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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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alten Systeme Vertrauten oft in Verlegenheit kommen, wird wissen, was die
Folge davon sein muß.

Die Berufung Venet.elf nach Italien hat allerdings große Freude erregt,
aber dieser brave General wird sehr viel zu thun haben, um nur das. was
seine Vorgänger verdorben haben, wieder in das rechte Geleise zu bringen.
Der Generalstab, welcher unbeschadet der Verdienste einiger seiner Mitglieder
im letzten Kriege zu vielfältigen Klagen Veranlassung gegeben hat, ist seither
auch nicht besser eingerichtet worden. Auch das Adjutantencorps, dessen blo¬
ßes Dasein schon ein Uebelstand war. wurde erst vor einigen Tagen aufgelöst
und gab bis zu diesem Augenblicke seine von der Hofluft durchdrungenen Mit¬
glieder als Offiziere höheren Ranges zu den verschiedenen Truppen der Linie ab.

Diese Uebelstände erkennt setzt mehr oder minder selbst der gemeine Mann
und ist darüber unzufrieden. So ist bei den Truppen, welche gegenwärtig nach
Italien geschickt werden, nicht eine Spur jener Begeisterung zu finden, welche
1859 die östreichischen Soldaten erfüllte. Still und ernst rücken die Leute
auf die Bahnhöfe ab und auch nicht ein Jubelruf erfüllt bei der Ankunft oder
Abfahrt eines Militärtrains die Luft. Selbst die Offiziere unterlassen es, die
Mannschaften zum Vivatrusen aufzumuntern, was früher fast jederzeit geschah.

Man scheint dieses aber auch zu wissen und jeder unangenehm berühren¬
den Kundgebung ausweichen zu wollen, da die Truppen meist in kleineren
Transporten und ohne Aufsehen befördert werden und sich bei ihrer Ankunft
oder Abfahrt fast niemals eine höher gestellte Persönlichkeit einfindet. Sonst
wurden die Soldaten bei derlei Anlässen fast immer durch einen General, oft
auch durch einen Erzherzog empfangen oder begleitet. Selbst Offiziere hörte
man es offen aussprechen, daß sie sich freuen würden, wenn ihr Regiment
uicht nach Italien geschickt würde.

So ist denn auch jetzt fast überall nur Unzufriedenheit und Gleichgiltig'
keit zu finden. Alles hegt nur einen Wunsch, den Wunsch nach einer Abände¬
rung der gegenwärtigen Verhältnisse, gleichviel aus welche Weise dieselbe herbei¬
geführt wird. Ein Gefühl der Niedergeschlagenheit lähmt die Thatkraft selbst
der entschlossensten Männer des Heeres. Auch darf man es nicht übersehen,
daß die nationale Agitation unter den nichtdeutschen Truppen, besonders nnter
den Ungarn und Südslawen viele Anhänger gefunden und die Zahl der Un¬
zufriedenen vermehrt hat.

Endlich drückt auch die durch die Entwerthung des östreichischen Papier-
geldes entstandene Theuerung die Gemüther nieder und der im Venetianischen
Angeführte Zwangscours der Banknoten lastet weniger auf der Bevölkerung,
als auf dem Beamten und Soldaten.

Kommt es also zum Kriege, so wird man zwar nicht wie in Neapel den
Abfall ganzer Regimenter erleben, außer man wäre unvorsichtig genug, niber-


alten Systeme Vertrauten oft in Verlegenheit kommen, wird wissen, was die
Folge davon sein muß.

Die Berufung Venet.elf nach Italien hat allerdings große Freude erregt,
aber dieser brave General wird sehr viel zu thun haben, um nur das. was
seine Vorgänger verdorben haben, wieder in das rechte Geleise zu bringen.
Der Generalstab, welcher unbeschadet der Verdienste einiger seiner Mitglieder
im letzten Kriege zu vielfältigen Klagen Veranlassung gegeben hat, ist seither
auch nicht besser eingerichtet worden. Auch das Adjutantencorps, dessen blo¬
ßes Dasein schon ein Uebelstand war. wurde erst vor einigen Tagen aufgelöst
und gab bis zu diesem Augenblicke seine von der Hofluft durchdrungenen Mit¬
glieder als Offiziere höheren Ranges zu den verschiedenen Truppen der Linie ab.

Diese Uebelstände erkennt setzt mehr oder minder selbst der gemeine Mann
und ist darüber unzufrieden. So ist bei den Truppen, welche gegenwärtig nach
Italien geschickt werden, nicht eine Spur jener Begeisterung zu finden, welche
1859 die östreichischen Soldaten erfüllte. Still und ernst rücken die Leute
auf die Bahnhöfe ab und auch nicht ein Jubelruf erfüllt bei der Ankunft oder
Abfahrt eines Militärtrains die Luft. Selbst die Offiziere unterlassen es, die
Mannschaften zum Vivatrusen aufzumuntern, was früher fast jederzeit geschah.

