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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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hob. wie er gewöhnlich zu thun pslcgie. wenn ihm etwas Unerwartetes vor¬
kam, den einen Arm zweifelnd in die Höhe, und während er den Freund gut¬
müthig lächelnd von der Seite ansah, antwortete er: "Ja, wenn nur das
Manuscript schon vorhanden wäre." Es wurde später glücklicher Weise doch
das Manuscript zusammengestellt und das Buch gedruckt, das sich in wenigen
Monaten ganz Deutschland eroberte und auf die politische Bildung des Vol¬
kes den mächtigsten Einfluß übte. Wir betonen nicht, daß es in Berlin zum
guten Tone gehörte, das Buch gelesen zu haben, dieses Schicksal haben auch
schlechte Bücher erfahren; wir heben nicht hervor, daß dasselbe, wie überhaupt
, die ganze Thätigkeit, die Dahlmann entwickelte, in den ministeriellen Kreisen
übel vermerkt wurde. Was konnte man vom Ministerium Eichhorn anders
erwarten. Ergötzlicher ist es zu vernehmen, dos; der verstorbene Butan, als
er das Buch gelesen hatte, mit seiner bekannten schlauen Miene ausrief: Noch
ein solches Buch, und Dahlmanns Ruf ist verloren! War die Befriedigung
gerecht, wenn der Blick Dahlmanns in die Vergangenheit sich versenkte, so war
die Hoffnung noch ungleich reicher, wenn er in die Zukunft blickte. Als auf
der Lübecker Germanistenversammlung Jakob Grimm mit vor Erregung zit¬
ternder Stimme Deutschlands Zukunft hoch leben ließ, als mächtiger Jubel
von allen Seiten, ihn und die Gesinnungsgenossen begrüßte, und Grimm
und Dahlmann sich in die Arme sanken, die liebsten Freunde, die wie ein
zärtlich Geschwisterpnar zu einander standen, da durfte Dahlmann wol denken
und hoffen, die Zeit, wo seine Ideale erfüllt werden, wo er als deutscher Staats¬
mann wirken werde, nahe heran. Sie kam rascher und plötzlicher, als wir
Alle es erwarteten.

Das Jahr 1848 kam heran. Wer sollte uns führen, wenn nicht der
Mann, der vor den Männern der politischen Ersahrung das umfassende Wis¬
sen, vor den Theoretikern die reiche Fülle der Erfahrung, die Erprobtheit in
Staatsgeschäften voraus hatte, dessen Besonnenheit den Fürsten, dessen Vater¬
landsliebe dem Volke für ein gedeihliches Werk bürgte. "Regierungen und Ne¬
gierte, Fürsten und Unterthanen riefen gleich laut nach ihm, wählten ihn mit
wetteifernder Uebereinstimmung zum Mann ihres Vertrauens. Er wurde der
Rathgeber der Könige und Völker. Diese Seite seiner Thätigkeit, die ihn zu
einer Korrespondenz mit halb Europa veranlaßte, ist bei der strengen Discre-
tion Dahlmann's den weiteren Kreisen natürlich unbekannt geblieben. Sollten
einmal die Briefe Dahlmann's aus dem Jahre 1848 veröffentlicht werden,
wir würden dann gewiß nicht nur seine Hingebung, seine offene Wahrheits¬
liebe, seinen rastlosen Eifer bewundern -- wie wußte er nicht hier zu ermuti¬
gen, dort.zu warnen, die Einen spornte er an. die Anderen suchte er wieder zur
Mäßigung zu gewinnen, überall sah er nur die heilige Sache, nirgends und
niemals die eigene Person -- sondern gewiß auch beklagen, daß wir so bald


hob. wie er gewöhnlich zu thun pslcgie. wenn ihm etwas Unerwartetes vor¬
kam, den einen Arm zweifelnd in die Höhe, und während er den Freund gut¬
müthig lächelnd von der Seite ansah, antwortete er: „Ja, wenn nur das
Manuscript schon vorhanden wäre." Es wurde später glücklicher Weise doch
das Manuscript zusammengestellt und das Buch gedruckt, das sich in wenigen
Monaten ganz Deutschland eroberte und auf die politische Bildung des Vol¬
kes den mächtigsten Einfluß übte. Wir betonen nicht, daß es in Berlin zum
guten Tone gehörte, das Buch gelesen zu haben, dieses Schicksal haben auch
schlechte Bücher erfahren; wir heben nicht hervor, daß dasselbe, wie überhaupt
, die ganze Thätigkeit, die Dahlmann entwickelte, in den ministeriellen Kreisen
übel vermerkt wurde. Was konnte man vom Ministerium Eichhorn anders
erwarten. Ergötzlicher ist es zu vernehmen, dos; der verstorbene Butan, als
er das Buch gelesen hatte, mit seiner bekannten schlauen Miene ausrief: Noch
ein solches Buch, und Dahlmanns Ruf ist verloren! War die Befriedigung
gerecht, wenn der Blick Dahlmanns in die Vergangenheit sich versenkte, so war
die Hoffnung noch ungleich reicher, wenn er in die Zukunft blickte. Als auf
der Lübecker Germanistenversammlung Jakob Grimm mit vor Erregung zit¬
ternder Stimme Deutschlands Zukunft hoch leben ließ, als mächtiger Jubel
von allen Seiten, ihn und die Gesinnungsgenossen begrüßte, und Grimm
und Dahlmann sich in die Arme sanken, die liebsten Freunde, die wie ein
zärtlich Geschwisterpnar zu einander standen, da durfte Dahlmann wol denken
und hoffen, die Zeit, wo seine Ideale erfüllt werden, wo er als deutscher Staats¬
mann wirken werde, nahe heran. Sie kam rascher und plötzlicher, als wir
Alle es erwarteten.

Das Jahr 1848 kam heran. Wer sollte uns führen, wenn nicht der
Mann, der vor den Männern der politischen Ersahrung das umfassende Wis¬
sen, vor den Theoretikern die reiche Fülle der Erfahrung, die Erprobtheit in
Staatsgeschäften voraus hatte, dessen Besonnenheit den Fürsten, dessen Vater¬
landsliebe dem Volke für ein gedeihliches Werk bürgte. »Regierungen und Ne¬
gierte, Fürsten und Unterthanen riefen gleich laut nach ihm, wählten ihn mit
wetteifernder Uebereinstimmung zum Mann ihres Vertrauens. Er wurde der
Rathgeber der Könige und Völker. Diese Seite seiner Thätigkeit, die ihn zu
einer Korrespondenz mit halb Europa veranlaßte, ist bei der strengen Discre-
tion Dahlmann's den weiteren Kreisen natürlich unbekannt geblieben. Sollten
einmal die Briefe Dahlmann's aus dem Jahre 1848 veröffentlicht werden,
wir würden dann gewiß nicht nur seine Hingebung, seine offene Wahrheits¬
liebe, seinen rastlosen Eifer bewundern — wie wußte er nicht hier zu ermuti¬
gen, dort.zu warnen, die Einen spornte er an. die Anderen suchte er wieder zur
Mäßigung zu gewinnen, überall sah er nur die heilige Sache, nirgends und
niemals die eigene Person — sondern gewiß auch beklagen, daß wir so bald


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/140>, abgerufen am 23.07.2024.