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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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jemand sein Kind, so sagt er "Steen un Been lau klagen", lobt es jemand
ohne "Gottlob " hinzuzufügen, so spricht der Vater für sich "Unverropen",
nennt er es ein Ding, so antwortet er, "Keen Ding, Gott sie Dank!" --
sonst wächst es nicht. Solche Regeln umgeben das Volksleben wie ein Zaun,
der den Garten vor Schaden bewahrt, so lange er keine Lücke hat. Dafür
muß der Mensch sorgen: er muß alle Gebräuche dieser Art im Gedächtniß
haben und befolgen; denn "wo de Tun am siedstcn is, dar is am lindester
äwerstiegen."

Die Sprache des Mecklenburgers ist reich an Kraftausdrücken, wißigen
Schlagworten und kernfrischcr Satire. Dagegen hört man ihn bei Weitem
nicht so viel fluchen wie den Süddeutschen und seinen Nachbar, den Holstci-
"er, der in diesem Gebiet ebenfalls Bedeutendes leistet. Man hört allerdings,
namentlich unter jüngern Leuten, Zorn oder Ungeduld sich in einem Fluch Luft
machen, aber man bleibt damit doch in den niedern Regionen, bei "Dunner-
werer", "Dummer um Hagel" oder "Düwel Stab", während die südlicher woh¬
nenden Deutschen mit ihren Anrufungen nicht hoch genug steigen können. Im
Allgemeinen schwerfällig und langsam, ist der Mecklenburger auch nicht leicht
in Harnisch zu bringen, aber einmal in die Hitze gejagt, ist der stille gelassene
Mann nicht wieder zu erkennen. In Berserkerwuth schlägt er mit der Zunge
und den Fäusten blindlings.um sich, schäumt und tobt und greift sogar nicht
selten zum Messer.

Ziemlich allgemein ist, wie allenthalben unter wenig cultivirten Völkern,
ein gutes Gedächtniß, und es gibt nicht wenige, welche die eben gehörte
Predigt fast wörtlich wiederholen können. Auch das musikalische Gedächtniß
ist durchschnittlich sehr stark. Das Volk übt sich neue Melodien leicht ein und
spielt sie dann entweder auf der sehr verbreiteten Harmonika nach oder pfeift
ste auf dem einfachern Instrumente, das jeder in seinen Lippen mit sich her¬
umträgt. An stillen Sommerabenden, wenn die Burschen und Mädchen auf
den Steinen vor der Hofthür sitzen, geht die Harmonika von Hand zu Hand,
und jeder trägt sein Leiblied mit großer Gewandtheit vor. Besonders beliebt
>It das Lied vom meernmschlungnen Schleswig-Holstein. welches nicht nur
spitzig gespielt und gepfiffen, sondern auch -- bei Erntebieren und andern
"Kosten" leidenschaftlich getanzt wird.

In jedem Dorfe finden sich Personen, welche aus eignem Antriebe und
oft ohne Unterricht ein Instrument spielen lernen, ja der Verfasser unsrer
^christ kennt solche, die sich ihre Geige selbst verfertigten. Der vierzehnjäh¬
rige Bube beginnt damit, daß er den Baß streicht, und bringt sich dann all-
wahlig bis zur Violine empor. Ein Künstler wird er zwar nicht, doch lernt
er genug, um bei ländlichen Festlichkeiten zur Erhöhung des Vergnügens beitra¬
gen zu können. Bei dieser Neigung zur Musik ist es zu verwundern, daß das


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jemand sein Kind, so sagt er „Steen un Been lau klagen", lobt es jemand
ohne „Gottlob " hinzuzufügen, so spricht der Vater für sich „Unverropen",
nennt er es ein Ding, so antwortet er, „Keen Ding, Gott sie Dank!" —
sonst wächst es nicht. Solche Regeln umgeben das Volksleben wie ein Zaun,
der den Garten vor Schaden bewahrt, so lange er keine Lücke hat. Dafür
muß der Mensch sorgen: er muß alle Gebräuche dieser Art im Gedächtniß
haben und befolgen; denn „wo de Tun am siedstcn is, dar is am lindester
äwerstiegen."

Die Sprache des Mecklenburgers ist reich an Kraftausdrücken, wißigen
Schlagworten und kernfrischcr Satire. Dagegen hört man ihn bei Weitem
nicht so viel fluchen wie den Süddeutschen und seinen Nachbar, den Holstci-
»er, der in diesem Gebiet ebenfalls Bedeutendes leistet. Man hört allerdings,
namentlich unter jüngern Leuten, Zorn oder Ungeduld sich in einem Fluch Luft
machen, aber man bleibt damit doch in den niedern Regionen, bei „Dunner-
werer", „Dummer um Hagel" oder „Düwel Stab", während die südlicher woh¬
nenden Deutschen mit ihren Anrufungen nicht hoch genug steigen können. Im
Allgemeinen schwerfällig und langsam, ist der Mecklenburger auch nicht leicht
in Harnisch zu bringen, aber einmal in die Hitze gejagt, ist der stille gelassene
Mann nicht wieder zu erkennen. In Berserkerwuth schlägt er mit der Zunge
und den Fäusten blindlings.um sich, schäumt und tobt und greift sogar nicht
selten zum Messer.

Ziemlich allgemein ist, wie allenthalben unter wenig cultivirten Völkern,
ein gutes Gedächtniß, und es gibt nicht wenige, welche die eben gehörte
Predigt fast wörtlich wiederholen können. Auch das musikalische Gedächtniß
ist durchschnittlich sehr stark. Das Volk übt sich neue Melodien leicht ein und
spielt sie dann entweder auf der sehr verbreiteten Harmonika nach oder pfeift
ste auf dem einfachern Instrumente, das jeder in seinen Lippen mit sich her¬
umträgt. An stillen Sommerabenden, wenn die Burschen und Mädchen auf
den Steinen vor der Hofthür sitzen, geht die Harmonika von Hand zu Hand,
und jeder trägt sein Leiblied mit großer Gewandtheit vor. Besonders beliebt
>It das Lied vom meernmschlungnen Schleswig-Holstein. welches nicht nur
spitzig gespielt und gepfiffen, sondern auch — bei Erntebieren und andern
"Kosten" leidenschaftlich getanzt wird.

In jedem Dorfe finden sich Personen, welche aus eignem Antriebe und
oft ohne Unterricht ein Instrument spielen lernen, ja der Verfasser unsrer
^christ kennt solche, die sich ihre Geige selbst verfertigten. Der vierzehnjäh¬
rige Bube beginnt damit, daß er den Baß streicht, und bringt sich dann all-
wahlig bis zur Violine empor. Ein Künstler wird er zwar nicht, doch lernt
er genug, um bei ländlichen Festlichkeiten zur Erhöhung des Vergnügens beitra¬
gen zu können. Bei dieser Neigung zur Musik ist es zu verwundern, daß das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/149>, abgerufen am 26.08.2024.