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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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eine Probe zu geben. -- Dies find die äußern Verhältnisse; sehen wir uns nun
die innern Wandlungen an. Wir beschränken uns auf die beiden Bände, die uns
vorliegen. -- Die alte Geschichte hat seit dem halben Jahrhundert, welches nach dem
ersten Erscheinen dieses Werks verflossen ist, einen ganz außerordentlichen Aufschwung
genommen. Durch nähere Kenntniß der Localität, durch Ausgrabung zahlreicher
Monumente haben die todten Namen und Zahlen unseres früheren Wissens wenig¬
stens his zu einer gewissen Grenze Farbe und Leben gewonnen. Die vergleichende
Sprachwissenschaft hat uns von der Verwandtschaft der Völker und ihren Wand¬
lungen eine Ahnung gegeben. Die erweiterte Naturkunde hat uns von vielen Vor-
urtheilen befreit, und selbst die Philosophie der Geschichte, obgleich sie auch zu
manchen Irrungen Veranlassung gegeben, hat unsern Blick für die Individualität
der Völker und der Culturperiodcn geschärft. Becker hatte diesen Theil der Geschichte
ganz eigentlich für Kinder geschrieben, er hatte in sehr anmuthiger Naivetät
Sagen, Mährchen und wirkliche Begebenheiten durch einander gemischt; von einer
Benutzung kritischer Forschungen war bei ihm keine Rede. Der neue Herausgeber
dagegen hat versucht sich auf die Höhe der Wissenschaft zu stellen, wobei ihm Dun-
ckers Geschichte des Alterthums ein sehr zweckmäßiges Hilfsmittel gewesen ist. Ueber-
haupt hat Duukers Werk noch immer nicht soviel Anerkennung gefunden als es
verdient. Wenn man erwägt, wie sehr die Einzelforschungcn sich verzettelt haben,
so wird man das Talent und die Umsicht Dunckers nicht hoch genng schätzen können,
aus diesem Wust ein anschauliches Gemälde für das gebildete Publicum zusammen"
gestellt zu haben. -- Der jüngere Bearbeiter hat sich sein Werk dadurch erschwert,
daß er neben seinen gelehrten undHzum^Theil philosophischen Ercurscn auch die ursprünglich
naive Darstellung Beckers beibehalten hat. Freilich war es nicht ganz zu umgehn,
wenn man den ursprünglichen Charakter des Werks nicht ganz und gar aufgeben
wollte, und wenn die verschiedenen Elemente nicht ganz miteinander versöhnt si"d,
so ist doch mit vielem Geschick von einem zum andern der Uebergang gefunden-
Für die große Masse des Publicums ist das Buch eine sehr nützliche Lectüre, und
der Werth desselben wird dadurch nicht beeinträchtigt, daß es zugleich unterhaltend
ist. -- Eine andere Schwierigkeit hatte der Herausgeber der neueren Geschichte z"
überwinden. Menzels Auffassung war im hohen Grade conservativ und gehörte einer
politischen Richtung an, deren weitere Verbreitung im Volt man nicht wünschen
konnte. Hier war es nöthig von der älteren Bearbeitung ganz abzusehn, und
ist denn der 14. Band über die französische Revolution eine völlig selbständige Ar¬
beit, die der Richtung des gemäßigten Liberalismus angehört. Mitunter hätten w>r
die Darstellung etwas knapper und lebendiger gewünscht, sie ist aber verständig u"d
sachgemäß. -- Indem wir dem Werk, das schon so viel Gutes gestiftet hat, el"c
Fortdauer bis zur Säcularfeier wünschen, behalten wir uns vor auf die weiteren
Lieferungen gelegentlich zurückzukommen. --




Verantwortlicher Redacteur: Dr. Morip Busch.
Verlag von F. L. Herbig -- Druck von C. E. Elbert >n Leipzig.

eine Probe zu geben. — Dies find die äußern Verhältnisse; sehen wir uns nun
die innern Wandlungen an. Wir beschränken uns auf die beiden Bände, die uns
vorliegen. — Die alte Geschichte hat seit dem halben Jahrhundert, welches nach dem
ersten Erscheinen dieses Werks verflossen ist, einen ganz außerordentlichen Aufschwung
genommen. Durch nähere Kenntniß der Localität, durch Ausgrabung zahlreicher
Monumente haben die todten Namen und Zahlen unseres früheren Wissens wenig¬
stens his zu einer gewissen Grenze Farbe und Leben gewonnen. Die vergleichende
Sprachwissenschaft hat uns von der Verwandtschaft der Völker und ihren Wand¬
lungen eine Ahnung gegeben. Die erweiterte Naturkunde hat uns von vielen Vor-
urtheilen befreit, und selbst die Philosophie der Geschichte, obgleich sie auch zu
manchen Irrungen Veranlassung gegeben, hat unsern Blick für die Individualität
der Völker und der Culturperiodcn geschärft. Becker hatte diesen Theil der Geschichte
ganz eigentlich für Kinder geschrieben, er hatte in sehr anmuthiger Naivetät
Sagen, Mährchen und wirkliche Begebenheiten durch einander gemischt; von einer
Benutzung kritischer Forschungen war bei ihm keine Rede. Der neue Herausgeber
dagegen hat versucht sich auf die Höhe der Wissenschaft zu stellen, wobei ihm Dun-
ckers Geschichte des Alterthums ein sehr zweckmäßiges Hilfsmittel gewesen ist. Ueber-
haupt hat Duukers Werk noch immer nicht soviel Anerkennung gefunden als es
verdient. Wenn man erwägt, wie sehr die Einzelforschungcn sich verzettelt haben,
so wird man das Talent und die Umsicht Dunckers nicht hoch genng schätzen können,
aus diesem Wust ein anschauliches Gemälde für das gebildete Publicum zusammen»
gestellt zu haben. — Der jüngere Bearbeiter hat sich sein Werk dadurch erschwert,
daß er neben seinen gelehrten undHzum^Theil philosophischen Ercurscn auch die ursprünglich
naive Darstellung Beckers beibehalten hat. Freilich war es nicht ganz zu umgehn,
wenn man den ursprünglichen Charakter des Werks nicht ganz und gar aufgeben
wollte, und wenn die verschiedenen Elemente nicht ganz miteinander versöhnt si»d,
so ist doch mit vielem Geschick von einem zum andern der Uebergang gefunden-
Für die große Masse des Publicums ist das Buch eine sehr nützliche Lectüre, und
der Werth desselben wird dadurch nicht beeinträchtigt, daß es zugleich unterhaltend
ist. — Eine andere Schwierigkeit hatte der Herausgeber der neueren Geschichte z»
überwinden. Menzels Auffassung war im hohen Grade conservativ und gehörte einer
politischen Richtung an, deren weitere Verbreitung im Volt man nicht wünschen
konnte. Hier war es nöthig von der älteren Bearbeitung ganz abzusehn, und
ist denn der 14. Band über die französische Revolution eine völlig selbständige Ar¬
beit, die der Richtung des gemäßigten Liberalismus angehört. Mitunter hätten w>r
die Darstellung etwas knapper und lebendiger gewünscht, sie ist aber verständig u»d
sachgemäß. — Indem wir dem Werk, das schon so viel Gutes gestiftet hat, el»c
Fortdauer bis zur Säcularfeier wünschen, behalten wir uns vor auf die weiteren
Lieferungen gelegentlich zurückzukommen. —




Verantwortlicher Redacteur: Dr. Morip Busch.
Verlag von F. L. Herbig — Druck von C. E. Elbert >n Leipzig.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/250>, abgerufen am 22.07.2024.