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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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Die Familienfeste der Dorfbewohner beschränken sich auf Taufschmäufe
Hochzeiten und Leichenessen. Statt der Taufschmäuse gibt es jetzt in vielen
Gegenden nur noch einen Kaffee mit Stuten. Mit großen Ceremonien und
nicht unbedeutendem Aufwand dagegen werden die Hochzeiten gefeiert, an denen
fast immer das ganze Dorf theilnimmt. Man wählt in der Regel zur Ber-
heirathung den Herbst; für den günstigsten Tag gilt (wie in Holstein) der
Freitag, doch darf er nicht auf den 13. oder 17. Tag des Monats fallen.
Ein wichtiger Gegenstand der zu diesem Zweck angestellten Familicnberathung
ist die Wahl der Köchin. Sie muß nicht blos gut kochen können, sondern
auch wissen^ was sich schickt und nicht schickt, unter Anderm, daß man Fremde
nicht in die Töpfe gucken lassen darf, weil sie damit dem Brautpaar etwas
anthun tonnen, ferner, daß man bösen Zauber von Neidern, der zum Beispiel
durch einen kreuzweise an das Bratenfeuer gelegten Strohhalm geübt werde"
kann, am schnellsten unwirksam macht, wenn man sofort erst über die rechte,
dann über die linke Schulter spuckt u. s. w. Ein andrer Gegenstand der
Ueberlegung ist der Hochzeitsbittcr (Köstenbidder), doch nimmt man dazu in
der Regel den Großknecht des Brautvaters, und nur wenn dieser zu wenig
Witz und Geschick hat, denkt man an einen andern.

Der Köstenbidder ist. wenn er seine Aufträge ausrichtet, beritten. Sein
Pferd muß das beste des Stalles und gut gefüttert und gestriegelt sein, sonst
gibt es ein Unglück. Mähne und Schweif werden in viele kleine Zöpfe ge¬
flochten, der Hochzeitsbittcr selbst mit Sträußen von künstlichen Blumen, Flitter¬
gold und Glasperlen an Hut, Brust und Achseln geschmückt. Dann beginnt
N' seinen Ritt, um den verschiedenen Gästen seine Botschaft in zierlichen Rei¬
men vorzutragen. In jedem Hause, wo er einspricht, erhält er ein Glas
Wein oder Branntwein und sein Pferd ein langes buntes Seitenhaut, welches
an einem der vielen kleinen Zöpfe befestigt wird. Man kann sich vorstellen,
welch eine groteske Erscheinung ein solcher Reiter ist, wenn er nach Ausrichtung
von einem halben oder ganzen Hundert Einladungen, den Kopf voll Wein
Mit lautem Johlen und Jauchzen durch die Dörfer nach Hause gnloppirt.

In einigen Gegenden des Landes, wo der Bater des Bräutigams die
Hochzeit auszurichten hat. beginnt die letztere am Abend des Donnerstags
damit, jdaß die Aussteuer der Braut nach der Wohnung ihres Zukünftigen
"hingeblasen" wird, wobei die verschiedenen Koffer oder Laden einzeln auf
vierspännigen Wagen gefahren werden. Der blaubemalte "Staatskoffer",
welcher das beste Leinenzeug enthält, nimmt als Hauptstück den ersten Wagen
co- Im Dorfe sind alle Gehöfte weit geöffnet, nur das des Bräutigams ist
sorgsam verriegelt, und dieser stellt sich, als sähe und hörte er von dein ganzen
Aufzuge nicht' das Mindeste. Erst auf ein furchbarcs Geschmetter der Musik,
gewaltiges Peitschenknallen und Pochen an das Hofthor nimmt er von den


Die Familienfeste der Dorfbewohner beschränken sich auf Taufschmäufe
Hochzeiten und Leichenessen. Statt der Taufschmäuse gibt es jetzt in vielen
Gegenden nur noch einen Kaffee mit Stuten. Mit großen Ceremonien und
nicht unbedeutendem Aufwand dagegen werden die Hochzeiten gefeiert, an denen
fast immer das ganze Dorf theilnimmt. Man wählt in der Regel zur Ber-
heirathung den Herbst; für den günstigsten Tag gilt (wie in Holstein) der
Freitag, doch darf er nicht auf den 13. oder 17. Tag des Monats fallen.
Ein wichtiger Gegenstand der zu diesem Zweck angestellten Familicnberathung
ist die Wahl der Köchin. Sie muß nicht blos gut kochen können, sondern
auch wissen^ was sich schickt und nicht schickt, unter Anderm, daß man Fremde
nicht in die Töpfe gucken lassen darf, weil sie damit dem Brautpaar etwas
anthun tonnen, ferner, daß man bösen Zauber von Neidern, der zum Beispiel
durch einen kreuzweise an das Bratenfeuer gelegten Strohhalm geübt werde»
kann, am schnellsten unwirksam macht, wenn man sofort erst über die rechte,
dann über die linke Schulter spuckt u. s. w. Ein andrer Gegenstand der
Ueberlegung ist der Hochzeitsbittcr (Köstenbidder), doch nimmt man dazu in
der Regel den Großknecht des Brautvaters, und nur wenn dieser zu wenig
Witz und Geschick hat, denkt man an einen andern.

