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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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den grünen Gemüsen der Jahreszeit mit Kartoffeln, Speck und Schinken be¬
steht. Sonn- und Festtage fügen dazu noch Pfannenkuchen, "Appclbackbeern"
(Backobst), dicken Reis mit gekochtem Nind- oder Hammelfleisch (Grapen-
braden) und getrockneten Pflaumen. Ein Lieblingsgericht ist Reis und Klöße,
das beliebteste Fleisch Schweinefleisch, besonders Rippenbraten, der mit Pflaumen
gestopft ist. "Gösbraden". sagt der Bauer, "fall de beste sieu, awer Swien-
bratcn is't." Um 4 Uhr folgt ein "Abendbrot" von Brot. Butter. Speck
und Schinken, dann schließt man mit der Nachtlose, die gewöhnlich wieder
ein Kartoffelgericht ist. Das Hauptnahrungsmittel ist grobes, aus üngesich-
tetem Roggenmehl gebacknes Brot, das dem westphälischen Pumpernickel gleicht.
Weizenbrod (Stuten) gilt auf dem Lande noch allenthalben als Leckerbissen.
Milchspeisen ißt man gern, aber nicht oft. Kartoffeln genießt der Bauer von
altem Schrot und Korn nur wenn er muß. Die Städter nennt er verächtlich
"Kantüffelbük" (Kartoffelbäuche), eine dicke rothe Nase "Kantüffelsnut". Ob¬
gleich der See nahe, macht sich der hiesige Bauer wenig aus Fischen, höch¬
stens befaßt er sich mit "Butt" (Plattfischen) und "grünen" d. h. frischen
Heringen. Eine Ausnahme ist die Gegend bei Dargun, wo man bei allen
festlichen Gelegenheiten Fische die Hauptrolle bei Tische spielen sieht. Obst¬
mus bekommen nur die Kinder zum Brot. Käse wird, da er nicht fett genug
ist, wenig gegessen und daher auch wenig bereitet. Von würzender Zuthat
zu den Speisen kennt man fast nur Zwiebeln und Salz. Senf und Pfeffer
werden selbst in den Städten weniger gebraucht als im südlichen Deutschland.
Die Volksküche sieht überhaupt hier nicht so sehr auf das Was und Wie,
als auf das Wieviel. Unglaubliche Massen schwerwiegender fetter Speisen
werden, wenn es gilt', in stundenlangen Sitzungen dem Magen einverleibt,
dessen Winkel, wenn man aufsteht, allesammt gefüllt sein müssen. Jeder ar¬
beitet mit emsigen Bemühen aus Dickbäuchigkeit hin; denn "de Wind", sagt
das Sprichwort, "weiht wol Barg tausamm. awer keen dick Buel."

So reinlich die Leute im Allgemeinen, zumal in der Kleidung sind, so
"unnasch" geht es in der Regel beim Essen zu. Das Salz wird an die.Speisen
gethan, um den Magen auszuscheuern, und das kann, meint der Bauer, ein
Bischen Sand oder Schmutz auch. Das Tischtuch ist da, damit man sich vor
dem Aufstehen Finger und Mund daran abwische. Alle essen aus einer großen
Schüssel. Nach der Mahlzeit leckt man sorgfältig seinen Löffel ab, bevor man ihn
an den an der Wand befestigten Riemen steckt. Im westlichen Theil des
Landes, besonders unter den ratzeburger Bauern, wo überhaupt mehr Bildung
und feinere Sitten herrschen, trifft man mehr Reinlichkeit und Anstand, als
im östlichen und südlichen. Die Hufen sind hier größer, die Bauern Besitzer,
nicht blos Pächter des Landes, auch haben diese Gegenden weniger als andere
von den Nachwehen des dreißig- und des siebenjährigen Krieges zu leiden gehabt.


den grünen Gemüsen der Jahreszeit mit Kartoffeln, Speck und Schinken be¬
steht. Sonn- und Festtage fügen dazu noch Pfannenkuchen, „Appclbackbeern"
(Backobst), dicken Reis mit gekochtem Nind- oder Hammelfleisch (Grapen-
braden) und getrockneten Pflaumen. Ein Lieblingsgericht ist Reis und Klöße,
das beliebteste Fleisch Schweinefleisch, besonders Rippenbraten, der mit Pflaumen
gestopft ist. „Gösbraden". sagt der Bauer, „fall de beste sieu, awer Swien-
bratcn is't." Um 4 Uhr folgt ein „Abendbrot" von Brot. Butter. Speck
und Schinken, dann schließt man mit der Nachtlose, die gewöhnlich wieder
ein Kartoffelgericht ist. Das Hauptnahrungsmittel ist grobes, aus üngesich-
tetem Roggenmehl gebacknes Brot, das dem westphälischen Pumpernickel gleicht.
Weizenbrod (Stuten) gilt auf dem Lande noch allenthalben als Leckerbissen.
Milchspeisen ißt man gern, aber nicht oft. Kartoffeln genießt der Bauer von
altem Schrot und Korn nur wenn er muß. Die Städter nennt er verächtlich
„Kantüffelbük" (Kartoffelbäuche), eine dicke rothe Nase „Kantüffelsnut". Ob¬
gleich der See nahe, macht sich der hiesige Bauer wenig aus Fischen, höch¬
stens befaßt er sich mit „Butt" (Plattfischen) und „grünen" d. h. frischen
Heringen. Eine Ausnahme ist die Gegend bei Dargun, wo man bei allen
festlichen Gelegenheiten Fische die Hauptrolle bei Tische spielen sieht. Obst¬
mus bekommen nur die Kinder zum Brot. Käse wird, da er nicht fett genug
ist, wenig gegessen und daher auch wenig bereitet. Von würzender Zuthat
zu den Speisen kennt man fast nur Zwiebeln und Salz. Senf und Pfeffer
werden selbst in den Städten weniger gebraucht als im südlichen Deutschland.
Die Volksküche sieht überhaupt hier nicht so sehr auf das Was und Wie,
als auf das Wieviel. Unglaubliche Massen schwerwiegender fetter Speisen
werden, wenn es gilt', in stundenlangen Sitzungen dem Magen einverleibt,
dessen Winkel, wenn man aufsteht, allesammt gefüllt sein müssen. Jeder ar¬
beitet mit emsigen Bemühen aus Dickbäuchigkeit hin; denn „de Wind", sagt
das Sprichwort, „weiht wol Barg tausamm. awer keen dick Buel."

