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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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des Zwiespaltes in den Hintergrund treten. Der darin fungirendc Staats,
procurator. Herr Möller, verbreitete sich in seiner Anklage über den Charakter
der Engländer im Allgemeinen und führte aus, wie dieselben, auf ihrer Insel
die Gesetzlichkeit und der Ordnungssinn selbst, diese Eigenschaften und die
Manieren eines Gentleman meistentheils sofort ablegten, sobald sie ihre Insel
verließen, und daß sie auf dem Eontinent ein Betragen anzunehmen pflegten,
das als Anmaßung, als Unverschämtheit, ja als Lümmelei bezeichnet werden
müsse. Es versteht sich, daß diese Worte, sobald sie bekannt wurden, einen
Sturm der Entrüstung unter den in Bonn wohnenden Engländern Hervorrie¬
sen. Sie waren nicht allein wegen der darin liegenden Kränkung der briti¬
schen Nation tactlos, sondern auch deshalb sehr unklug, weil sie die erhobene
Anklage selbst in ein zweifelhaftes Licht stellten. Zumal bei der sehr summa-
rischen Behandlung des Processes erzeugten sie nothwendig die Vorstellung,
daß die wahre Ursache derselben nicht eine aus den Thatsachen geschöpfte ju¬
ristische Ueberzeugung, sondern die den Engländern im Allgemeinen entgegen¬
stehende Präsumption sei. so daß in unvermeidlicher Gedankenfolge Macdo¬
nald als das unschuldige Opfer eines deutschen Nationalvorurtheils betrachtet
wurde. Daß eine solche Aeußerung, die Frucht eines unbewachten Augen¬
blickes, ungerügt fallen konnte, hängt mit einem Uebelstande nicht sowol in
unserm Gerichtsverfahren als in unsern Gerichtsgcwohnheiteu zusammen.
Wäre es. wie es sein sollte, so wäre der Präsident des Gerichts sogleich da¬
gegen eingeschritten, allein leider ist es bei uns ganz außer Gebrauch, daß
die Gerichtsvvrsitzcnden ihre Antoritüt gegen die Staatsprocuratorcn geltend
Machen, die vielmehr durchaus als ihnen gleichstehend behandelt werden.

Gegen die Beleidigung, welche unzweifelhaft den in Bonn wohnenden
Engländern mittelbar zugefügt war, wäre es nach preußischen Begriffen das
Natürliche gewesen, bei den Vorgesetzten des Herrn Möller Abhilfe zu suchen,
sei es durch eine gerichtliche Klage bei dem über ihm stehenden Obcrprocura-
tvr. sei es durch eine Beschwerde bei dem Justizmuüster. Aber den Söhnen
jener Insel, ans welcher die Presse die größte Macht ist. lag dies fern, und
erschi'en eine sofortige öffentliche Abwehr als das einzig Gebotene. Die Bon¬
ner Zeitung vom 2". und die Kölnische vom 21. brachten einen von zwölf
Engländern unterschriebenen Protest, worin nicht nur die Aeußerung des Hrn.
Möller zurückgewiesen, ein "feiger Angriff auf die ganze britische Nation" ge¬
nannt und auf das Motiv des Privathasscs zurückgeführt, sondern anch Mac-
donald als völlig unschuldig dargestellt und das Gefängniß, in dem er geme¬
in war. als ein "schmutziges" bezeichnet wurde. Wir müssen leider beken¬
nen, daß uns selten ein geschmackloseres Schriftstück vorgekommen ist und daß
wir hinterher sehr erstaunt gewesen sind zu erfahren. daß dasselbe von Ol-,
Perry, einem fein gebildeten und literarisch rühmlichst bewährten Manne, auf-


des Zwiespaltes in den Hintergrund treten. Der darin fungirendc Staats,
procurator. Herr Möller, verbreitete sich in seiner Anklage über den Charakter
der Engländer im Allgemeinen und führte aus, wie dieselben, auf ihrer Insel
die Gesetzlichkeit und der Ordnungssinn selbst, diese Eigenschaften und die
Manieren eines Gentleman meistentheils sofort ablegten, sobald sie ihre Insel
verließen, und daß sie auf dem Eontinent ein Betragen anzunehmen pflegten,
das als Anmaßung, als Unverschämtheit, ja als Lümmelei bezeichnet werden
müsse. Es versteht sich, daß diese Worte, sobald sie bekannt wurden, einen
Sturm der Entrüstung unter den in Bonn wohnenden Engländern Hervorrie¬
sen. Sie waren nicht allein wegen der darin liegenden Kränkung der briti¬
schen Nation tactlos, sondern auch deshalb sehr unklug, weil sie die erhobene
Anklage selbst in ein zweifelhaftes Licht stellten. Zumal bei der sehr summa-
rischen Behandlung des Processes erzeugten sie nothwendig die Vorstellung,
daß die wahre Ursache derselben nicht eine aus den Thatsachen geschöpfte ju¬
ristische Ueberzeugung, sondern die den Engländern im Allgemeinen entgegen¬
stehende Präsumption sei. so daß in unvermeidlicher Gedankenfolge Macdo¬
nald als das unschuldige Opfer eines deutschen Nationalvorurtheils betrachtet
wurde. Daß eine solche Aeußerung, die Frucht eines unbewachten Augen¬
blickes, ungerügt fallen konnte, hängt mit einem Uebelstande nicht sowol in
unserm Gerichtsverfahren als in unsern Gerichtsgcwohnheiteu zusammen.
Wäre es. wie es sein sollte, so wäre der Präsident des Gerichts sogleich da¬
gegen eingeschritten, allein leider ist es bei uns ganz außer Gebrauch, daß
die Gerichtsvvrsitzcnden ihre Antoritüt gegen die Staatsprocuratorcn geltend
Machen, die vielmehr durchaus als ihnen gleichstehend behandelt werden.

