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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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aber auch eine freie Kirche! Eine freie Kirche, aber auch freie Seelen! Freie Ge¬
meinden, aber auch ein freier Landrath! Freie Collegien, aber auch ein freier Prä¬
sident! Freie Bauern, aber auch ein freier Gutsherr! Ein freier Adel, ein freier
Bürgerstand, ein freies Herrenhaus! Und was die allgemeinen deutschen Entwürfe
betrifft! absolute Freiheit der nationalen Wünsche, aber auch absolutes Zartgefühl
den Rechten derer gegenüber, die durch diese Wünsche in ihren Wünschen beeinträchtigt
werden konnten. Es war nicht zu wenig, sondern zu viel Freiheit in diesem System.
-- Endlich ging man noch einen Schritt weiter und fragte: warum soll in dieser
allgemeinen Freiheit nur eine einzige Macht geächtet sein? es werde auch diese be¬
freit! Diese letzte freigelassene Macht war: -- die Polizei.

Die Umkehr war begreiflich. Indem man überall auf die Freiheit ausging,
daneben aber auch auf Schönheit der Gesammtwirkung, hatte man stillschweigend
etwas vorausgesetzt wie Leibnitz' prästabilirtc Harmonie. Diese Voraussetzung er¬
wies sich als unhaltbar. Es blieb im Gemüth des wohlmeinenden Fürsten eine
tiefe innere Kränkung zurück, welche in den Bestrebungen, ^>in den seinigen zuwider
liefen, eine Beeinträchtigung seiner eigenen persönlichen Freiheit sah. Die Menschen
hatten sich schlechter gestimmt erwiesen, als sie vorher der Glaube gezeigt: nun trat
eine Nachsicht gegen die Schlechten ein, wenn sie nur richtig gestimmt waren. Wahr¬
scheinlich war lange, bevor die Katastrophe wirklich eintrat, das Gemüth des Königs
wenigstens theilweise den Eindrücken erlegen, die von allen Seiten darauf einstürm¬
ten. -- Möge die Erde ihm leicht sein; viel angefochten, hat er in seinen Leiden
auch treue Liebe gefunden, und die Geschichte wird sein Andenken aus einem Blatt be¬
1- >- wahren, das nicht leer ist. --




Was heißt revolutionär?

Wir haben vor einigen Wochen zwei politische Stichwörter analysirt. mit denen
mal Mißbrauch getrieben wurde; die Veranlassung unsrer heutigen Untersuchung
'se die Confiscation des Hefts 51 der Grenzboten, in welchem der Ausdruck "revolu¬
tionär" auf das Verfahren des Bundestags in der kurhessischcn Frage angewandt
worden war. Ob diese Anwendung gesetzlich nicht gestattet ist, darüber wollen
wir dem Ausspruch des Gerichts in keiner Weise vorgreifen; wir haben es nur
mit dem Publicum zu thun, das hier wie in ähnlichen Fällen durch die Gewohn¬
heit der Parteien leicht verführt wird, mit einem Begriff Vorstellungen zu verbin¬
den, die nicht darin liegen.

Es sind namentlich zwei Vorurtheile zu bekämpfen. Einmal ist jede politische
Partei gewöhnt, in den Namen, womit sie ihre Gegner benennt, etwas Tadelndes
SU legen, und wenn die eine Partei in einem gewissen Zeitraum die übermächtige
ist. so verwandelt sich die politische Bezeichnung leicht in ein Schimpfwort. So
war seit 1789 in Frankreich der Ausdruck Aristokrat, in Deutschland der Ausdruck
Demokrat ein Schimpfwort; das letztere wiederholte sich bei uns 1849, obgleich in


aber auch eine freie Kirche! Eine freie Kirche, aber auch freie Seelen! Freie Ge¬
meinden, aber auch ein freier Landrath! Freie Collegien, aber auch ein freier Prä¬
sident! Freie Bauern, aber auch ein freier Gutsherr! Ein freier Adel, ein freier
Bürgerstand, ein freies Herrenhaus! Und was die allgemeinen deutschen Entwürfe
betrifft! absolute Freiheit der nationalen Wünsche, aber auch absolutes Zartgefühl
den Rechten derer gegenüber, die durch diese Wünsche in ihren Wünschen beeinträchtigt
werden konnten. Es war nicht zu wenig, sondern zu viel Freiheit in diesem System.
— Endlich ging man noch einen Schritt weiter und fragte: warum soll in dieser
allgemeinen Freiheit nur eine einzige Macht geächtet sein? es werde auch diese be¬
freit! Diese letzte freigelassene Macht war: — die Polizei.

Die Umkehr war begreiflich. Indem man überall auf die Freiheit ausging,
daneben aber auch auf Schönheit der Gesammtwirkung, hatte man stillschweigend
etwas vorausgesetzt wie Leibnitz' prästabilirtc Harmonie. Diese Voraussetzung er¬
wies sich als unhaltbar. Es blieb im Gemüth des wohlmeinenden Fürsten eine
tiefe innere Kränkung zurück, welche in den Bestrebungen, ^>in den seinigen zuwider
liefen, eine Beeinträchtigung seiner eigenen persönlichen Freiheit sah. Die Menschen
hatten sich schlechter gestimmt erwiesen, als sie vorher der Glaube gezeigt: nun trat
eine Nachsicht gegen die Schlechten ein, wenn sie nur richtig gestimmt waren. Wahr¬
scheinlich war lange, bevor die Katastrophe wirklich eintrat, das Gemüth des Königs
wenigstens theilweise den Eindrücken erlegen, die von allen Seiten darauf einstürm¬
ten. — Möge die Erde ihm leicht sein; viel angefochten, hat er in seinen Leiden
auch treue Liebe gefunden, und die Geschichte wird sein Andenken aus einem Blatt be¬
1- >- wahren, das nicht leer ist. —




Was heißt revolutionär?

