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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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und nur wegen eines Vergehens von Hamza auf einige Zeit in den Zustand
der Unwissenden verseht wurde. Ueberhaupt sind alle, welche in diesem Leben
Unglück haben, arm, gebrechlich, blind u. s. w. sind, darin Büßer für Sün¬
den in einem frühern Leben, und umgekehrt alle Reichen, Klugen und Mäch¬
tigen Empfänger der Belohnungen, die sie sich in einer vorhergehenden Da-
scinsepoche verdient haben. Indeß geht nur der, dem die Wissenden bei
seinem Tode seine Tugend bezeugen, im Glück aus dem Leben, und deshalb
versammeln sich die Wissenden, wenn einer stirbt, an dem Grabe, gehen seine
Vergangenheit durch und urtheilen, ob er der Gnade würdig oder nicht.

Das Evangelium und der Koran gelten den Drusen bis zu einem ge¬
wissen Grad als Glaubensnorm. Sie nehmen an, daß Hamza unter dem
Namen Jessu bei Jsa (dem falschen Jesus) und unter dem Namen Selman
bei Mohammed war und mit seinen vier Gefährten (den Evangelisten) das
neue Testament, mit Mekdad, Abudsarr, Ammar und Nedschaschi den Koran
schrieb. Später aber sei jenes wie dieser verfälscht worden, sodaß nur wenige
Sätze noch die Wahrheit enthalten und es auch bei diesem der Interpretation
bedürfe, um sie zu finden. Welcher Art die drusische Exegese ist, mögen einige
Beispiele zeigen. Die Frage der Apostel, ob der Blinde seine Blindheit der
eignen Sünde oder der seiner Eltern verdanke, beweist, da jener blind geboren
war, daß er vor diesem Leben gesündigt haben konnte, und damit lehrt das
Evangelium die Seelenwanderung. Dieß wird auch dadurch bestätigt, daß
der Messias (d. i. Hamza als Jessu) im Matthäusevangelium sagt "Johannes
ist Elias", welches.bedeutet, Johannes ist die mit einem andern Körper be¬
kleidete Seele des Propheten Elias. Ferner deuten sie den Spruch: "Hütet
euch vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen, in¬
wendig aber sind sie reißende Wölfe" auf die christlichen Mönche und Geist¬
lichen, die schafwollnc Kleider tragen. Sodann erklären sie die Stelle im
Koran, wo es heißt: "Siehe, Wein, Loose, Bilderund Wcissagungspfeile sind
ein Gräuel von den Werken des Satans, daher vermeidet solche" dahin, daß
mit jenen vier Gegenständen die erwähnten vier Nachfolger Mohammeds:
Abu Bekr, Omar. Othman und Ali gemeint seien. Endlich kommen im Ko¬
ran häufig die Worte vor "das Schlechte und das Mißfällige", und damit
sind nach drusischer Jnterpretirkunst wieder Abu Bekr und Omar bezeichnet.

Man wirst den Drusen vor, daß sie das Kalb anbeten, den Ehebruch er¬
lauben, die Ehe eines Mannes mit seiner Schwester oder Tochter gestatten.
Dieß alles erklärt unser Berichterstatter für Mißverständniß oder Erdichtung-
Das Kalb ist den Drusen der Nadel. der sprechende Geist der Finsterniß. Die
Ehe ist bei ihnen erst im vierten Grade gestattet, d. h. mit der Tochter des
Oheims oder der Tante. Jene falsche Anklage rührt von den in mehren ihrer
Lehren von den Rechten der Gattin vorkommenden metaphorisch zu nehmen-


und nur wegen eines Vergehens von Hamza auf einige Zeit in den Zustand
der Unwissenden verseht wurde. Ueberhaupt sind alle, welche in diesem Leben
Unglück haben, arm, gebrechlich, blind u. s. w. sind, darin Büßer für Sün¬
den in einem frühern Leben, und umgekehrt alle Reichen, Klugen und Mäch¬
tigen Empfänger der Belohnungen, die sie sich in einer vorhergehenden Da-
scinsepoche verdient haben. Indeß geht nur der, dem die Wissenden bei
seinem Tode seine Tugend bezeugen, im Glück aus dem Leben, und deshalb
versammeln sich die Wissenden, wenn einer stirbt, an dem Grabe, gehen seine
Vergangenheit durch und urtheilen, ob er der Gnade würdig oder nicht.

