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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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großen Hochzeiten werden ganze Kühe, Kälber, Hammel und Schweine ver¬
zehrt. Bei einer derselben verbrauchte man an Weizenmehl 25 Scheffel, an
Zucker 26 Hüte.

Charakteristisch ist, daß die Butter in Gestalt eines Hahnes auf den Tisch
kommt. Eine eigenthümliche Speise ist der "grotc Klump", ein gewaltiger
Kloß aus geriebenem Zwieback, Rosinen, Gewürzen und Butter. Er ist dos
volksthümliche Pfingstgericht. äußerst wohlschmeckend, aber auch sehr fett und
schwer. An Getränken gibt es Schnaps, Punsch und Weißwein, den man
sich mit Zucker versüßt, selten Rothwein. Die Schaffner sind während des
Mahles in steter Bewegung. Sie tragen den Gästen die schweren dampfenden
Schüsseln unter dem fortwährenden, zur Vorsicht mahnenden Rufe: "Hetigkeit!
Hetigkeit!" zu. (Hetigkeit d. i. Heißigkeit.) Das Essen dauert gegen sechs
Stunden und jeder ist mit allen Kräften bestrebt, so viel als möglich darin
zu leisten. Gelegentlich läßt sich die Musik hören, für welche dann eingesammelt
wird. Zum Schluß kommt die Köchin, ein Büschel glimmendes Werg in der
Hand, um sich unter dem Borgeben, daß sie beim Kochen ihre Hand verbrannt
habe, von den Gästen ein Trinkgeld zu erbitten.

Nach Tische steckt man die Pfeife an und trinkt Kaffee. Darm folgt auf
der Diele ein Ball, der mehre Stunden währt, und bei welchem noch verschie¬
dene alterthümliche Tänze getanzt werden. Dahin gehört zunächst der. wel¬
cher "Schöndör und stolz" heißt, eine Quadrille mit zwei Touren, bei deren
erster vier Personen kreuzweise durcheinander (schön durch) tanzen, während sie
bei der zweiten die Arme in die Seiten gestemmt, (stolz) einhergehen. Sodann
ist hierher der ..Auskchr" zu zählen, eine Polonaise, welche gegen das Ende
der Festlichkeit von allen Theilnehmern an derselben getanzt wird. Alt und
jung, jedes mit einem Werkzeug der Wirthschaft bewaffnet (nur Besen find
verboten, da sie Unglück bringen würden) zieht dabei nach der Melodie: "Un
as de Grotvare de Grotmodcr nahm" durch das Haus, durch Thüren und
wmster, in die Ställe, auf den Heuboden, und es gibt manche ergötzliche Scene.
Endlich gebört in diese Reihe der Tanz, welcher, "Nückclreih" genannt, die
eigentliche Hochzeitsfeier um die Mitternacht des Freitags schließt. Sein Zweck
^ör, die Braut "auszutauzen", nämlich aus der Gemeinschaft der Unverheiratheten,
zu der sie bisher gehörte. Zwei Bursche nehmen sie zwischen sich, um sie
schließen die jungen Mädchen, sich an den Händen fassend einen Kreis, welcher
wieder ebenso von den ledigen Mannspersonen umkreist wird, doch der Art,
daß sich in diesen, äußern Kreise zwei Männer nicht angefaßt haben. Der
e>"e von diesen reitet auf einer Gaffel (einer beim Dreschen gebrauchten höl¬
zernen Gabel), während der andere ihn mit knallender Peitsche antreibt. So¬
lort drehen sich beide Kreise um die Braut, und der Bräutigam muß nun
verbunden, jene von außen her durchbrechend zu der Braut zu gelangen. Ist


Grenzboten I. 1861. iz

großen Hochzeiten werden ganze Kühe, Kälber, Hammel und Schweine ver¬
zehrt. Bei einer derselben verbrauchte man an Weizenmehl 25 Scheffel, an
Zucker 26 Hüte.

Charakteristisch ist, daß die Butter in Gestalt eines Hahnes auf den Tisch
kommt. Eine eigenthümliche Speise ist der „grotc Klump", ein gewaltiger
Kloß aus geriebenem Zwieback, Rosinen, Gewürzen und Butter. Er ist dos
volksthümliche Pfingstgericht. äußerst wohlschmeckend, aber auch sehr fett und
schwer. An Getränken gibt es Schnaps, Punsch und Weißwein, den man
sich mit Zucker versüßt, selten Rothwein. Die Schaffner sind während des
Mahles in steter Bewegung. Sie tragen den Gästen die schweren dampfenden
Schüsseln unter dem fortwährenden, zur Vorsicht mahnenden Rufe: „Hetigkeit!
Hetigkeit!" zu. (Hetigkeit d. i. Heißigkeit.) Das Essen dauert gegen sechs
Stunden und jeder ist mit allen Kräften bestrebt, so viel als möglich darin
zu leisten. Gelegentlich läßt sich die Musik hören, für welche dann eingesammelt
wird. Zum Schluß kommt die Köchin, ein Büschel glimmendes Werg in der
Hand, um sich unter dem Borgeben, daß sie beim Kochen ihre Hand verbrannt
habe, von den Gästen ein Trinkgeld zu erbitten.

