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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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sitzen, oder auch eine besondere Einrichtung für die Stadt Venedig, ähnlich
wie Trieft,.zugeben könne; er empfahl vorzugsweise die zweite Combination,
die Lombardei und Venetien als zwei besondere Staaten, und fügte hinzu,
daß den constitutionellen Freiheiten eine auf die ausgedehnteste Selbstverwal¬
tung gegründete Gemeindeverfassung als Unterlage gegeben werden solle; ja
selbst die Grundrechte der östreichischen Reichsverfassung sollten den Italienern
zu Theil werden, immerhin mit solchen Modificationen. welche dein Geiste der
Nation entsprechen, hauptsächlich in Bezug auf die Unabhängigkeit und die
Suprematie der katholischen Kirche. Den Werth dieser Mittheilungen schwächte
Herr v. Brück durch die Erklärung ab, daß sie keineswegs Vorschläge enthielten,
sondern lediglich "Vorschwebungcn" (clös iclees), die wir auch in Deutschland
zur Genüge haben kennen und schätzen lernen. Die Versammlung der Re¬
präsentanten in Venedig wünschte einen bestimmten Bertrag und ermächtigte
die Regierung, darüber mit Herrn v. Brück zu verhandeln. Dabei zeigt sich
sofort, daß es auf reine Ucberlistung abgesehen war. Herr v. Brück legte
Entwürfe eines Landesstatuts vor, welches nur bei localen Interessen eine Mit¬
wirkung der Vertretung zuließ, den einer Gemeindeordnung, endlich eines
Manifestes, welches im Falle der Sanction des Statuts durch den Kaiser von
dem Handelsminister veröffentlicht werden sollte. Das Manifest deutete die
Grundzüge des Statuts an und stellte die Genehmigung desselben in Aus¬
sicht. -- Ueber diese Eröffnungen schritt die Versammlung in Venedig zur
Tagesordnung. Ais im August 1849 Venedig aufs Aeußerste gebracht war.
wendete sich Mamin abermals an Herrn v. Brück (11. August) und erklärte
sich zu Unterhandlungen über einen Vertrag bereit. Es war zu spät; H. v.
Brück antwortete dem Advocaten Mamin. es gebe keine andere Bedingung
mehr als unbedingte Unterwerfung; die "Vorschwebungen," die Aussichten auf
künftige Sanction von Verfassungsentwürfen hatten ein Ende. Venedig mußte
sich ergeben, und Oestreich glaubte die Lombardei und Venetien wieder erobert
zu haben.

Zehn Jahre nach der Uebergabe Venedigs waren noch nicht verflossen,
da war die Lombardei für Oestreich militärisch verloren und die Präliminarien
von Villafranca hatten die Abtretung an Frankreich, mittelbar an Piemont,
stipulirt. Der Züricher Friede sanctionirte die Präliminarien; aber ihm folg¬
ten die Erhebungen und die Annexionen in den Herzogthümern, im Kirchen¬
staate, in beiden Sicilien. Für nächstes Frühjahr hat Garibaldi den Angriff
gegen Oestreich in Venetien angekündigt und er ist der Mann, dessen Thaten
hinter seinen Worten nicht zurückbleiben. Piemont wird gleichzeitig oder in
kurzem Zwischenraume folgen müssen und es ist nicht wahrscheinlich, daß dieser
Krieg abermals "localisirt" werden kann.

Die Diplomatie sucht ein Mittel, um dem Kriege vorzubeugen. Sie sin-


sitzen, oder auch eine besondere Einrichtung für die Stadt Venedig, ähnlich
wie Trieft,.zugeben könne; er empfahl vorzugsweise die zweite Combination,
die Lombardei und Venetien als zwei besondere Staaten, und fügte hinzu,
daß den constitutionellen Freiheiten eine auf die ausgedehnteste Selbstverwal¬
tung gegründete Gemeindeverfassung als Unterlage gegeben werden solle; ja
selbst die Grundrechte der östreichischen Reichsverfassung sollten den Italienern
zu Theil werden, immerhin mit solchen Modificationen. welche dein Geiste der
Nation entsprechen, hauptsächlich in Bezug auf die Unabhängigkeit und die
Suprematie der katholischen Kirche. Den Werth dieser Mittheilungen schwächte
Herr v. Brück durch die Erklärung ab, daß sie keineswegs Vorschläge enthielten,
sondern lediglich „Vorschwebungcn" (clös iclees), die wir auch in Deutschland
zur Genüge haben kennen und schätzen lernen. Die Versammlung der Re¬
präsentanten in Venedig wünschte einen bestimmten Bertrag und ermächtigte
die Regierung, darüber mit Herrn v. Brück zu verhandeln. Dabei zeigt sich
sofort, daß es auf reine Ucberlistung abgesehen war. Herr v. Brück legte
Entwürfe eines Landesstatuts vor, welches nur bei localen Interessen eine Mit¬
wirkung der Vertretung zuließ, den einer Gemeindeordnung, endlich eines
Manifestes, welches im Falle der Sanction des Statuts durch den Kaiser von
dem Handelsminister veröffentlicht werden sollte. Das Manifest deutete die
Grundzüge des Statuts an und stellte die Genehmigung desselben in Aus¬
sicht. — Ueber diese Eröffnungen schritt die Versammlung in Venedig zur
Tagesordnung. Ais im August 1849 Venedig aufs Aeußerste gebracht war.
wendete sich Mamin abermals an Herrn v. Brück (11. August) und erklärte
sich zu Unterhandlungen über einen Vertrag bereit. Es war zu spät; H. v.
Brück antwortete dem Advocaten Mamin. es gebe keine andere Bedingung
mehr als unbedingte Unterwerfung; die „Vorschwebungen," die Aussichten auf
künftige Sanction von Verfassungsentwürfen hatten ein Ende. Venedig mußte
sich ergeben, und Oestreich glaubte die Lombardei und Venetien wieder erobert
zu haben.

Zehn Jahre nach der Uebergabe Venedigs waren noch nicht verflossen,
da war die Lombardei für Oestreich militärisch verloren und die Präliminarien
von Villafranca hatten die Abtretung an Frankreich, mittelbar an Piemont,
stipulirt. Der Züricher Friede sanctionirte die Präliminarien; aber ihm folg¬
ten die Erhebungen und die Annexionen in den Herzogthümern, im Kirchen¬
staate, in beiden Sicilien. Für nächstes Frühjahr hat Garibaldi den Angriff
gegen Oestreich in Venetien angekündigt und er ist der Mann, dessen Thaten
hinter seinen Worten nicht zurückbleiben. Piemont wird gleichzeitig oder in
kurzem Zwischenraume folgen müssen und es ist nicht wahrscheinlich, daß dieser
Krieg abermals „localisirt" werden kann.

Die Diplomatie sucht ein Mittel, um dem Kriege vorzubeugen. Sie sin-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/24>, abgerufen am 15.01.2025.