Der Köstenbidder ist. wenn er seine Aufträge ausrichtet, beritten. Sein
Pferd muß das beste des Stalles und gut gefüttert und gestriegelt sein, sonst
gibt es ein Unglück. Mähne und Schweif werden in viele kleine Zöpfe ge¬
flochten, der Hochzeitsbittcr selbst mit Sträußen von künstlichen Blumen, Flitter¬
gold und Glasperlen an Hut, Brust und Achseln geschmückt. Dann beginnt
N' seinen Ritt, um den verschiedenen Gästen seine Botschaft in zierlichen Rei¬
men vorzutragen. In jedem Hause, wo er einspricht, erhält er ein Glas
Wein oder Branntwein und sein Pferd ein langes buntes Seitenhaut, welches
an einem der vielen kleinen Zöpfe befestigt wird. Man kann sich vorstellen,
welch eine groteske Erscheinung ein solcher Reiter ist, wenn er nach Ausrichtung
von einem halben oder ganzen Hundert Einladungen, den Kopf voll Wein
Mit lautem Johlen und Jauchzen durch die Dörfer nach Hause gnloppirt.

In einigen Gegenden des Landes, wo der Bater des Bräutigams die
Hochzeit auszurichten hat. beginnt die letztere am Abend des Donnerstags
damit, jdaß die Aussteuer der Braut nach der Wohnung ihres Zukünftigen
»hingeblasen" wird, wobei die verschiedenen Koffer oder Laden einzeln auf
vierspännigen Wagen gefahren werden. Der blaubemalte „Staatskoffer",
welcher das beste Leinenzeug enthält, nimmt als Hauptstück den ersten Wagen
co- Im Dorfe sind alle Gehöfte weit geöffnet, nur das des Bräutigams ist
sorgsam verriegelt, und dieser stellt sich, als sähe und hörte er von dein ganzen
Aufzuge nicht' das Mindeste. Erst auf ein furchbarcs Geschmetter der Musik,
gewaltiges Peitschenknallen und Pochen an das Hofthor nimmt er von den


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[0105] Die Familienfeste der Dorfbewohner beschränken sich auf Taufschmäufe Hochzeiten und Leichenessen. Statt der Taufschmäuse gibt es jetzt in vielen Gegenden nur noch einen Kaffee mit Stuten. Mit großen Ceremonien und nicht unbedeutendem Aufwand dagegen werden die Hochzeiten gefeiert, an denen fast immer das ganze Dorf theilnimmt. Man wählt in der Regel zur Ber- heirathung den Herbst; für den günstigsten Tag gilt (wie in Holstein) der Freitag, doch darf er nicht auf den 13. oder 17. Tag des Monats fallen. Ein wichtiger Gegenstand der zu diesem Zweck angestellten Familicnberathung ist die Wahl der Köchin. Sie muß nicht blos gut kochen können, sondern auch wissen^ was sich schickt und nicht schickt, unter Anderm, daß man Fremde nicht in die Töpfe gucken lassen darf, weil sie damit dem Brautpaar etwas anthun tonnen, ferner, daß man bösen Zauber von Neidern, der zum Beispiel durch einen kreuzweise an das Bratenfeuer gelegten Strohhalm geübt werde» kann, am schnellsten unwirksam macht, wenn man sofort erst über die rechte, dann über die linke Schulter spuckt u. s. w. Ein andrer Gegenstand der Ueberlegung ist der Hochzeitsbittcr (Köstenbidder), doch nimmt man dazu in der Regel den Großknecht des Brautvaters, und nur wenn dieser zu wenig Witz und Geschick hat, denkt man an einen andern. Der Köstenbidder ist. wenn er seine Aufträge ausrichtet, beritten. Sein Pferd muß das beste des Stalles und gut gefüttert und gestriegelt sein, sonst gibt es ein Unglück. Mähne und Schweif werden in viele kleine Zöpfe ge¬ flochten, der Hochzeitsbittcr selbst mit Sträußen von künstlichen Blumen, Flitter¬ gold und Glasperlen an Hut, Brust und Achseln geschmückt. Dann beginnt N' seinen Ritt, um den verschiedenen Gästen seine Botschaft in zierlichen Rei¬ men vorzutragen. In jedem Hause, wo er einspricht, erhält er ein Glas Wein oder Branntwein und sein Pferd ein langes buntes Seitenhaut, welches an einem der vielen kleinen Zöpfe befestigt wird. Man kann sich vorstellen, welch eine groteske Erscheinung ein solcher Reiter ist, wenn er nach Ausrichtung von einem halben oder ganzen Hundert Einladungen, den Kopf voll Wein Mit lautem Johlen und Jauchzen durch die Dörfer nach Hause gnloppirt. In einigen Gegenden des Landes, wo der Bater des Bräutigams die Hochzeit auszurichten hat. beginnt die letztere am Abend des Donnerstags damit, jdaß die Aussteuer der Braut nach der Wohnung ihres Zukünftigen »hingeblasen" wird, wobei die verschiedenen Koffer oder Laden einzeln auf vierspännigen Wagen gefahren werden. Der blaubemalte „Staatskoffer", welcher das beste Leinenzeug enthält, nimmt als Hauptstück den ersten Wagen co- Im Dorfe sind alle Gehöfte weit geöffnet, nur das des Bräutigams ist sorgsam verriegelt, und dieser stellt sich, als sähe und hörte er von dein ganzen Aufzuge nicht' das Mindeste. Erst auf ein furchbarcs Geschmetter der Musik, gewaltiges Peitschenknallen und Pochen an das Hofthor nimmt er von den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/105>, abgerufen am 25.08.2024.