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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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reffen. Von der Gründlichkeit seiner Amtsverwaltung legen seine beiden
Schriften: Sammlung der wichtigsten Actenstücke, die gemeinsamen Angelegen¬
heiten der Schleswig-holsteinischen Ritterschaft betreffend, 1815. und die urkund¬
liche Darstellung des dem holsteinischen Landtage zustehenden Steuerbewiili-
gungsrechtes. 1819, ein glänzendes Zeugniß ab. Seinen furchtlosen Eifer
bekundet die dem Bundestage überreichte "Denkschrift" der Prälaten und Ritter¬
schaft des Herzogtums Holstein, enthaltend die Darstellung ihrer in aner¬
kannter Wirksamkeit bestehenden landständischen Verfassung und insbesondere
ihrer Steuergerechtsame. 1822. Wir ziehen wieder aus der Vorrede einige
Worte aus, die uns für Dahlmanns Denkweise bezeichnend scheinen. Wie
ihn die allgemeine Betrachtung des Sieges von Waterloo das besondere
Schleswig-Holsteinsche Interesse keineswegs vergessen ließ, wie er es in seinem
Gratulationsprogramm zur Feier des königlichen Geburtstages 1820 für seine
Pflicht hielt, die Verdächtigungen, die der preußische Minister Bernstorf gegen
Universitäten und Professoren ausgesprochen, zurückzuweisen und auf die po¬
litischen Verhältnisse Deutschlands den prüfenden Blick zu werfen, so kann er
auch hier, wenngleich der Gegenstand ein besonderer ist. die Gelegenheit nicht
vorübergehen lassen, auch seine allgemeinen politischen Grundsätze zur Sprache
zu bringen. Mit seiner, alten Freunden wohlbekannten Ironie führt er die
abmahnende Stimme der Wohlgesinnten an, "nach deren Glauben die jetzige
Lage der Welt am wenigsten geeignet ist, erlittene Unbilden ans Licht zu
ziehen und vielmehr alles Heil aus dem Gehorsam beruht." Aber sofort er¬
hebt er seine Stimme, um sein Recht und seine Pflicht zu sprechen, darzulegen:
"das Bewußtsein, daß er einer der Nothwendigkeit gleichzuachtenden Ver¬
pflichtung, daß er einem Interesse folge, das zugleich dasjenige seines Vater¬
lands ist," läßt ihn alle Bedenken bei Seite setzen. Er darf auch der Mi߬
deutung zum Trotze getrost sein Ziel verfolgen, weil er an seine Schrift die
Hoffnung knüpft, "an der Hand weiser Vermittlung aus einem Zustande schmerz¬
licher Entzweiung die alte Eintracht hervorgehen zu sehen." Ach, jene Ironie
wäre auch noch nach zwanzig und dreißig Jahren am Platze gewesen, aber
auch diese Ueberzeugung hat Dahlmann wie in jungen, so in alten Jahren
unverbrüchlich bewahrt. Er war damals der Prophet seiner eigenen Zukunft,
er hat sein Glaubensbekenntniß blos vordatirt.

Die concrete Gedankenbildung, welche niemals bei verflüchtigenden all¬
gemeinen Grundsätzen verweilt, vielmehr, wie diese am Besonderen und Gegen¬
wärtigen lebendig werden, vorzugsweise betont und dann wieder an den letz¬
teren das Allgemeine und Gesetzmäßige eifrig hervorhebt, ist schon längst als
ein unterscheidendes Merkmal der politischen Anschauungen und historische"
Urtheile unseres Dahlmann von jenen seiner Fachgenossen dargethan worden.
Nicht minder wichtig, für die Würdigung seiner Natur noch bedeutungsvoller


reffen. Von der Gründlichkeit seiner Amtsverwaltung legen seine beiden
Schriften: Sammlung der wichtigsten Actenstücke, die gemeinsamen Angelegen¬
heiten der Schleswig-holsteinischen Ritterschaft betreffend, 1815. und die urkund¬
liche Darstellung des dem holsteinischen Landtage zustehenden Steuerbewiili-
gungsrechtes. 1819, ein glänzendes Zeugniß ab. Seinen furchtlosen Eifer
bekundet die dem Bundestage überreichte „Denkschrift" der Prälaten und Ritter¬
schaft des Herzogtums Holstein, enthaltend die Darstellung ihrer in aner¬
kannter Wirksamkeit bestehenden landständischen Verfassung und insbesondere
ihrer Steuergerechtsame. 1822. Wir ziehen wieder aus der Vorrede einige
Worte aus, die uns für Dahlmanns Denkweise bezeichnend scheinen. Wie
ihn die allgemeine Betrachtung des Sieges von Waterloo das besondere
Schleswig-Holsteinsche Interesse keineswegs vergessen ließ, wie er es in seinem
Gratulationsprogramm zur Feier des königlichen Geburtstages 1820 für seine
Pflicht hielt, die Verdächtigungen, die der preußische Minister Bernstorf gegen
Universitäten und Professoren ausgesprochen, zurückzuweisen und auf die po¬
litischen Verhältnisse Deutschlands den prüfenden Blick zu werfen, so kann er
auch hier, wenngleich der Gegenstand ein besonderer ist. die Gelegenheit nicht
vorübergehen lassen, auch seine allgemeinen politischen Grundsätze zur Sprache
zu bringen. Mit seiner, alten Freunden wohlbekannten Ironie führt er die
abmahnende Stimme der Wohlgesinnten an, „nach deren Glauben die jetzige
Lage der Welt am wenigsten geeignet ist, erlittene Unbilden ans Licht zu
ziehen und vielmehr alles Heil aus dem Gehorsam beruht." Aber sofort er¬
hebt er seine Stimme, um sein Recht und seine Pflicht zu sprechen, darzulegen:
„das Bewußtsein, daß er einer der Nothwendigkeit gleichzuachtenden Ver¬
pflichtung, daß er einem Interesse folge, das zugleich dasjenige seines Vater¬
lands ist," läßt ihn alle Bedenken bei Seite setzen. Er darf auch der Mi߬
deutung zum Trotze getrost sein Ziel verfolgen, weil er an seine Schrift die
Hoffnung knüpft, „an der Hand weiser Vermittlung aus einem Zustande schmerz¬
licher Entzweiung die alte Eintracht hervorgehen zu sehen." Ach, jene Ironie
wäre auch noch nach zwanzig und dreißig Jahren am Platze gewesen, aber
auch diese Ueberzeugung hat Dahlmann wie in jungen, so in alten Jahren
unverbrüchlich bewahrt. Er war damals der Prophet seiner eigenen Zukunft,
er hat sein Glaubensbekenntniß blos vordatirt.