Wir haben vor einigen Wochen zwei politische Stichwörter analysirt. mit denen
mal Mißbrauch getrieben wurde; die Veranlassung unsrer heutigen Untersuchung
'se die Confiscation des Hefts 51 der Grenzboten, in welchem der Ausdruck „revolu¬
tionär" auf das Verfahren des Bundestags in der kurhessischcn Frage angewandt
worden war. Ob diese Anwendung gesetzlich nicht gestattet ist, darüber wollen
wir dem Ausspruch des Gerichts in keiner Weise vorgreifen; wir haben es nur
mit dem Publicum zu thun, das hier wie in ähnlichen Fällen durch die Gewohn¬
heit der Parteien leicht verführt wird, mit einem Begriff Vorstellungen zu verbin¬
den, die nicht darin liegen.

Es sind namentlich zwei Vorurtheile zu bekämpfen. Einmal ist jede politische
Partei gewöhnt, in den Namen, womit sie ihre Gegner benennt, etwas Tadelndes
SU legen, und wenn die eine Partei in einem gewissen Zeitraum die übermächtige
ist. so verwandelt sich die politische Bezeichnung leicht in ein Schimpfwort. So
war seit 1789 in Frankreich der Ausdruck Aristokrat, in Deutschland der Ausdruck
Demokrat ein Schimpfwort; das letztere wiederholte sich bei uns 1849, obgleich in


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[0127] aber auch eine freie Kirche! Eine freie Kirche, aber auch freie Seelen! Freie Ge¬ meinden, aber auch ein freier Landrath! Freie Collegien, aber auch ein freier Prä¬ sident! Freie Bauern, aber auch ein freier Gutsherr! Ein freier Adel, ein freier Bürgerstand, ein freies Herrenhaus! Und was die allgemeinen deutschen Entwürfe betrifft! absolute Freiheit der nationalen Wünsche, aber auch absolutes Zartgefühl den Rechten derer gegenüber, die durch diese Wünsche in ihren Wünschen beeinträchtigt werden konnten. Es war nicht zu wenig, sondern zu viel Freiheit in diesem System. — Endlich ging man noch einen Schritt weiter und fragte: warum soll in dieser allgemeinen Freiheit nur eine einzige Macht geächtet sein? es werde auch diese be¬ freit! Diese letzte freigelassene Macht war: — die Polizei. Die Umkehr war begreiflich. Indem man überall auf die Freiheit ausging, daneben aber auch auf Schönheit der Gesammtwirkung, hatte man stillschweigend etwas vorausgesetzt wie Leibnitz' prästabilirtc Harmonie. Diese Voraussetzung er¬ wies sich als unhaltbar. Es blieb im Gemüth des wohlmeinenden Fürsten eine tiefe innere Kränkung zurück, welche in den Bestrebungen, ^>in den seinigen zuwider liefen, eine Beeinträchtigung seiner eigenen persönlichen Freiheit sah. Die Menschen hatten sich schlechter gestimmt erwiesen, als sie vorher der Glaube gezeigt: nun trat eine Nachsicht gegen die Schlechten ein, wenn sie nur richtig gestimmt waren. Wahr¬ scheinlich war lange, bevor die Katastrophe wirklich eintrat, das Gemüth des Königs wenigstens theilweise den Eindrücken erlegen, die von allen Seiten darauf einstürm¬ ten. — Möge die Erde ihm leicht sein; viel angefochten, hat er in seinen Leiden auch treue Liebe gefunden, und die Geschichte wird sein Andenken aus einem Blatt be¬ 1- >- wahren, das nicht leer ist. — Was heißt revolutionär? Wir haben vor einigen Wochen zwei politische Stichwörter analysirt. mit denen mal Mißbrauch getrieben wurde; die Veranlassung unsrer heutigen Untersuchung 'se die Confiscation des Hefts 51 der Grenzboten, in welchem der Ausdruck „revolu¬ tionär" auf das Verfahren des Bundestags in der kurhessischcn Frage angewandt worden war. Ob diese Anwendung gesetzlich nicht gestattet ist, darüber wollen wir dem Ausspruch des Gerichts in keiner Weise vorgreifen; wir haben es nur mit dem Publicum zu thun, das hier wie in ähnlichen Fällen durch die Gewohn¬ heit der Parteien leicht verführt wird, mit einem Begriff Vorstellungen zu verbin¬ den, die nicht darin liegen. Es sind namentlich zwei Vorurtheile zu bekämpfen. Einmal ist jede politische Partei gewöhnt, in den Namen, womit sie ihre Gegner benennt, etwas Tadelndes SU legen, und wenn die eine Partei in einem gewissen Zeitraum die übermächtige ist. so verwandelt sich die politische Bezeichnung leicht in ein Schimpfwort. So war seit 1789 in Frankreich der Ausdruck Aristokrat, in Deutschland der Ausdruck Demokrat ein Schimpfwort; das letztere wiederholte sich bei uns 1849, obgleich in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/127>, abgerufen am 22.07.2024.