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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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Das Leben in einer römischen KleinstM.

Das Leben in Rom. Neapel, Florenz und andern großen Städten Italiens ist
uns mehr als hinreichend geschildert worden. Ueber den Charakter der Städte und
Städtchen dagegen, die seitwärts von der großen Straße liegen, weiche der
Tourist zieht, erfährt man in der Regel nichts Genaues, und da es jetzt für
Manchen von Werth sein mag. sich auel, von diesen Kleinstädter eine deutliche
Vorstellung machen zu tonnen, so soll im Nachstellenden der Versuch unternommen
werden, sie aus der Erinnerung zu zeichnen. Der Verfasser hat mehre Jahre
als Soldat des päpstlichen Heeres in solchen Orten in Garnison gelegen, an¬
dere auf Märschen gesehen, und so kann er wol behaupten, daß seine Erfah¬
rung eine gründliche war.

Versetzen wir uns auf eine Landstraße, die nach einer der kleinen Städte
in Umbrien, den Marken oder einem andern Theile des Kirchenstaates führt.
Dieselbe windet sich zwischen schlecht cultivirten. aber dennoch reichlich tragenden
Weizen- und Maisfeldern und Rebengärten hin. Gelegentlich begegnen wir
Gruppen von Olivenbäumen, bisweilen Pflanzungen von Maulbeerbäumen.
Ein eigentlicher Wald ist nirgends zu sehen. Wo die Berge nicht mit Wein-
stöcken oder andern Culturgewächsen bepflanzt sind, tragen sie fast nur niedres
Gestrüpp von Stacheleichen, Pinien. Erdbeerbäumen und ähnlichen Gattungen
südlicher Vegetation. Eben so wenig trifft man Wiesen gleich den deutschen
a". Auf der Straße sehen wir viele Fuhrwerke, seltener Fußgänger und fast
eben so selten Reiter. In seiner eleganten Carozza fährt ein Comte oder Mar-
chese auf sein Landgut, um einmal seine Pächter zu besuchen, deren mancher von
diesen Herren mehre Hunderte Hai. Da und dort kommt uns ein wohlhaben¬
der Bürger in seinem zweirädngen Birrocino entgegen, der von einem mun¬
teren Pferdchen gezogen wird. Bisweilen auch ein Vetturino mit seinem alt¬
modischen schmalspnngen Reisekasten und seinen dürren, traurig abgequälten
Gäulen; häufig ein Bauer mit einem plumpen Karren, dessen Zugthiere, präch-
t'ne großgehörnte Ochsen, an Eisenringen gelenkt werden, die ihnen durch die
N^enlöcher gezogen sind.

Endlich erscheint vor uns die Stadt. Sie ist in der Regel mit alten
Mauern und einem trocknen Graben umgeben, Resten der Zeit, wo man sich
Legen die Einfülle eines herrsch- und raubsüchtigen Adels und den Parteihaß
der Nachbarorte vorzusehen hatte. Dre Mauer mit ihren kleinen Bastionen
und ihren langen Courtincn. die bethürmten Stadtthore sind allenthalben schad¬
haft, und aus den Ritzen sprossen Gras und Schlingpflanzen hervor, die den un
Graben weidenden Ziegen zum Futter dienen.


Das Leben in einer römischen KleinstM.

Das Leben in Rom. Neapel, Florenz und andern großen Städten Italiens ist
uns mehr als hinreichend geschildert worden. Ueber den Charakter der Städte und
Städtchen dagegen, die seitwärts von der großen Straße liegen, weiche der
Tourist zieht, erfährt man in der Regel nichts Genaues, und da es jetzt für
Manchen von Werth sein mag. sich auel, von diesen Kleinstädter eine deutliche
Vorstellung machen zu tonnen, so soll im Nachstellenden der Versuch unternommen
werden, sie aus der Erinnerung zu zeichnen. Der Verfasser hat mehre Jahre
als Soldat des päpstlichen Heeres in solchen Orten in Garnison gelegen, an¬
dere auf Märschen gesehen, und so kann er wol behaupten, daß seine Erfah¬
rung eine gründliche war.

