italienischer<lb/> Komponisten aufführen. Der Klingelbeutel ,se fast ganz unbekannt, und eben¬<lb/> sowenig kommen Sammlungen an den Kirchthüren vor.</p><lb/> <p xml:id="ID_921" next="#ID_922"> Wir gehen nun nach Sättigung des geistigen Menschen dnrch einige Ne¬<lb/> benstraßen nach der Osteria, um dort den leiblichen zu Mittag speisen zu lassen.<lb/> Unterwegs haben wir ebenfalls Stoff zu mancherlei Betrachtungen. Dieser<lb/> weniger fashionable Stadttheil ist im Vergleich zum Corso sehr todt und öde.<lb/> Die Straßen sind mit Gras bewachsen, welches zwischen den Pflastersteinen<lb/> empmsprießt. Die Häuser haben keinen so sauberen Abputz wie dort, und vor<lb/> ihnen liegen Haufen Schmutz, Kehricht und Excremente aller Art. Einzelne<lb/> Weiber sitzen strickend oder mit anderen Arbeiten beschäftigt vor ihren Häusern,<lb/> während ihre halbnackten Kinder im Schmutze herumkriechen, sich rauhen oder<lb/> um Kupfermünzen spielen, die sie emporwerfen und rathen lassen, auf welche<lb/> Seite sie fallen werden. Die Seiten der Nebengassen werden oft auch durch<lb/> Gartenmauern gebildet oder durch die Mauern eines Klosterhofcs, über welchen<lb/> einige Feigen oder Cyprcssenoäume, sich nach Außen beugend, hin und wieder<lb/> Nnigou Schalten gewähren. Bisweilen kommen wir um ein größeres Ge¬<lb/> bäude, das an den riesigen Quadersteinen, ans welchen es erbaut ist, und dem<lb/> schönen Portal, durch welches man in dem weiten Hofraum eine Marmor-<lb/> statue oder andere Bildwerke erblickt, sofort als der Palazzo eines Adelöge-<lb/> schlechtes erkannt wird. Das Wappen über dem Portal ist zu schlecht erhalten,<lb/> daß sich der Name des Besitzers ersehen ließe, und so gehen wir hinein<lb/> Und fragen den Custode. der in dem einzigen noch wohl erhaltenen Zimmer<lb/> Parterre wohnt. — Dieser führt uns für ein Trinkgeld in dem ruinenhaften<lb/> Stammschloß des Conte ti X. herum, an dem heute beinahe keine Scheibe mehr<lb/> Mrz. keine Thür mehr verschließbar ist. Der letzte Sproß der Familie lebt<lb/> 'u Venedig oder Rom, und der Custode. welcher schon dem seligen Vater desselben<lb/> Keble-ut hatte, wohnt dort, um den Palast zu verwalten. Er sendet dem<lb/> Conte die Revenüen seiner Campagnen, so wie die des Palastes, welchen er auf<lb/> bestmögliche Weise zu vermiethen sucht. Das ist aber nicht recht gelungen;<lb/> denn die für Menschen unwohnliche Beletage und der zweite Stock dienen als</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0271]
Gewöhnlich ist der Chor über dem Haupteingange gegenüber dem Hochaltar
angebracht; befindet sich dort wirklich eine Orgel, so ist diese meistens sehr
klein, alt und verstimmt. Gibt es im Orte auch einen Organisten, so wird
das Hochamt durch Musik verherrlicht; aber statt unserer herrlichen deutschen
Kirchenmusik, hört man dann die Orgel fast nur bellinische oder verdische Opern¬
arien. Walzer. Rutscher und Pvlkamelodieu spielen. Auch eine Militärmusik
Hörteich in einem Hochamte hinter dem Altar Stücke aus „i lomwräi", „ilei'v-
vawre«, „I«. Norma", n. vortragen, und grade diese weltliche Begleitung
des Gottesdienstes zieht die Italiener am wirksamsten zum Besuche an. Nur
an hohen Festtagen hört man ein Orchester nebst guten Sängern Messen italienischer
Komponisten aufführen. Der Klingelbeutel ,se fast ganz unbekannt, und eben¬
sowenig kommen Sammlungen an den Kirchthüren vor.
Wir gehen nun nach Sättigung des geistigen Menschen dnrch einige Ne¬
benstraßen nach der Osteria, um dort den leiblichen zu Mittag speisen zu lassen.
Unterwegs haben wir ebenfalls Stoff zu mancherlei Betrachtungen. Dieser
weniger fashionable Stadttheil ist im Vergleich zum Corso sehr todt und öde.
Die Straßen sind mit Gras bewachsen, welches zwischen den Pflastersteinen
empmsprießt. Die Häuser haben keinen so sauberen Abputz wie dort, und vor
ihnen liegen Haufen Schmutz, Kehricht und Excremente aller Art. Einzelne
Weiber sitzen strickend oder mit anderen Arbeiten beschäftigt vor ihren Häusern,
während ihre halbnackten Kinder im Schmutze herumkriechen, sich rauhen oder
um Kupfermünzen spielen, die sie emporwerfen und rathen lassen, auf welche
Seite sie fallen werden. Die Seiten der Nebengassen werden oft auch durch
Gartenmauern gebildet oder durch die Mauern eines Klosterhofcs, über welchen
einige Feigen oder Cyprcssenoäume, sich nach Außen beugend, hin und wieder
Nnigou Schalten gewähren. Bisweilen kommen wir um ein größeres Ge¬
bäude, das an den riesigen Quadersteinen, ans welchen es erbaut ist, und dem
schönen Portal, durch welches man in dem weiten Hofraum eine Marmor-
statue oder andere Bildwerke erblickt, sofort als der Palazzo eines Adelöge-
schlechtes erkannt wird. Das Wappen über dem Portal ist zu schlecht erhalten,
daß sich der Name des Besitzers ersehen ließe, und so gehen wir hinein
Und fragen den Custode. der in dem einzigen noch wohl erhaltenen Zimmer
Parterre wohnt. — Dieser führt uns für ein Trinkgeld in dem ruinenhaften
Stammschloß des Conte ti X. herum, an dem heute beinahe keine Scheibe mehr
Mrz. keine Thür mehr verschließbar ist. Der letzte Sproß der Familie lebt
'u Venedig oder Rom, und der Custode. welcher schon dem seligen Vater desselben
Keble-ut hatte, wohnt dort, um den Palast zu verwalten. Er sendet dem
Conte die Revenüen seiner Campagnen, so wie die des Palastes, welchen er auf
bestmögliche Weise zu vermiethen sucht. Das ist aber nicht recht gelungen;
denn die für Menschen unwohnliche Beletage und der zweite Stock dienen als
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Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
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