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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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die Christen nicht einschritten. Wenn sie jetzt gegen jene zu Felde zieht,
so geschieht dies einestheils, weil Europa dies verlangt, anderntlieils
aber paßt es sehr gut in ihre Politik. Nachdem die Mcironiten, die freilich
auch nichts weniger als unschuldig waren, durch die von. den Vertretern 'des
Sultans unterstützten Drusen auf lange Jahre geschwächt sind, kann die Pforte
jetzt unter dem Vorwand. gerechte Strafe verhängen zu müssen, auch die
Drusen sich unschädlich machen.

Unter den bisherigen Verhältnissen mußten namentlich im Hauran, die
Macht der Drusen und ihre Anzahl von Jahr zu Jahr wachsen. Ihre Glau¬
bensgenossen eilten zu ihnen aus allen Gegenden, wo sie bedrängt waren.
Christen und Mohammedaner verloren durch sie immermehr von ihren Be¬
sitzungen in der Ebne, und das Gebirge sammelte immer größeren Reichthum.
Wo die Drusen nicht mit Gewalt durchdringen, bedienen sie sich der Schlau¬
heit und Verstellung. Sie verstehen sich vor allen übrigen Bewohnern Sy¬
riens aus schone Redewendungen und edles Auftreten, sowie auf die Kunst,
sich Andere geneigt zu machen und sie für ihre Zwecke zu gewinnen. Wer
sich mit ihnen verbindet, oder zu ihnen seine Zuflucht nimmt, dem lassen sie
keinen Schaden geschehen, und ost hat ein Druse, um den Adel seines Stam¬
mes zu bewahren, seines fremden Freundes wegen die eigenen Verwandten ge-
tödtet. Sie sind im Allgemeinen tapfere Leute, aber nur in den Tagen des
Glückes und der Macht; in den Zeiten der Unterdrückung zeigten sie sich um
so unterwürfiger und ertrugen Gewaltthätigkett und Verachtung wie kein An¬
derer. Aber trotzdem, daß die Christen unter ihnen im Allgemeinen tapferer
und mannhafter sind als sie, unterlagen sie doch in den meisten Fällen, theils
weil die Regierung den Drusen Beistand leistete, theils weil die Scheichs aus
deren Mitte waren; nur unter der Negierung Emir Beschirs aus der Familie
Schehab, der den Drusen niemals half, zogen diese stets den Kürzeren, auch
wenn sie an Zahl überlegen waren.

In früherer Zeit bestrebten sie sich, die Mohammedaner dadurch zufrie¬
den zu stellen, daß sie sich für ihre Glaubensgenossen ausgaben und unter
anderen Beweisen dafür alljährlich Leute aus ihrer Mitte für Lohn mit der
Pilgerkarawane nach Mekka ziehen ließen. Noch unter der jetzigen Generation
bemühte sich der Drusenscheich Beschir Dschunbalctt. Vater des noch heute im
Libanon lebenden Scheich Said, dadurch die Herrschaft zu erlangen, daß er
sich als Anhänger des Islam geberdete. Er erbaute in seiner Residenz, dem Fle¬
cken El Müchtare, eine Moschee mit Minaret, hielt sich einen mohammedanischen
Imam und einen Muezzin und ließ die Drusen der Nachbarschaft die fünf täg¬
lichen Gebete sowie das Freitagsgebet verrichten. Dann überredete er einen
thörichten Jüngling "aus der fürstlichen Familie der Schehabiden, den Emir
Hasar, seinen Vater und seinen Oheim zu ermorden und vorzugehen, er habe


Gniijl'öde" I. 1861. 23

die Christen nicht einschritten. Wenn sie jetzt gegen jene zu Felde zieht,
so geschieht dies einestheils, weil Europa dies verlangt, anderntlieils
aber paßt es sehr gut in ihre Politik. Nachdem die Mcironiten, die freilich
auch nichts weniger als unschuldig waren, durch die von. den Vertretern 'des
Sultans unterstützten Drusen auf lange Jahre geschwächt sind, kann die Pforte
jetzt unter dem Vorwand. gerechte Strafe verhängen zu müssen, auch die
Drusen sich unschädlich machen.

Unter den bisherigen Verhältnissen mußten namentlich im Hauran, die
Macht der Drusen und ihre Anzahl von Jahr zu Jahr wachsen. Ihre Glau¬
bensgenossen eilten zu ihnen aus allen Gegenden, wo sie bedrängt waren.
Christen und Mohammedaner verloren durch sie immermehr von ihren Be¬
sitzungen in der Ebne, und das Gebirge sammelte immer größeren Reichthum.
Wo die Drusen nicht mit Gewalt durchdringen, bedienen sie sich der Schlau¬
heit und Verstellung. Sie verstehen sich vor allen übrigen Bewohnern Sy¬
riens aus schone Redewendungen und edles Auftreten, sowie auf die Kunst,
sich Andere geneigt zu machen und sie für ihre Zwecke zu gewinnen. Wer
sich mit ihnen verbindet, oder zu ihnen seine Zuflucht nimmt, dem lassen sie
keinen Schaden geschehen, und ost hat ein Druse, um den Adel seines Stam¬
mes zu bewahren, seines fremden Freundes wegen die eigenen Verwandten ge-
tödtet. Sie sind im Allgemeinen tapfere Leute, aber nur in den Tagen des
Glückes und der Macht; in den Zeiten der Unterdrückung zeigten sie sich um
so unterwürfiger und ertrugen Gewaltthätigkett und Verachtung wie kein An¬
derer. Aber trotzdem, daß die Christen unter ihnen im Allgemeinen tapferer
und mannhafter sind als sie, unterlagen sie doch in den meisten Fällen, theils
weil die Regierung den Drusen Beistand leistete, theils weil die Scheichs aus
deren Mitte waren; nur unter der Negierung Emir Beschirs aus der Familie
Schehab, der den Drusen niemals half, zogen diese stets den Kürzeren, auch
wenn sie an Zahl überlegen waren.

In früherer Zeit bestrebten sie sich, die Mohammedaner dadurch zufrie¬
den zu stellen, daß sie sich für ihre Glaubensgenossen ausgaben und unter
anderen Beweisen dafür alljährlich Leute aus ihrer Mitte für Lohn mit der
Pilgerkarawane nach Mekka ziehen ließen. Noch unter der jetzigen Generation
bemühte sich der Drusenscheich Beschir Dschunbalctt. Vater des noch heute im
Libanon lebenden Scheich Said, dadurch die Herrschaft zu erlangen, daß er
sich als Anhänger des Islam geberdete. Er erbaute in seiner Residenz, dem Fle¬
cken El Müchtare, eine Moschee mit Minaret, hielt sich einen mohammedanischen
Imam und einen Muezzin und ließ die Drusen der Nachbarschaft die fünf täg¬
lichen Gebete sowie das Freitagsgebet verrichten. Dann überredete er einen
thörichten Jüngling "aus der fürstlichen Familie der Schehabiden, den Emir
Hasar, seinen Vater und seinen Oheim zu ermorden und vorzugehen, er habe


Gniijl'öde» I. 1861. 23
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/187>, abgerufen am 26.08.2024.