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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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das Licht ziehen und aller Weit klar machen konnte, daß man deutscherseits
die vollste Offenkundigkeit nicht scheue.

Gegen Ende Septembers begegneten sich der Prinz-Regent von Preußen
und die Königin von England am Rheine, Mitte Octobers kamen sie in
Coblenz zusammen, und ihre auswärtigen Minister hielten Conferenzen, was
auf eine Annäherung der beiden Staaten deutete. Daß eine solche jenseits
des Canals eine starke Partei gegen sich haben würde, war zu erwarten, aber
die Weise, in welcher dieselbe ihre Ansicht geltend machte, war eigenthümlich
genug. Die auswärtige Politik Preußens hatte es wahrlich an Anlässen nicht
fehlen lassen, das Anschließen an diesen Staat mit Gründen zu bekämpfen;
statt dessen wurde, um ihm entgegenzuwirken, der in den abenteuerlichsten
Farben ausgemalte Macdonald'sche Fall ausgebeutet. Die Times und andere
Blätter gössen über Preußen eine Flut der beleidigendsten Ausdrücke aus und
suchten darzuthun, daß dasselbe in seinen inneren Einrichtungen kaum auf
gleicher Höhe mit dem von den Bourbons regierten Neapel stehen. Dazu kam.
daß die Times ihre schamlose Parteilichkeit so weit trieb, daß sie einer be-
nchtigenden Zuschrift des Dr. Parow die Aufnahme verweigerten. Dieses Ge-
bahren erregte in Deutschland mit Recht den allergrößten Anstoß, es empörte
außer dem Nationalgefühl der Deutschen noch eine andere Seite, die bei ihnen
viel empfindlicher ist als dieses. Der deutsche Patriotismus hätte die groben
Schimpfreden über Preußen allenfalls verschmerzt, aber die deutsche Logik
konnte sich die haarsträubende Schlußfolgerung nicht gefallen lassen, daß we-
gen der Mißgriffe einiger Beamten in einer Provinzialstadt das Bündniß
zweier durch ihre Interessen auf einander angewiesenen mächtigen Reiche un¬
möglich sein sollte. In der That möchte ein sehr genauer Kenner der Eng.
lauter dazu gehören, um das seltsame Manoeuvre vollständig zu erklären. Ent-
weder liegt in dem britischen Naturell ein Bedürfniß, von Zeit zu Zeit eine
Gelegenheit vom Zaune zu brechen, um einen großen Lärm zu machen, oder
°s sind die Leiter der so mächtigen öffentlichen Meinung bei ihnen genöthigt,
bei entscheidenden Wendungen sehr viel mehr durch die Erregung von Leiden,
schaften als durch vernünftige Erwägungen >zu wirken. Das Letztere würde
auf den inneren Zustand der Insel gerade kein sehr günstiges Licht werfen.

Die Rückwirkung in Deutschland blieb nicht aus. Man las damals oft
"> unsern Zeitungen die Bemerkung, ein so einträchtiges Zusammenstehn einer
ganzen Nation, wo auch nur scheinbar einem ihrer Angehörigen Unrecht ge-
schehe, habe etwas sehr Jmponirendes. aber eigentlich.sollte dies nur eine
Mahnung an die eignen Landsleute sein. Im Ganzen gewöhnte man sich
die Engländer wie eine Schaar schreiender Knaben zu betrachten, auf die man
nur durch feste Haltung, nicht durch Gründe der Vernunft und durch objective
Gerechtigkeit Eindruck macht. Man begann die Angelegenheit auch unsrer-


Grenzboten I. 1861, 14

das Licht ziehen und aller Weit klar machen konnte, daß man deutscherseits
die vollste Offenkundigkeit nicht scheue.

Gegen Ende Septembers begegneten sich der Prinz-Regent von Preußen
und die Königin von England am Rheine, Mitte Octobers kamen sie in
Coblenz zusammen, und ihre auswärtigen Minister hielten Conferenzen, was
auf eine Annäherung der beiden Staaten deutete. Daß eine solche jenseits
des Canals eine starke Partei gegen sich haben würde, war zu erwarten, aber
die Weise, in welcher dieselbe ihre Ansicht geltend machte, war eigenthümlich
genug. Die auswärtige Politik Preußens hatte es wahrlich an Anlässen nicht
fehlen lassen, das Anschließen an diesen Staat mit Gründen zu bekämpfen;
statt dessen wurde, um ihm entgegenzuwirken, der in den abenteuerlichsten
Farben ausgemalte Macdonald'sche Fall ausgebeutet. Die Times und andere
Blätter gössen über Preußen eine Flut der beleidigendsten Ausdrücke aus und
suchten darzuthun, daß dasselbe in seinen inneren Einrichtungen kaum auf
gleicher Höhe mit dem von den Bourbons regierten Neapel stehen. Dazu kam.
daß die Times ihre schamlose Parteilichkeit so weit trieb, daß sie einer be-
nchtigenden Zuschrift des Dr. Parow die Aufnahme verweigerten. Dieses Ge-
bahren erregte in Deutschland mit Recht den allergrößten Anstoß, es empörte
außer dem Nationalgefühl der Deutschen noch eine andere Seite, die bei ihnen
viel empfindlicher ist als dieses. Der deutsche Patriotismus hätte die groben
Schimpfreden über Preußen allenfalls verschmerzt, aber die deutsche Logik
konnte sich die haarsträubende Schlußfolgerung nicht gefallen lassen, daß we-
gen der Mißgriffe einiger Beamten in einer Provinzialstadt das Bündniß
zweier durch ihre Interessen auf einander angewiesenen mächtigen Reiche un¬
möglich sein sollte. In der That möchte ein sehr genauer Kenner der Eng.
lauter dazu gehören, um das seltsame Manoeuvre vollständig zu erklären. Ent-
weder liegt in dem britischen Naturell ein Bedürfniß, von Zeit zu Zeit eine
Gelegenheit vom Zaune zu brechen, um einen großen Lärm zu machen, oder
°s sind die Leiter der so mächtigen öffentlichen Meinung bei ihnen genöthigt,
bei entscheidenden Wendungen sehr viel mehr durch die Erregung von Leiden,
schaften als durch vernünftige Erwägungen >zu wirken. Das Letztere würde
auf den inneren Zustand der Insel gerade kein sehr günstiges Licht werfen.