Versetzen wir uns auf eine Landstraße, die nach einer der kleinen Städte
in Umbrien, den Marken oder einem andern Theile des Kirchenstaates führt.
Dieselbe windet sich zwischen schlecht cultivirten. aber dennoch reichlich tragenden
Weizen- und Maisfeldern und Rebengärten hin. Gelegentlich begegnen wir
Gruppen von Olivenbäumen, bisweilen Pflanzungen von Maulbeerbäumen.
Ein eigentlicher Wald ist nirgends zu sehen. Wo die Berge nicht mit Wein-
stöcken oder andern Culturgewächsen bepflanzt sind, tragen sie fast nur niedres
Gestrüpp von Stacheleichen, Pinien. Erdbeerbäumen und ähnlichen Gattungen
südlicher Vegetation. Eben so wenig trifft man Wiesen gleich den deutschen
a». Auf der Straße sehen wir viele Fuhrwerke, seltener Fußgänger und fast
eben so selten Reiter. In seiner eleganten Carozza fährt ein Comte oder Mar-
chese auf sein Landgut, um einmal seine Pächter zu besuchen, deren mancher von
diesen Herren mehre Hunderte Hai. Da und dort kommt uns ein wohlhaben¬
der Bürger in seinem zweirädngen Birrocino entgegen, der von einem mun¬
teren Pferdchen gezogen wird. Bisweilen auch ein Vetturino mit seinem alt¬
modischen schmalspnngen Reisekasten und seinen dürren, traurig abgequälten
Gäulen; häufig ein Bauer mit einem plumpen Karren, dessen Zugthiere, präch-
t'ne großgehörnte Ochsen, an Eisenringen gelenkt werden, die ihnen durch die
N^enlöcher gezogen sind.

Endlich erscheint vor uns die Stadt. Sie ist in der Regel mit alten
Mauern und einem trocknen Graben umgeben, Resten der Zeit, wo man sich
Legen die Einfülle eines herrsch- und raubsüchtigen Adels und den Parteihaß
der Nachbarorte vorzusehen hatte. Dre Mauer mit ihren kleinen Bastionen
und ihren langen Courtincn. die bethürmten Stadtthore sind allenthalben schad¬
haft, und aus den Ritzen sprossen Gras und Schlingpflanzen hervor, die den un
Graben weidenden Ziegen zum Futter dienen.


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[0265] Das Leben in einer römischen KleinstM. Das Leben in Rom. Neapel, Florenz und andern großen Städten Italiens ist uns mehr als hinreichend geschildert worden. Ueber den Charakter der Städte und Städtchen dagegen, die seitwärts von der großen Straße liegen, weiche der Tourist zieht, erfährt man in der Regel nichts Genaues, und da es jetzt für Manchen von Werth sein mag. sich auel, von diesen Kleinstädter eine deutliche Vorstellung machen zu tonnen, so soll im Nachstellenden der Versuch unternommen werden, sie aus der Erinnerung zu zeichnen. Der Verfasser hat mehre Jahre als Soldat des päpstlichen Heeres in solchen Orten in Garnison gelegen, an¬ dere auf Märschen gesehen, und so kann er wol behaupten, daß seine Erfah¬ rung eine gründliche war. Versetzen wir uns auf eine Landstraße, die nach einer der kleinen Städte in Umbrien, den Marken oder einem andern Theile des Kirchenstaates führt. Dieselbe windet sich zwischen schlecht cultivirten. aber dennoch reichlich tragenden Weizen- und Maisfeldern und Rebengärten hin. Gelegentlich begegnen wir Gruppen von Olivenbäumen, bisweilen Pflanzungen von Maulbeerbäumen. Ein eigentlicher Wald ist nirgends zu sehen. Wo die Berge nicht mit Wein- stöcken oder andern Culturgewächsen bepflanzt sind, tragen sie fast nur niedres Gestrüpp von Stacheleichen, Pinien. Erdbeerbäumen und ähnlichen Gattungen südlicher Vegetation. Eben so wenig trifft man Wiesen gleich den deutschen a». Auf der Straße sehen wir viele Fuhrwerke, seltener Fußgänger und fast eben so selten Reiter. In seiner eleganten Carozza fährt ein Comte oder Mar- chese auf sein Landgut, um einmal seine Pächter zu besuchen, deren mancher von diesen Herren mehre Hunderte Hai. Da und dort kommt uns ein wohlhaben¬ der Bürger in seinem zweirädngen Birrocino entgegen, der von einem mun¬ teren Pferdchen gezogen wird. Bisweilen auch ein Vetturino mit seinem alt¬ modischen schmalspnngen Reisekasten und seinen dürren, traurig abgequälten Gäulen; häufig ein Bauer mit einem plumpen Karren, dessen Zugthiere, präch- t'ne großgehörnte Ochsen, an Eisenringen gelenkt werden, die ihnen durch die N^enlöcher gezogen sind. Endlich erscheint vor uns die Stadt. Sie ist in der Regel mit alten Mauern und einem trocknen Graben umgeben, Resten der Zeit, wo man sich Legen die Einfülle eines herrsch- und raubsüchtigen Adels und den Parteihaß der Nachbarorte vorzusehen hatte. Dre Mauer mit ihren kleinen Bastionen und ihren langen Courtincn. die bethürmten Stadtthore sind allenthalben schad¬ haft, und aus den Ritzen sprossen Gras und Schlingpflanzen hervor, die den un Graben weidenden Ziegen zum Futter dienen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/265>, abgerufen am 15.01.2025.