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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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Einzelnheiten widerlegt. Führt man nun das Ergebniß jener maßlosen Be¬
schuldigungen auf ihren Kern zurück, so ist es eine Schwäche, die jene Dame,
die vor Gericht in Trauer erschien, die Wittwe Eynatten, so trefflich zu be¬
nutzen verstand. Der Vorsitzende erinnerte sie mit zarter Schonung, daß sie
in eine kriegsgerichtliche Untersuchung wegen Betruges verwickelt gewesen, und
frug, ob rhre Haft eine Strafe oder blos eine AnHaltung gewesen. Alle Welt
weiß, daß sie wegen eines Betruges von 3000 si. zu 3 Jahren schweren Ker¬
kers vermtheilt. diese Strafe aber im Gnadenwege "in Berücksichtigung der
unschuldigen Kinder" in dreimonatlichen Arrest verwandelt wurde, sie selbst
gab an. daß sie "nach 3 Wochen befreit wurde". Um sie nicht zu sehr zu
beschämen, ward ihr knapp am Gerichtstisch ein Sitz angewiesen, wegen Kränk¬
lichkeit ein Fußschemel gereicht, und so leise zu sprechen gestattet, daß sie kaum
der nahe sitzende Schriftführer vernahm. Man hatte bei ihrer Verurtheilung
ziemlich laut davon gesprochen, daß ihre Verschwendung es gewesen, die ihren
Gemahl zum Verbrechen verleitet; darnach frug man nicht, weil hierdurch sie
als die Veranlassung alles Uebels erschienen wäre; anstatt dessen gab sie eine
"nicht zu unterschätzende" Enthüllung. Sie erzählte nämlich, ihr Mann liabe
ihr aus dem Kerker in einer zugedeckten Schale ein mit Kohle geschriebenes
Billet gesandt, das sie verbrannte. Auf das Andringen des Vertheidigers,
was dessen Inhalt gewesen, sah sie den Staatsanwalt und den Richter fra¬
gend an. ob sie die Worte wiederholen solle, und gab endlich auf die Auf¬
forderung des Vorsitzenden auch dieses Geheimniß kund. "Es stand darauf:
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Ihr Gatte und Richter waren also einverstanden, ja dieser letztere war es
nach den Aussagen der Eynatten, der ihrem Gemahl den oben erwähnten
Zettel dictirt, daraus folgerte der Staatsanwalt, auch er sei es gewesen, der
die Baronin zur falschen Aussage verleitete. Er ahnte dies blos; denn sie
hatte es nicht gesagt, und selbst ihre Angaben schienen ihm früher so ver¬
dächtig, daß er wegen der erwiesenen Unwahrheit wesentlicher Umstände ihre
Beeidigung "entbehrlich" fand.

"Mit merklich bewegter Stimme," wie die Zeitungen berichteten, verkün¬
dete der Vorsitzende unbeirrt von den schlagenden Gründen des Vertheidigers,
dem Wahrspruch so.vieler ehrenwerther Zeugen, dem lauten Rufe der öffent¬
lichen Meinung das Urtheil auf "schuldig" wegen Bestechung und blos auf
Freisprechung von der Anklage aus Mangel an Beweisen wegen betrüglicher
Rückdatirung des Devisentauss. Die Strafe wurde trotz der Annahme, daß
das gegebene Geschenk 25,634 si. 5 kr. betragen habe, blos aus einen Mo¬
nat Kerkerstrufe, verbunden mit zwei Fasttagen bestimmt, gerade als ob die
Richter selbst die Wahrheit ihres Ausspruchs bezweifelten. Der Angeklagte,
der die Berufung angemeldet, wurde, nachdem sich in den oberen Regionen


Einzelnheiten widerlegt. Führt man nun das Ergebniß jener maßlosen Be¬
schuldigungen auf ihren Kern zurück, so ist es eine Schwäche, die jene Dame,
die vor Gericht in Trauer erschien, die Wittwe Eynatten, so trefflich zu be¬
nutzen verstand. Der Vorsitzende erinnerte sie mit zarter Schonung, daß sie
in eine kriegsgerichtliche Untersuchung wegen Betruges verwickelt gewesen, und
frug, ob rhre Haft eine Strafe oder blos eine AnHaltung gewesen. Alle Welt
weiß, daß sie wegen eines Betruges von 3000 si. zu 3 Jahren schweren Ker¬
kers vermtheilt. diese Strafe aber im Gnadenwege „in Berücksichtigung der
unschuldigen Kinder" in dreimonatlichen Arrest verwandelt wurde, sie selbst
gab an. daß sie „nach 3 Wochen befreit wurde". Um sie nicht zu sehr zu
beschämen, ward ihr knapp am Gerichtstisch ein Sitz angewiesen, wegen Kränk¬
lichkeit ein Fußschemel gereicht, und so leise zu sprechen gestattet, daß sie kaum
der nahe sitzende Schriftführer vernahm. Man hatte bei ihrer Verurtheilung
ziemlich laut davon gesprochen, daß ihre Verschwendung es gewesen, die ihren
Gemahl zum Verbrechen verleitet; darnach frug man nicht, weil hierdurch sie
als die Veranlassung alles Uebels erschienen wäre; anstatt dessen gab sie eine
„nicht zu unterschätzende" Enthüllung. Sie erzählte nämlich, ihr Mann liabe
ihr aus dem Kerker in einer zugedeckten Schale ein mit Kohle geschriebenes
Billet gesandt, das sie verbrannte. Auf das Andringen des Vertheidigers,
was dessen Inhalt gewesen, sah sie den Staatsanwalt und den Richter fra¬
gend an. ob sie die Worte wiederholen solle, und gab endlich auf die Auf¬
forderung des Vorsitzenden auch dieses Geheimniß kund. „Es stand darauf:
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Ihr Gatte und Richter waren also einverstanden, ja dieser letztere war es
nach den Aussagen der Eynatten, der ihrem Gemahl den oben erwähnten
Zettel dictirt, daraus folgerte der Staatsanwalt, auch er sei es gewesen, der
die Baronin zur falschen Aussage verleitete. Er ahnte dies blos; denn sie
hatte es nicht gesagt, und selbst ihre Angaben schienen ihm früher so ver¬
dächtig, daß er wegen der erwiesenen Unwahrheit wesentlicher Umstände ihre
Beeidigung „entbehrlich" fand.

„Mit merklich bewegter Stimme," wie die Zeitungen berichteten, verkün¬
dete der Vorsitzende unbeirrt von den schlagenden Gründen des Vertheidigers,
dem Wahrspruch so.vieler ehrenwerther Zeugen, dem lauten Rufe der öffent¬
lichen Meinung das Urtheil auf „schuldig" wegen Bestechung und blos auf
Freisprechung von der Anklage aus Mangel an Beweisen wegen betrüglicher
Rückdatirung des Devisentauss. Die Strafe wurde trotz der Annahme, daß
das gegebene Geschenk 25,634 si. 5 kr. betragen habe, blos aus einen Mo¬
nat Kerkerstrufe, verbunden mit zwei Fasttagen bestimmt, gerade als ob die
Richter selbst die Wahrheit ihres Ausspruchs bezweifelten. Der Angeklagte,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/122>, abgerufen am 25.08.2024.