Man scheint dieses aber auch zu wissen und jeder unangenehm berühren¬
den Kundgebung ausweichen zu wollen, da die Truppen meist in kleineren
Transporten und ohne Aufsehen befördert werden und sich bei ihrer Ankunft
oder Abfahrt fast niemals eine höher gestellte Persönlichkeit einfindet. Sonst
wurden die Soldaten bei derlei Anlässen fast immer durch einen General, oft
auch durch einen Erzherzog empfangen oder begleitet. Selbst Offiziere hörte
man es offen aussprechen, daß sie sich freuen würden, wenn ihr Regiment
uicht nach Italien geschickt würde.

So ist denn auch jetzt fast überall nur Unzufriedenheit und Gleichgiltig'
keit zu finden. Alles hegt nur einen Wunsch, den Wunsch nach einer Abände¬
rung der gegenwärtigen Verhältnisse, gleichviel aus welche Weise dieselbe herbei¬
geführt wird. Ein Gefühl der Niedergeschlagenheit lähmt die Thatkraft selbst
der entschlossensten Männer des Heeres. Auch darf man es nicht übersehen,
daß die nationale Agitation unter den nichtdeutschen Truppen, besonders nnter
den Ungarn und Südslawen viele Anhänger gefunden und die Zahl der Un¬
zufriedenen vermehrt hat.

Endlich drückt auch die durch die Entwerthung des östreichischen Papier-
geldes entstandene Theuerung die Gemüther nieder und der im Venetianischen
Angeführte Zwangscours der Banknoten lastet weniger auf der Bevölkerung,
als auf dem Beamten und Soldaten.

Kommt es also zum Kriege, so wird man zwar nicht wie in Neapel den
Abfall ganzer Regimenter erleben, außer man wäre unvorsichtig genug, niber-


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[0183] alten Systeme Vertrauten oft in Verlegenheit kommen, wird wissen, was die Folge davon sein muß. Die Berufung Venet.elf nach Italien hat allerdings große Freude erregt, aber dieser brave General wird sehr viel zu thun haben, um nur das. was seine Vorgänger verdorben haben, wieder in das rechte Geleise zu bringen. Der Generalstab, welcher unbeschadet der Verdienste einiger seiner Mitglieder im letzten Kriege zu vielfältigen Klagen Veranlassung gegeben hat, ist seither auch nicht besser eingerichtet worden. Auch das Adjutantencorps, dessen blo¬ ßes Dasein schon ein Uebelstand war. wurde erst vor einigen Tagen aufgelöst und gab bis zu diesem Augenblicke seine von der Hofluft durchdrungenen Mit¬ glieder als Offiziere höheren Ranges zu den verschiedenen Truppen der Linie ab. Diese Uebelstände erkennt setzt mehr oder minder selbst der gemeine Mann und ist darüber unzufrieden. So ist bei den Truppen, welche gegenwärtig nach Italien geschickt werden, nicht eine Spur jener Begeisterung zu finden, welche 1859 die östreichischen Soldaten erfüllte. Still und ernst rücken die Leute auf die Bahnhöfe ab und auch nicht ein Jubelruf erfüllt bei der Ankunft oder Abfahrt eines Militärtrains die Luft. Selbst die Offiziere unterlassen es, die Mannschaften zum Vivatrusen aufzumuntern, was früher fast jederzeit geschah. Man scheint dieses aber auch zu wissen und jeder unangenehm berühren¬ den Kundgebung ausweichen zu wollen, da die Truppen meist in kleineren Transporten und ohne Aufsehen befördert werden und sich bei ihrer Ankunft oder Abfahrt fast niemals eine höher gestellte Persönlichkeit einfindet. Sonst wurden die Soldaten bei derlei Anlässen fast immer durch einen General, oft auch durch einen Erzherzog empfangen oder begleitet. Selbst Offiziere hörte man es offen aussprechen, daß sie sich freuen würden, wenn ihr Regiment uicht nach Italien geschickt würde. So ist denn auch jetzt fast überall nur Unzufriedenheit und Gleichgiltig' keit zu finden. Alles hegt nur einen Wunsch, den Wunsch nach einer Abände¬ rung der gegenwärtigen Verhältnisse, gleichviel aus welche Weise dieselbe herbei¬ geführt wird. Ein Gefühl der Niedergeschlagenheit lähmt die Thatkraft selbst der entschlossensten Männer des Heeres. Auch darf man es nicht übersehen, daß die nationale Agitation unter den nichtdeutschen Truppen, besonders nnter den Ungarn und Südslawen viele Anhänger gefunden und die Zahl der Un¬ zufriedenen vermehrt hat. Endlich drückt auch die durch die Entwerthung des östreichischen Papier- geldes entstandene Theuerung die Gemüther nieder und der im Venetianischen Angeführte Zwangscours der Banknoten lastet weniger auf der Bevölkerung, als auf dem Beamten und Soldaten. Kommt es also zum Kriege, so wird man zwar nicht wie in Neapel den Abfall ganzer Regimenter erleben, außer man wäre unvorsichtig genug, niber-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/183>, abgerufen am 26.08.2024.