Nach Tische steckt man die Pfeife an und trinkt Kaffee. Darm folgt auf
der Diele ein Ball, der mehre Stunden währt, und bei welchem noch verschie¬
dene alterthümliche Tänze getanzt werden. Dahin gehört zunächst der. wel¬
cher „Schöndör und stolz" heißt, eine Quadrille mit zwei Touren, bei deren
erster vier Personen kreuzweise durcheinander (schön durch) tanzen, während sie
bei der zweiten die Arme in die Seiten gestemmt, (stolz) einhergehen. Sodann
ist hierher der ..Auskchr" zu zählen, eine Polonaise, welche gegen das Ende
der Festlichkeit von allen Theilnehmern an derselben getanzt wird. Alt und
jung, jedes mit einem Werkzeug der Wirthschaft bewaffnet (nur Besen find
verboten, da sie Unglück bringen würden) zieht dabei nach der Melodie: „Un
as de Grotvare de Grotmodcr nahm" durch das Haus, durch Thüren und
wmster, in die Ställe, auf den Heuboden, und es gibt manche ergötzliche Scene.
Endlich gebört in diese Reihe der Tanz, welcher, „Nückclreih" genannt, die
eigentliche Hochzeitsfeier um die Mitternacht des Freitags schließt. Sein Zweck
^ör, die Braut „auszutauzen", nämlich aus der Gemeinschaft der Unverheiratheten,
zu der sie bisher gehörte. Zwei Bursche nehmen sie zwischen sich, um sie
schließen die jungen Mädchen, sich an den Händen fassend einen Kreis, welcher
wieder ebenso von den ledigen Mannspersonen umkreist wird, doch der Art,
daß sich in diesen, äußern Kreise zwei Männer nicht angefaßt haben. Der
e>"e von diesen reitet auf einer Gaffel (einer beim Dreschen gebrauchten höl¬
zernen Gabel), während der andere ihn mit knallender Peitsche antreibt. So¬
lort drehen sich beide Kreise um die Braut, und der Bräutigam muß nun
verbunden, jene von außen her durchbrechend zu der Braut zu gelangen. Ist


Grenzboten I. 1861. iz
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[0107] großen Hochzeiten werden ganze Kühe, Kälber, Hammel und Schweine ver¬ zehrt. Bei einer derselben verbrauchte man an Weizenmehl 25 Scheffel, an Zucker 26 Hüte. Charakteristisch ist, daß die Butter in Gestalt eines Hahnes auf den Tisch kommt. Eine eigenthümliche Speise ist der „grotc Klump", ein gewaltiger Kloß aus geriebenem Zwieback, Rosinen, Gewürzen und Butter. Er ist dos volksthümliche Pfingstgericht. äußerst wohlschmeckend, aber auch sehr fett und schwer. An Getränken gibt es Schnaps, Punsch und Weißwein, den man sich mit Zucker versüßt, selten Rothwein. Die Schaffner sind während des Mahles in steter Bewegung. Sie tragen den Gästen die schweren dampfenden Schüsseln unter dem fortwährenden, zur Vorsicht mahnenden Rufe: „Hetigkeit! Hetigkeit!" zu. (Hetigkeit d. i. Heißigkeit.) Das Essen dauert gegen sechs Stunden und jeder ist mit allen Kräften bestrebt, so viel als möglich darin zu leisten. Gelegentlich läßt sich die Musik hören, für welche dann eingesammelt wird. Zum Schluß kommt die Köchin, ein Büschel glimmendes Werg in der Hand, um sich unter dem Borgeben, daß sie beim Kochen ihre Hand verbrannt habe, von den Gästen ein Trinkgeld zu erbitten. Nach Tische steckt man die Pfeife an und trinkt Kaffee. Darm folgt auf der Diele ein Ball, der mehre Stunden währt, und bei welchem noch verschie¬ dene alterthümliche Tänze getanzt werden. Dahin gehört zunächst der. wel¬ cher „Schöndör und stolz" heißt, eine Quadrille mit zwei Touren, bei deren erster vier Personen kreuzweise durcheinander (schön durch) tanzen, während sie bei der zweiten die Arme in die Seiten gestemmt, (stolz) einhergehen. Sodann ist hierher der ..Auskchr" zu zählen, eine Polonaise, welche gegen das Ende der Festlichkeit von allen Theilnehmern an derselben getanzt wird. Alt und jung, jedes mit einem Werkzeug der Wirthschaft bewaffnet (nur Besen find verboten, da sie Unglück bringen würden) zieht dabei nach der Melodie: „Un as de Grotvare de Grotmodcr nahm" durch das Haus, durch Thüren und wmster, in die Ställe, auf den Heuboden, und es gibt manche ergötzliche Scene. Endlich gebört in diese Reihe der Tanz, welcher, „Nückclreih" genannt, die eigentliche Hochzeitsfeier um die Mitternacht des Freitags schließt. Sein Zweck ^ör, die Braut „auszutauzen", nämlich aus der Gemeinschaft der Unverheiratheten, zu der sie bisher gehörte. Zwei Bursche nehmen sie zwischen sich, um sie schließen die jungen Mädchen, sich an den Händen fassend einen Kreis, welcher wieder ebenso von den ledigen Mannspersonen umkreist wird, doch der Art, daß sich in diesen, äußern Kreise zwei Männer nicht angefaßt haben. Der e>"e von diesen reitet auf einer Gaffel (einer beim Dreschen gebrauchten höl¬ zernen Gabel), während der andere ihn mit knallender Peitsche antreibt. So¬ lort drehen sich beide Kreise um die Braut, und der Bräutigam muß nun verbunden, jene von außen her durchbrechend zu der Braut zu gelangen. Ist Grenzboten I. 1861. iz

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/107>, abgerufen am 25.08.2024.