Die concrete Gedankenbildung, welche niemals bei verflüchtigenden all¬
gemeinen Grundsätzen verweilt, vielmehr, wie diese am Besonderen und Gegen¬
wärtigen lebendig werden, vorzugsweise betont und dann wieder an den letz¬
teren das Allgemeine und Gesetzmäßige eifrig hervorhebt, ist schon längst als
ein unterscheidendes Merkmal der politischen Anschauungen und historische"
Urtheile unseres Dahlmann von jenen seiner Fachgenossen dargethan worden.
Nicht minder wichtig, für die Würdigung seiner Natur noch bedeutungsvoller


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[0136] reffen. Von der Gründlichkeit seiner Amtsverwaltung legen seine beiden Schriften: Sammlung der wichtigsten Actenstücke, die gemeinsamen Angelegen¬ heiten der Schleswig-holsteinischen Ritterschaft betreffend, 1815. und die urkund¬ liche Darstellung des dem holsteinischen Landtage zustehenden Steuerbewiili- gungsrechtes. 1819, ein glänzendes Zeugniß ab. Seinen furchtlosen Eifer bekundet die dem Bundestage überreichte „Denkschrift" der Prälaten und Ritter¬ schaft des Herzogtums Holstein, enthaltend die Darstellung ihrer in aner¬ kannter Wirksamkeit bestehenden landständischen Verfassung und insbesondere ihrer Steuergerechtsame. 1822. Wir ziehen wieder aus der Vorrede einige Worte aus, die uns für Dahlmanns Denkweise bezeichnend scheinen. Wie ihn die allgemeine Betrachtung des Sieges von Waterloo das besondere Schleswig-Holsteinsche Interesse keineswegs vergessen ließ, wie er es in seinem Gratulationsprogramm zur Feier des königlichen Geburtstages 1820 für seine Pflicht hielt, die Verdächtigungen, die der preußische Minister Bernstorf gegen Universitäten und Professoren ausgesprochen, zurückzuweisen und auf die po¬ litischen Verhältnisse Deutschlands den prüfenden Blick zu werfen, so kann er auch hier, wenngleich der Gegenstand ein besonderer ist. die Gelegenheit nicht vorübergehen lassen, auch seine allgemeinen politischen Grundsätze zur Sprache zu bringen. Mit seiner, alten Freunden wohlbekannten Ironie führt er die abmahnende Stimme der Wohlgesinnten an, „nach deren Glauben die jetzige Lage der Welt am wenigsten geeignet ist, erlittene Unbilden ans Licht zu ziehen und vielmehr alles Heil aus dem Gehorsam beruht." Aber sofort er¬ hebt er seine Stimme, um sein Recht und seine Pflicht zu sprechen, darzulegen: „das Bewußtsein, daß er einer der Nothwendigkeit gleichzuachtenden Ver¬ pflichtung, daß er einem Interesse folge, das zugleich dasjenige seines Vater¬ lands ist," läßt ihn alle Bedenken bei Seite setzen. Er darf auch der Mi߬ deutung zum Trotze getrost sein Ziel verfolgen, weil er an seine Schrift die Hoffnung knüpft, „an der Hand weiser Vermittlung aus einem Zustande schmerz¬ licher Entzweiung die alte Eintracht hervorgehen zu sehen." Ach, jene Ironie wäre auch noch nach zwanzig und dreißig Jahren am Platze gewesen, aber auch diese Ueberzeugung hat Dahlmann wie in jungen, so in alten Jahren unverbrüchlich bewahrt. Er war damals der Prophet seiner eigenen Zukunft, er hat sein Glaubensbekenntniß blos vordatirt. Die concrete Gedankenbildung, welche niemals bei verflüchtigenden all¬ gemeinen Grundsätzen verweilt, vielmehr, wie diese am Besonderen und Gegen¬ wärtigen lebendig werden, vorzugsweise betont und dann wieder an den letz¬ teren das Allgemeine und Gesetzmäßige eifrig hervorhebt, ist schon längst als ein unterscheidendes Merkmal der politischen Anschauungen und historische" Urtheile unseres Dahlmann von jenen seiner Fachgenossen dargethan worden. Nicht minder wichtig, für die Würdigung seiner Natur noch bedeutungsvoller

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/136>, abgerufen am 22.07.2024.