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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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erfüllt! Sehr bald erfuhren die Regierenden in Venedig, daß die Cabinete
nicht daran dachten, dieses Gebiet Oestreich zu nehmen, und daß ihre Ideen
ungefähr auf das hinausliefen, was 1859 in Villafranca und Zürich verab¬
redet worden ist. In Lastide erkannten die Agenten Marius einen auf¬
richtigen Republikaner (im übrigen fanden sie das republikanische Frankreich
"monarchischer als je"), welcher deshalb von einem Königreich Oberitalien
nichts wissen wollte; allein auch er wollte und konnte die Anerkennung der
Republik Venedig nicht durchsetzen, auch kein Bündniß mit Carl Albert schlie¬
ßen, ja er ließ zuerst das Wort "Vermittlung" fallen, welches spater die Opfer
und den Todeskampf Venedigs nutzlos erschwert hat. Die Berichte bestätigen,
daß die französischen Minister im Sommer 1848 in dem Glauben an die Er¬
hebung Deutschlands zu einer Nation zu hoher Achtung vor seiner Macht sich
bekannten, wie denn Lamartine auf der Tribune erklärte: Frankreich müsse um
jeden Preis die Freundschaft und die Allianz der Deutschen suchen. Von Arago
wird berichtet, er habe eine entsetzliche Angst vor Oestreich und treibe keine
andere Politik wie Guizot. Krieg wollten sie alle nicht, sie fühlten sich dnrch
die Mahnungen der Italiener an die Erfüllung ihrer Zusagen gelangweilt,
und Cavaigncic speiste Einen mit den Worten ab: "Es gibt Unmöglichkeiten
in der Welt, und eine Unmöglichkeit ist es, daß die Oestreicher in Italien
bleiben." Ohne die französische Nachhilfe wäre das Wort nicht einmal bis
zum Mincio wahr geworden. Rothschild -- der Pariser -- hatte einen an¬
dern Gedanken. Er sagte dem venetianischen Abgesandten Tommaseo: Frank¬
reich werde bestimmt keinen Krieg führen; aber Oestreich werde sich schließlich
(su Zormörv kaat^se) mit Geld abfinden lassen und die Venetianer könnten
sich mit Oestreich besser verständigen als mit jedem Ander"; man könne aus
Venedig eine freie Stadt machen und aus dem übrigen Lande ein Königreich
wie Ungarn mit einem östreichischen Prinzen an der Spitze. -- Der Wiener
Rothschild ließ durch seinen Geschäftsmann bei der Saline in Venedig, Astruc,
dem Präsidenten Mamin officiös sagen: wenn er mit dem östreichischen Cabi-
net direct in Unterhandlung treten und ihm (Rothschild) nach Wien schreiben
wolle, so würde man für diesen Schritt erkenntlich sein und sich entgegen¬
kommend zeigen. -- Mamin verstand den Wink, aber er verlangte, daß Oest¬
reich zuerst seine Truppen zurückziehe und dann seine Geldforderungen stelle.
So ließ sich die Sache nicht weiter verfolgen, aber wir halten es nicht für
unmöglich, daß eine Idee, welcher Rothschild 1848 in Wien Gehör verschaffte,
im Jahr 1861 mehr Anklayg finden könne. Die Franzosen fuhren fort, mit
dem unglücklichen Venedig zu spielen. Ende August sagte Cavaignac zu dem
Abgesandten Mengaldo: "Frankreich hat Oestreich seine Vermittlung zu einem
Abkommen auf der Grundlage der Unabhängigkeit Italiens angeboten, wei¬
gert sich Oestreich, so besetzen wir Venedig und es gibt Krieg; ja gewiß, es


erfüllt! Sehr bald erfuhren die Regierenden in Venedig, daß die Cabinete
nicht daran dachten, dieses Gebiet Oestreich zu nehmen, und daß ihre Ideen
ungefähr auf das hinausliefen, was 1859 in Villafranca und Zürich verab¬
redet worden ist. In Lastide erkannten die Agenten Marius einen auf¬
richtigen Republikaner (im übrigen fanden sie das republikanische Frankreich
„monarchischer als je"), welcher deshalb von einem Königreich Oberitalien
nichts wissen wollte; allein auch er wollte und konnte die Anerkennung der
Republik Venedig nicht durchsetzen, auch kein Bündniß mit Carl Albert schlie¬
ßen, ja er ließ zuerst das Wort „Vermittlung" fallen, welches spater die Opfer
und den Todeskampf Venedigs nutzlos erschwert hat. Die Berichte bestätigen,
daß die französischen Minister im Sommer 1848 in dem Glauben an die Er¬
hebung Deutschlands zu einer Nation zu hoher Achtung vor seiner Macht sich
bekannten, wie denn Lamartine auf der Tribune erklärte: Frankreich müsse um
jeden Preis die Freundschaft und die Allianz der Deutschen suchen. Von Arago
wird berichtet, er habe eine entsetzliche Angst vor Oestreich und treibe keine
andere Politik wie Guizot. Krieg wollten sie alle nicht, sie fühlten sich dnrch
die Mahnungen der Italiener an die Erfüllung ihrer Zusagen gelangweilt,
und Cavaigncic speiste Einen mit den Worten ab: „Es gibt Unmöglichkeiten
in der Welt, und eine Unmöglichkeit ist es, daß die Oestreicher in Italien
bleiben." Ohne die französische Nachhilfe wäre das Wort nicht einmal bis
zum Mincio wahr geworden. Rothschild — der Pariser — hatte einen an¬
dern Gedanken. Er sagte dem venetianischen Abgesandten Tommaseo: Frank¬
reich werde bestimmt keinen Krieg führen; aber Oestreich werde sich schließlich
(su Zormörv kaat^se) mit Geld abfinden lassen und die Venetianer könnten
sich mit Oestreich besser verständigen als mit jedem Ander»; man könne aus
Venedig eine freie Stadt machen und aus dem übrigen Lande ein Königreich
wie Ungarn mit einem östreichischen Prinzen an der Spitze. — Der Wiener
Rothschild ließ durch seinen Geschäftsmann bei der Saline in Venedig, Astruc,
dem Präsidenten Mamin officiös sagen: wenn er mit dem östreichischen Cabi-
net direct in Unterhandlung treten und ihm (Rothschild) nach Wien schreiben
wolle, so würde man für diesen Schritt erkenntlich sein und sich entgegen¬
kommend zeigen. — Mamin verstand den Wink, aber er verlangte, daß Oest¬
reich zuerst seine Truppen zurückziehe und dann seine Geldforderungen stelle.
So ließ sich die Sache nicht weiter verfolgen, aber wir halten es nicht für
unmöglich, daß eine Idee, welcher Rothschild 1848 in Wien Gehör verschaffte,
im Jahr 1861 mehr Anklayg finden könne. Die Franzosen fuhren fort, mit
dem unglücklichen Venedig zu spielen. Ende August sagte Cavaignac zu dem
Abgesandten Mengaldo: „Frankreich hat Oestreich seine Vermittlung zu einem
Abkommen auf der Grundlage der Unabhängigkeit Italiens angeboten, wei¬
gert sich Oestreich, so besetzen wir Venedig und es gibt Krieg; ja gewiß, es


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/16>, abgerufen am 23.07.2024.