Das Evangelium und der Koran gelten den Drusen bis zu einem ge¬
wissen Grad als Glaubensnorm. Sie nehmen an, daß Hamza unter dem
Namen Jessu bei Jsa (dem falschen Jesus) und unter dem Namen Selman
bei Mohammed war und mit seinen vier Gefährten (den Evangelisten) das
neue Testament, mit Mekdad, Abudsarr, Ammar und Nedschaschi den Koran
schrieb. Später aber sei jenes wie dieser verfälscht worden, sodaß nur wenige
Sätze noch die Wahrheit enthalten und es auch bei diesem der Interpretation
bedürfe, um sie zu finden. Welcher Art die drusische Exegese ist, mögen einige
Beispiele zeigen. Die Frage der Apostel, ob der Blinde seine Blindheit der
eignen Sünde oder der seiner Eltern verdanke, beweist, da jener blind geboren
war, daß er vor diesem Leben gesündigt haben konnte, und damit lehrt das
Evangelium die Seelenwanderung. Dieß wird auch dadurch bestätigt, daß
der Messias (d. i. Hamza als Jessu) im Matthäusevangelium sagt „Johannes
ist Elias", welches.bedeutet, Johannes ist die mit einem andern Körper be¬
kleidete Seele des Propheten Elias. Ferner deuten sie den Spruch: „Hütet
euch vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen, in¬
wendig aber sind sie reißende Wölfe" auf die christlichen Mönche und Geist¬
lichen, die schafwollnc Kleider tragen. Sodann erklären sie die Stelle im
Koran, wo es heißt: „Siehe, Wein, Loose, Bilderund Wcissagungspfeile sind
ein Gräuel von den Werken des Satans, daher vermeidet solche" dahin, daß
mit jenen vier Gegenständen die erwähnten vier Nachfolger Mohammeds:
Abu Bekr, Omar. Othman und Ali gemeint seien. Endlich kommen im Ko¬
ran häufig die Worte vor „das Schlechte und das Mißfällige", und damit
sind nach drusischer Jnterpretirkunst wieder Abu Bekr und Omar bezeichnet.

Man wirst den Drusen vor, daß sie das Kalb anbeten, den Ehebruch er¬
lauben, die Ehe eines Mannes mit seiner Schwester oder Tochter gestatten.
Dieß alles erklärt unser Berichterstatter für Mißverständniß oder Erdichtung-
Das Kalb ist den Drusen der Nadel. der sprechende Geist der Finsterniß. Die
Ehe ist bei ihnen erst im vierten Grade gestattet, d. h. mit der Tochter des
Oheims oder der Tante. Jene falsche Anklage rührt von den in mehren ihrer
Lehren von den Rechten der Gattin vorkommenden metaphorisch zu nehmen-


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[0158] und nur wegen eines Vergehens von Hamza auf einige Zeit in den Zustand der Unwissenden verseht wurde. Ueberhaupt sind alle, welche in diesem Leben Unglück haben, arm, gebrechlich, blind u. s. w. sind, darin Büßer für Sün¬ den in einem frühern Leben, und umgekehrt alle Reichen, Klugen und Mäch¬ tigen Empfänger der Belohnungen, die sie sich in einer vorhergehenden Da- scinsepoche verdient haben. Indeß geht nur der, dem die Wissenden bei seinem Tode seine Tugend bezeugen, im Glück aus dem Leben, und deshalb versammeln sich die Wissenden, wenn einer stirbt, an dem Grabe, gehen seine Vergangenheit durch und urtheilen, ob er der Gnade würdig oder nicht. Das Evangelium und der Koran gelten den Drusen bis zu einem ge¬ wissen Grad als Glaubensnorm. Sie nehmen an, daß Hamza unter dem Namen Jessu bei Jsa (dem falschen Jesus) und unter dem Namen Selman bei Mohammed war und mit seinen vier Gefährten (den Evangelisten) das neue Testament, mit Mekdad, Abudsarr, Ammar und Nedschaschi den Koran schrieb. Später aber sei jenes wie dieser verfälscht worden, sodaß nur wenige Sätze noch die Wahrheit enthalten und es auch bei diesem der Interpretation bedürfe, um sie zu finden. Welcher Art die drusische Exegese ist, mögen einige Beispiele zeigen. Die Frage der Apostel, ob der Blinde seine Blindheit der eignen Sünde oder der seiner Eltern verdanke, beweist, da jener blind geboren war, daß er vor diesem Leben gesündigt haben konnte, und damit lehrt das Evangelium die Seelenwanderung. Dieß wird auch dadurch bestätigt, daß der Messias (d. i. Hamza als Jessu) im Matthäusevangelium sagt „Johannes ist Elias", welches.bedeutet, Johannes ist die mit einem andern Körper be¬ kleidete Seele des Propheten Elias. Ferner deuten sie den Spruch: „Hütet euch vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen, in¬ wendig aber sind sie reißende Wölfe" auf die christlichen Mönche und Geist¬ lichen, die schafwollnc Kleider tragen. Sodann erklären sie die Stelle im Koran, wo es heißt: „Siehe, Wein, Loose, Bilderund Wcissagungspfeile sind ein Gräuel von den Werken des Satans, daher vermeidet solche" dahin, daß mit jenen vier Gegenständen die erwähnten vier Nachfolger Mohammeds: Abu Bekr, Omar. Othman und Ali gemeint seien. Endlich kommen im Ko¬ ran häufig die Worte vor „das Schlechte und das Mißfällige", und damit sind nach drusischer Jnterpretirkunst wieder Abu Bekr und Omar bezeichnet. Man wirst den Drusen vor, daß sie das Kalb anbeten, den Ehebruch er¬ lauben, die Ehe eines Mannes mit seiner Schwester oder Tochter gestatten. Dieß alles erklärt unser Berichterstatter für Mißverständniß oder Erdichtung- Das Kalb ist den Drusen der Nadel. der sprechende Geist der Finsterniß. Die Ehe ist bei ihnen erst im vierten Grade gestattet, d. h. mit der Tochter des Oheims oder der Tante. Jene falsche Anklage rührt von den in mehren ihrer Lehren von den Rechten der Gattin vorkommenden metaphorisch zu nehmen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/158>, abgerufen am 27.08.2024.