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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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dessen unverwüstlicher guter Kern schon^so frühe ihren Sinn erfüllte, weil sie
die deutschen Zustände aus einer idecilisirenden, die häßlichen Flecken verwi¬
schenden Ferne zuerst gewahrten. Dahlmann gehört übrigens nicht blos nach
seiner politischen Nationalität, sondern auch durch Familienursprung Schwe¬
den an und zwar einem adeligen Geschlechte, dessen Wappen, wie uns Arndt
öfter erzählte, im Stockholmer Ritterhause prangt. Anlage und Neigung führ¬
ten Dahlmann zum Studium der Alten und weckten in ihm den Entschluß,
die philologische Laufbahn zu verfolgen. Als die Zeit zum Besuche einer Uni¬
versität nahte, entschied der Ausenthalt seines Mutterbruders, Imsen. in Ko¬
penhagen, daß Dahlmann im sechszehnten Jahre die dänische Hauptstadt auf¬
suchte. Beinahe hätte ihn das Schicksal für immer Deutschland entrissen und
nach Dänemark verpflanzt. Moldcnhawer. der Hauptlehrer der Universität,
schenkte ihm seine besondere Gunst, suchte ihn dauernd an sich zu fesseln und
durch die Aussicht auf rasche Beförderung zu gewinnen. An dieser lMte °6
auch nicht gefehlt, da Moldenhnwer dem gesammten dänischen Schulwesen vor¬
stand. Aber Dahlmann reizte nicht die Aussicht, lockte nicht der trockene, in
der Heyne'schen Schule erzogene Mann, wohl aber packte ihn die Sehnsucht,
deutsche Wissenschaft an den unmittelbaren Quellen kennen zu lernen. Er zog
1803 nach Halle, saß hier ein Jahr lang zu den Füßen Wolf's, blickte auch
von Zeit zu Zeit in die Hörsäle Steffens' und Schleiermacher's. um aber im¬
mer wieder zu dem Meister zurückzukehren, von dem er, so lang erlebte, mit
warmer Begeisterung sprach und dessen persönlichem Umgänge, dessen Prolcgo-
wenen. dem ältesten Muster streng historischer Kritik, er den größten Einfluß
auf seine Bildung, die ganze Richtung seines Geistes zuschrieb. Eine schwere
Krankheit hemmte die Fortsetzung seiner Studien und zwang ihn. die nächsten
Jahre mit einer kurzen Unterbrechung, die ihn abermals nach Kopenhagen
führte, in stiller Vorbereitung auf seinen Beruf in seiner Heimat zu verleben.
Er las Herodot und insbesondere die griechischen Dramatiker, versuchte sich
auch an einer Uebersetzung der Eumeniden. des gefesselten Prometheus, sowie
der Wolken des Aristophanes.

Wie Dahlmann 1809 nach Dresden kam, den Freundschaftsbund mit
Kleist schloß und gemeinsam mit diesem Böhmen und die Schlachtfelder in
Mähren bereiste, hat er selbst in still-anmuthiger Weise in der Einleitung zu
Kleist's gesammelten Schriften (herausgegeben von Julian Schmidt) erzählt:
"Ich war damals vierundzwanzig Jahre alt -- man wußte in dieser Napo¬
leonischen Welt nichts mit sich anzufangen -- von Wismar nach Dresden
gegangen, um dort, wie ich mir dachte. Vorträge über ätherische Geschichte
vor einem größeren Publicum zu halten." und wie wir hinzufügen dürfen, im
"Phöbus" einzelne literarische Arbeiten zu veröffentlichen. Gelang ihm das
^tztere auch nicht, so war denn doch die Reise nach dem Kriegsschauplatze,


ist*

dessen unverwüstlicher guter Kern schon^so frühe ihren Sinn erfüllte, weil sie
die deutschen Zustände aus einer idecilisirenden, die häßlichen Flecken verwi¬
schenden Ferne zuerst gewahrten. Dahlmann gehört übrigens nicht blos nach
seiner politischen Nationalität, sondern auch durch Familienursprung Schwe¬
den an und zwar einem adeligen Geschlechte, dessen Wappen, wie uns Arndt
öfter erzählte, im Stockholmer Ritterhause prangt. Anlage und Neigung führ¬
ten Dahlmann zum Studium der Alten und weckten in ihm den Entschluß,
die philologische Laufbahn zu verfolgen. Als die Zeit zum Besuche einer Uni¬
versität nahte, entschied der Ausenthalt seines Mutterbruders, Imsen. in Ko¬
penhagen, daß Dahlmann im sechszehnten Jahre die dänische Hauptstadt auf¬
suchte. Beinahe hätte ihn das Schicksal für immer Deutschland entrissen und
nach Dänemark verpflanzt. Moldcnhawer. der Hauptlehrer der Universität,
schenkte ihm seine besondere Gunst, suchte ihn dauernd an sich zu fesseln und
durch die Aussicht auf rasche Beförderung zu gewinnen. An dieser lMte °6
auch nicht gefehlt, da Moldenhnwer dem gesammten dänischen Schulwesen vor¬
stand. Aber Dahlmann reizte nicht die Aussicht, lockte nicht der trockene, in
der Heyne'schen Schule erzogene Mann, wohl aber packte ihn die Sehnsucht,
deutsche Wissenschaft an den unmittelbaren Quellen kennen zu lernen. Er zog
1803 nach Halle, saß hier ein Jahr lang zu den Füßen Wolf's, blickte auch
von Zeit zu Zeit in die Hörsäle Steffens' und Schleiermacher's. um aber im¬
mer wieder zu dem Meister zurückzukehren, von dem er, so lang erlebte, mit
warmer Begeisterung sprach und dessen persönlichem Umgänge, dessen Prolcgo-
wenen. dem ältesten Muster streng historischer Kritik, er den größten Einfluß
auf seine Bildung, die ganze Richtung seines Geistes zuschrieb. Eine schwere
Krankheit hemmte die Fortsetzung seiner Studien und zwang ihn. die nächsten
Jahre mit einer kurzen Unterbrechung, die ihn abermals nach Kopenhagen
führte, in stiller Vorbereitung auf seinen Beruf in seiner Heimat zu verleben.
Er las Herodot und insbesondere die griechischen Dramatiker, versuchte sich
auch an einer Uebersetzung der Eumeniden. des gefesselten Prometheus, sowie
der Wolken des Aristophanes.

Wie Dahlmann 1809 nach Dresden kam, den Freundschaftsbund mit
Kleist schloß und gemeinsam mit diesem Böhmen und die Schlachtfelder in
Mähren bereiste, hat er selbst in still-anmuthiger Weise in der Einleitung zu
Kleist's gesammelten Schriften (herausgegeben von Julian Schmidt) erzählt:
"Ich war damals vierundzwanzig Jahre alt — man wußte in dieser Napo¬
leonischen Welt nichts mit sich anzufangen — von Wismar nach Dresden
gegangen, um dort, wie ich mir dachte. Vorträge über ätherische Geschichte
vor einem größeren Publicum zu halten." und wie wir hinzufügen dürfen, im
»Phöbus" einzelne literarische Arbeiten zu veröffentlichen. Gelang ihm das
^tztere auch nicht, so war denn doch die Reise nach dem Kriegsschauplatze,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/133>, abgerufen am 22.07.2024.