Die Rückwirkung in Deutschland blieb nicht aus. Man las damals oft
"> unsern Zeitungen die Bemerkung, ein so einträchtiges Zusammenstehn einer
ganzen Nation, wo auch nur scheinbar einem ihrer Angehörigen Unrecht ge-
schehe, habe etwas sehr Jmponirendes. aber eigentlich.sollte dies nur eine
Mahnung an die eignen Landsleute sein. Im Ganzen gewöhnte man sich
die Engländer wie eine Schaar schreiender Knaben zu betrachten, auf die man
nur durch feste Haltung, nicht durch Gründe der Vernunft und durch objective
Gerechtigkeit Eindruck macht. Man begann die Angelegenheit auch unsrer-


Grenzboten I. 1861, 14
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[0115] das Licht ziehen und aller Weit klar machen konnte, daß man deutscherseits die vollste Offenkundigkeit nicht scheue. Gegen Ende Septembers begegneten sich der Prinz-Regent von Preußen und die Königin von England am Rheine, Mitte Octobers kamen sie in Coblenz zusammen, und ihre auswärtigen Minister hielten Conferenzen, was auf eine Annäherung der beiden Staaten deutete. Daß eine solche jenseits des Canals eine starke Partei gegen sich haben würde, war zu erwarten, aber die Weise, in welcher dieselbe ihre Ansicht geltend machte, war eigenthümlich genug. Die auswärtige Politik Preußens hatte es wahrlich an Anlässen nicht fehlen lassen, das Anschließen an diesen Staat mit Gründen zu bekämpfen; statt dessen wurde, um ihm entgegenzuwirken, der in den abenteuerlichsten Farben ausgemalte Macdonald'sche Fall ausgebeutet. Die Times und andere Blätter gössen über Preußen eine Flut der beleidigendsten Ausdrücke aus und suchten darzuthun, daß dasselbe in seinen inneren Einrichtungen kaum auf gleicher Höhe mit dem von den Bourbons regierten Neapel stehen. Dazu kam. daß die Times ihre schamlose Parteilichkeit so weit trieb, daß sie einer be- nchtigenden Zuschrift des Dr. Parow die Aufnahme verweigerten. Dieses Ge- bahren erregte in Deutschland mit Recht den allergrößten Anstoß, es empörte außer dem Nationalgefühl der Deutschen noch eine andere Seite, die bei ihnen viel empfindlicher ist als dieses. Der deutsche Patriotismus hätte die groben Schimpfreden über Preußen allenfalls verschmerzt, aber die deutsche Logik konnte sich die haarsträubende Schlußfolgerung nicht gefallen lassen, daß we- gen der Mißgriffe einiger Beamten in einer Provinzialstadt das Bündniß zweier durch ihre Interessen auf einander angewiesenen mächtigen Reiche un¬ möglich sein sollte. In der That möchte ein sehr genauer Kenner der Eng. lauter dazu gehören, um das seltsame Manoeuvre vollständig zu erklären. Ent- weder liegt in dem britischen Naturell ein Bedürfniß, von Zeit zu Zeit eine Gelegenheit vom Zaune zu brechen, um einen großen Lärm zu machen, oder °s sind die Leiter der so mächtigen öffentlichen Meinung bei ihnen genöthigt, bei entscheidenden Wendungen sehr viel mehr durch die Erregung von Leiden, schaften als durch vernünftige Erwägungen >zu wirken. Das Letztere würde auf den inneren Zustand der Insel gerade kein sehr günstiges Licht werfen. Die Rückwirkung in Deutschland blieb nicht aus. Man las damals oft "> unsern Zeitungen die Bemerkung, ein so einträchtiges Zusammenstehn einer ganzen Nation, wo auch nur scheinbar einem ihrer Angehörigen Unrecht ge- schehe, habe etwas sehr Jmponirendes. aber eigentlich.sollte dies nur eine Mahnung an die eignen Landsleute sein. Im Ganzen gewöhnte man sich die Engländer wie eine Schaar schreiender Knaben zu betrachten, auf die man nur durch feste Haltung, nicht durch Gründe der Vernunft und durch objective Gerechtigkeit Eindruck macht. Man begann die Angelegenheit auch unsrer- Grenzboten I. 1861, 14

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/115>, abgerufen am 26.08.2024.