Gegen die Beleidigung, welche unzweifelhaft den in Bonn wohnenden
Engländern mittelbar zugefügt war, wäre es nach preußischen Begriffen das
Natürliche gewesen, bei den Vorgesetzten des Herrn Möller Abhilfe zu suchen,
sei es durch eine gerichtliche Klage bei dem über ihm stehenden Obcrprocura-
tvr. sei es durch eine Beschwerde bei dem Justizmuüster. Aber den Söhnen
jener Insel, ans welcher die Presse die größte Macht ist. lag dies fern, und
erschi'en eine sofortige öffentliche Abwehr als das einzig Gebotene. Die Bon¬
ner Zeitung vom 2». und die Kölnische vom 21. brachten einen von zwölf
Engländern unterschriebenen Protest, worin nicht nur die Aeußerung des Hrn.
Möller zurückgewiesen, ein „feiger Angriff auf die ganze britische Nation" ge¬
nannt und auf das Motiv des Privathasscs zurückgeführt, sondern anch Mac-
donald als völlig unschuldig dargestellt und das Gefängniß, in dem er geme¬
in war. als ein „schmutziges" bezeichnet wurde. Wir müssen leider beken¬
nen, daß uns selten ein geschmackloseres Schriftstück vorgekommen ist und daß
wir hinterher sehr erstaunt gewesen sind zu erfahren. daß dasselbe von Ol-,
Perry, einem fein gebildeten und literarisch rühmlichst bewährten Manne, auf-


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[0113] des Zwiespaltes in den Hintergrund treten. Der darin fungirendc Staats, procurator. Herr Möller, verbreitete sich in seiner Anklage über den Charakter der Engländer im Allgemeinen und führte aus, wie dieselben, auf ihrer Insel die Gesetzlichkeit und der Ordnungssinn selbst, diese Eigenschaften und die Manieren eines Gentleman meistentheils sofort ablegten, sobald sie ihre Insel verließen, und daß sie auf dem Eontinent ein Betragen anzunehmen pflegten, das als Anmaßung, als Unverschämtheit, ja als Lümmelei bezeichnet werden müsse. Es versteht sich, daß diese Worte, sobald sie bekannt wurden, einen Sturm der Entrüstung unter den in Bonn wohnenden Engländern Hervorrie¬ sen. Sie waren nicht allein wegen der darin liegenden Kränkung der briti¬ schen Nation tactlos, sondern auch deshalb sehr unklug, weil sie die erhobene Anklage selbst in ein zweifelhaftes Licht stellten. Zumal bei der sehr summa- rischen Behandlung des Processes erzeugten sie nothwendig die Vorstellung, daß die wahre Ursache derselben nicht eine aus den Thatsachen geschöpfte ju¬ ristische Ueberzeugung, sondern die den Engländern im Allgemeinen entgegen¬ stehende Präsumption sei. so daß in unvermeidlicher Gedankenfolge Macdo¬ nald als das unschuldige Opfer eines deutschen Nationalvorurtheils betrachtet wurde. Daß eine solche Aeußerung, die Frucht eines unbewachten Augen¬ blickes, ungerügt fallen konnte, hängt mit einem Uebelstande nicht sowol in unserm Gerichtsverfahren als in unsern Gerichtsgcwohnheiteu zusammen. Wäre es. wie es sein sollte, so wäre der Präsident des Gerichts sogleich da¬ gegen eingeschritten, allein leider ist es bei uns ganz außer Gebrauch, daß die Gerichtsvvrsitzcnden ihre Antoritüt gegen die Staatsprocuratorcn geltend Machen, die vielmehr durchaus als ihnen gleichstehend behandelt werden. Gegen die Beleidigung, welche unzweifelhaft den in Bonn wohnenden Engländern mittelbar zugefügt war, wäre es nach preußischen Begriffen das Natürliche gewesen, bei den Vorgesetzten des Herrn Möller Abhilfe zu suchen, sei es durch eine gerichtliche Klage bei dem über ihm stehenden Obcrprocura- tvr. sei es durch eine Beschwerde bei dem Justizmuüster. Aber den Söhnen jener Insel, ans welcher die Presse die größte Macht ist. lag dies fern, und erschi'en eine sofortige öffentliche Abwehr als das einzig Gebotene. Die Bon¬ ner Zeitung vom 2». und die Kölnische vom 21. brachten einen von zwölf Engländern unterschriebenen Protest, worin nicht nur die Aeußerung des Hrn. Möller zurückgewiesen, ein „feiger Angriff auf die ganze britische Nation" ge¬ nannt und auf das Motiv des Privathasscs zurückgeführt, sondern anch Mac- donald als völlig unschuldig dargestellt und das Gefängniß, in dem er geme¬ in war. als ein „schmutziges" bezeichnet wurde. Wir müssen leider beken¬ nen, daß uns selten ein geschmackloseres Schriftstück vorgekommen ist und daß wir hinterher sehr erstaunt gewesen sind zu erfahren. daß dasselbe von Ol-, Perry, einem fein gebildeten und literarisch rühmlichst bewährten Manne, auf-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/113>, abgerufen am 26.08.2024.