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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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Niemals ein Mann eitler Worte, jetzt verschlossener als je, freiwillig auf den
Kreis der Treuen sich einschränkend, mußte er sich es wol gefallen lassen, daß
ihn Thoren bald für zusammengebrochen, bald für abgestumpft erklärten. Wer
ihm näher stand, konnte über solche Meinungen nur lächeln. Das Alter
hatte ihn wol in der Bewegung schwerfälliger gemacht, seinen Rücken beim
Gange ein wenig gebeugt. Aber der Kopfschmuck, das reiche schwarze Haar,
war ihm in jugendlicher Frische geblieben. Und so hatte er sich auch Kopf
und Herz jugendlich frisch und empfänglich erhalten. Wer ihn sah, als die
Kunde von Wilhelm Grimms plötzlichem Ableben eintraf, wie er beinahe den
eignen Schmerz in der zärtlichen Sorge für Jakob vergaß, wer Zeuge war,
wie ihn alles Gute, was einem Freunde wiederfuhr, bis in das innerste Herz
hinein erfrischte, wer sich noch des wahrhaftigen Tones erinnert, mit dem er
seine theilnehmende Freude zu äußern pflegte, wer ihn in seiner stillen Be¬
hausung kannte, immer wohlwollend, immer seine eigne Person bescheiden in
den Hintergrund schiebend, unter wenigen guten Freunden zu gutmüthigem
Scherze, zu harmlosen Necken stets aufgelegt, der konnte nimmermehr zu¬
geben, daß Dahlmann alt geworden war. Das Gold seiner Freundschaft
verschwendete er nicht. Es wäre ja nicht das reine Gold geblieben, hätte er
es jedem, der an ihm vorüberging, bereitwillig zugeworfen. Wem er es schenkte,
der bewahrte es als seinen köstlichsten Schatz. Wenn wir Dahlmann entgegen¬
raten, da war es uns, als müßten wir ihm die innersten Herzensgedankcn
offenbaren, sein Vertrauen löste alle Hüllen, seine Wahrheitsliebe forderte zu
gleicher Aufrichtigkeit auf. Und wenn wir von ihm gingen, immer hatte er
uns etwas, was uns freute, tröstete, erhob, auf den Weg mitzugeben. Sein
Trost war stets wirksam, sein Rath stets bewährt, Alles rein, lauter und un¬
persönlich, und von seiner Nebenrücksicht bestimmt. Zur Fortsetzung seiner
literarischen Thätigkeit war er nicht zu bewegen. Wenn man ihn zur Heraus¬
gabe seiner deutschen Geschichte drängte, antwortete er: den Weg aus der
Vergangenheit heraus darf ich nicht weisen, und wenn ich dies nicht kann,
hat das Werk keinen Werth für mich. Doch verfolgte er mit emsigen Fleiße
den Gang der Wissenschaft, betrachtete mit gespannter Aufmerksamkeit alle
politischen Ereignisse. Seinem alten Grundsatze getreu, das Wissen mit den
lebendigen Interessen zu verknüpfen, wählte er gern für seine Vorlesungen
Gegenstände, die mit dem, was die Welt grade bewegte, in einem gewissen Zu¬
sammenhang standen. So las er, als der orientalische Krieg tobte, die Ge¬
schichte Rußlands seit Peter dem Großen, so hatte er noch in diesem Winter,
wol im Hinblick auf den Zustand Deutschlands, die Geschichte Friedrichs des
Großen zu erzählen begonnen. Auch in seinen Vorlesungen über deutsche Ge¬
schichte verweilte er in den letzten Jahren gern und ausführlich bei den Er¬
eignissen, deren Zeuge er selbst gewesen war.


Niemals ein Mann eitler Worte, jetzt verschlossener als je, freiwillig auf den
Kreis der Treuen sich einschränkend, mußte er sich es wol gefallen lassen, daß
ihn Thoren bald für zusammengebrochen, bald für abgestumpft erklärten. Wer
ihm näher stand, konnte über solche Meinungen nur lächeln. Das Alter
hatte ihn wol in der Bewegung schwerfälliger gemacht, seinen Rücken beim
Gange ein wenig gebeugt. Aber der Kopfschmuck, das reiche schwarze Haar,
war ihm in jugendlicher Frische geblieben. Und so hatte er sich auch Kopf
und Herz jugendlich frisch und empfänglich erhalten. Wer ihn sah, als die
Kunde von Wilhelm Grimms plötzlichem Ableben eintraf, wie er beinahe den
eignen Schmerz in der zärtlichen Sorge für Jakob vergaß, wer Zeuge war,
wie ihn alles Gute, was einem Freunde wiederfuhr, bis in das innerste Herz
hinein erfrischte, wer sich noch des wahrhaftigen Tones erinnert, mit dem er
seine theilnehmende Freude zu äußern pflegte, wer ihn in seiner stillen Be¬
hausung kannte, immer wohlwollend, immer seine eigne Person bescheiden in
den Hintergrund schiebend, unter wenigen guten Freunden zu gutmüthigem
Scherze, zu harmlosen Necken stets aufgelegt, der konnte nimmermehr zu¬
geben, daß Dahlmann alt geworden war. Das Gold seiner Freundschaft
verschwendete er nicht. Es wäre ja nicht das reine Gold geblieben, hätte er
es jedem, der an ihm vorüberging, bereitwillig zugeworfen. Wem er es schenkte,
der bewahrte es als seinen köstlichsten Schatz. Wenn wir Dahlmann entgegen¬
raten, da war es uns, als müßten wir ihm die innersten Herzensgedankcn
offenbaren, sein Vertrauen löste alle Hüllen, seine Wahrheitsliebe forderte zu
gleicher Aufrichtigkeit auf. Und wenn wir von ihm gingen, immer hatte er
uns etwas, was uns freute, tröstete, erhob, auf den Weg mitzugeben. Sein
Trost war stets wirksam, sein Rath stets bewährt, Alles rein, lauter und un¬
persönlich, und von seiner Nebenrücksicht bestimmt. Zur Fortsetzung seiner
literarischen Thätigkeit war er nicht zu bewegen. Wenn man ihn zur Heraus¬
gabe seiner deutschen Geschichte drängte, antwortete er: den Weg aus der
Vergangenheit heraus darf ich nicht weisen, und wenn ich dies nicht kann,
hat das Werk keinen Werth für mich. Doch verfolgte er mit emsigen Fleiße
den Gang der Wissenschaft, betrachtete mit gespannter Aufmerksamkeit alle
politischen Ereignisse. Seinem alten Grundsatze getreu, das Wissen mit den
lebendigen Interessen zu verknüpfen, wählte er gern für seine Vorlesungen
Gegenstände, die mit dem, was die Welt grade bewegte, in einem gewissen Zu¬
sammenhang standen. So las er, als der orientalische Krieg tobte, die Ge¬
schichte Rußlands seit Peter dem Großen, so hatte er noch in diesem Winter,
wol im Hinblick auf den Zustand Deutschlands, die Geschichte Friedrichs des
Großen zu erzählen begonnen. Auch in seinen Vorlesungen über deutsche Ge¬
schichte verweilte er in den letzten Jahren gern und ausführlich bei den Er¬
eignissen, deren Zeuge er selbst gewesen war.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/142>, abgerufen am 23.07.2024.