So reinlich die Leute im Allgemeinen, zumal in der Kleidung sind, so
„unnasch" geht es in der Regel beim Essen zu. Das Salz wird an die.Speisen
gethan, um den Magen auszuscheuern, und das kann, meint der Bauer, ein
Bischen Sand oder Schmutz auch. Das Tischtuch ist da, damit man sich vor
dem Aufstehen Finger und Mund daran abwische. Alle essen aus einer großen
Schüssel. Nach der Mahlzeit leckt man sorgfältig seinen Löffel ab, bevor man ihn
an den an der Wand befestigten Riemen steckt. Im westlichen Theil des
Landes, besonders unter den ratzeburger Bauern, wo überhaupt mehr Bildung
und feinere Sitten herrschen, trifft man mehr Reinlichkeit und Anstand, als
im östlichen und südlichen. Die Hufen sind hier größer, die Bauern Besitzer,
nicht blos Pächter des Landes, auch haben diese Gegenden weniger als andere
von den Nachwehen des dreißig- und des siebenjährigen Krieges zu leiden gehabt.


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[0104] den grünen Gemüsen der Jahreszeit mit Kartoffeln, Speck und Schinken be¬ steht. Sonn- und Festtage fügen dazu noch Pfannenkuchen, „Appclbackbeern" (Backobst), dicken Reis mit gekochtem Nind- oder Hammelfleisch (Grapen- braden) und getrockneten Pflaumen. Ein Lieblingsgericht ist Reis und Klöße, das beliebteste Fleisch Schweinefleisch, besonders Rippenbraten, der mit Pflaumen gestopft ist. „Gösbraden". sagt der Bauer, „fall de beste sieu, awer Swien- bratcn is't." Um 4 Uhr folgt ein „Abendbrot" von Brot. Butter. Speck und Schinken, dann schließt man mit der Nachtlose, die gewöhnlich wieder ein Kartoffelgericht ist. Das Hauptnahrungsmittel ist grobes, aus üngesich- tetem Roggenmehl gebacknes Brot, das dem westphälischen Pumpernickel gleicht. Weizenbrod (Stuten) gilt auf dem Lande noch allenthalben als Leckerbissen. Milchspeisen ißt man gern, aber nicht oft. Kartoffeln genießt der Bauer von altem Schrot und Korn nur wenn er muß. Die Städter nennt er verächtlich „Kantüffelbük" (Kartoffelbäuche), eine dicke rothe Nase „Kantüffelsnut". Ob¬ gleich der See nahe, macht sich der hiesige Bauer wenig aus Fischen, höch¬ stens befaßt er sich mit „Butt" (Plattfischen) und „grünen" d. h. frischen Heringen. Eine Ausnahme ist die Gegend bei Dargun, wo man bei allen festlichen Gelegenheiten Fische die Hauptrolle bei Tische spielen sieht. Obst¬ mus bekommen nur die Kinder zum Brot. Käse wird, da er nicht fett genug ist, wenig gegessen und daher auch wenig bereitet. Von würzender Zuthat zu den Speisen kennt man fast nur Zwiebeln und Salz. Senf und Pfeffer werden selbst in den Städten weniger gebraucht als im südlichen Deutschland. Die Volksküche sieht überhaupt hier nicht so sehr auf das Was und Wie, als auf das Wieviel. Unglaubliche Massen schwerwiegender fetter Speisen werden, wenn es gilt', in stundenlangen Sitzungen dem Magen einverleibt, dessen Winkel, wenn man aufsteht, allesammt gefüllt sein müssen. Jeder ar¬ beitet mit emsigen Bemühen aus Dickbäuchigkeit hin; denn „de Wind", sagt das Sprichwort, „weiht wol Barg tausamm. awer keen dick Buel." So reinlich die Leute im Allgemeinen, zumal in der Kleidung sind, so „unnasch" geht es in der Regel beim Essen zu. Das Salz wird an die.Speisen gethan, um den Magen auszuscheuern, und das kann, meint der Bauer, ein Bischen Sand oder Schmutz auch. Das Tischtuch ist da, damit man sich vor dem Aufstehen Finger und Mund daran abwische. Alle essen aus einer großen Schüssel. Nach der Mahlzeit leckt man sorgfältig seinen Löffel ab, bevor man ihn an den an der Wand befestigten Riemen steckt. Im westlichen Theil des Landes, besonders unter den ratzeburger Bauern, wo überhaupt mehr Bildung und feinere Sitten herrschen, trifft man mehr Reinlichkeit und Anstand, als im östlichen und südlichen. Die Hufen sind hier größer, die Bauern Besitzer, nicht blos Pächter des Landes, auch haben diese Gegenden weniger als andere von den Nachwehen des dreißig- und des siebenjährigen Krieges zu leiden gehabt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/104>, abgerufen am 25.08.2024.