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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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leihen handelte oder die allgemeine Gesetzgebung betraf, immer und immer
ein wesentliches Hemmniß geworden.

Sehr deutlich zeigen dies diejenigen Verhandlungen, welche über die Fort¬
führung der mecklenburgischen Eisenbahn von Güstrow über Neubrandenburg
nach Stettin hin, und über die Beschaffung der nach dem Voranschlage die
Summe von 5^/2 Mill. Thalern nicht übersteigenden Anlagekosten gepflogen
wurden. Mit Ausnahme verhältnismäßig sehr weniger Stimmen war der
Nutzen einer solchen Bahn nicht nur im ganzen Lande, sondern auch im Schooße
der Ständeversammlung anerkannt, und auch die dissentirenden Ansichten waren
mehr gegen unwichtigere Nebenpunkte. als gegen die Sache selbst gerichtet.
Es wurde deshalb auch bei den Verhandlungen aus dem Landtage das Project
nicht gradezu verworfen, sondern einfach verschleppt. Das geschah deshalb,
weil aus einer nähern Verbindung mit Preußen der demnächstige Anschluß
an den Zollverein sich wie ein drohendes Gespenst vor den Augen der Ritter¬
schaft erhob, noch mehr aber deshalb, weil die Landschaft ihre Zustimmung
zum Bau der Eisenbahn bedauerlich davon abhängig machte', daß zuvor eine
Reform der mecklenburgischen Steuer- und Zollverhältnisse vereinbart werde,
und als sie dies nicht erreichen konnte, von dem Rechte der illo in xartes
Gebrauch machte und ihr Veto gegen den Bau einlegte. Wir bedauern dies
von Seiten der Landschaft aufs Tiefste; denn es ist immer ein politischer Fehler,
wenn man das eine erreichbare Gute hemmt, weil man das andre Gute nicht
erreichen kann. Allerdings ging ihr Schritt aus der Befürchtung hervor, daß
bei dem Fortbestehn der jetzigen Steuerverhältnisse die Städte durch die neue
Eisenbahn leiden würden. Aber theils war dies keineswegs eine nothwendige
und evident voraus zu erkennende Folge, theils hätte, wäre sie eingetreten,
das bestehende Steuersystem um so gewisser fallen müssen.

Ueber die Reform des letztern ist in dieser Zeitschrift schon früher gespro¬
chen. Man mag über deren Wesen und Ziel verschiedner Ansicht sein, aber
ihre Nothwendigkeit, ihre dringende Nothwendigkeit leugnet Niemand. Dennoch
ist sie nach jahrelangem Hinschleppen einem gedeihlichen Abschlüsse noch um
keinen Schritt näher gebracht. Der Grund ist hier darin zu suchen, daß mit
jeglicher Aenderung des bestehenden Systems namentlich und fast ausschließlich
auf Seiten der Ritterschaft eine Menge von Sondennteresscn berührt werden,
denen man nicht entsagen will, weil sie ans dem Boden des Landesgrundgcsctzlichen
Erbvergleichs beruhn. Es soll einmal die Gesammtstellung ungestört in dem
Maße, wie sie durch diesen geordnet ist. bis aufs Aeußerste erhalten werden.

In Hinsicht auf die Rechtspflege ist es noch nicht zu einer einheitlichen,
zeitgemäßen Gesetzgebung gekommen. Das hat sich besonders in neuerer Zeit fühl¬
bar gemacht, und es ist alUrdings schreienden Uebelstünden bis zu einem gewissen
Grade abgeholfen. Es können aber alle diese Abhilfen auf dauernden Werth


leihen handelte oder die allgemeine Gesetzgebung betraf, immer und immer
ein wesentliches Hemmniß geworden.

Sehr deutlich zeigen dies diejenigen Verhandlungen, welche über die Fort¬
führung der mecklenburgischen Eisenbahn von Güstrow über Neubrandenburg
nach Stettin hin, und über die Beschaffung der nach dem Voranschlage die
Summe von 5^/2 Mill. Thalern nicht übersteigenden Anlagekosten gepflogen
wurden. Mit Ausnahme verhältnismäßig sehr weniger Stimmen war der
Nutzen einer solchen Bahn nicht nur im ganzen Lande, sondern auch im Schooße
der Ständeversammlung anerkannt, und auch die dissentirenden Ansichten waren
mehr gegen unwichtigere Nebenpunkte. als gegen die Sache selbst gerichtet.
Es wurde deshalb auch bei den Verhandlungen aus dem Landtage das Project
nicht gradezu verworfen, sondern einfach verschleppt. Das geschah deshalb,
weil aus einer nähern Verbindung mit Preußen der demnächstige Anschluß
an den Zollverein sich wie ein drohendes Gespenst vor den Augen der Ritter¬
schaft erhob, noch mehr aber deshalb, weil die Landschaft ihre Zustimmung
zum Bau der Eisenbahn bedauerlich davon abhängig machte', daß zuvor eine
Reform der mecklenburgischen Steuer- und Zollverhältnisse vereinbart werde,
und als sie dies nicht erreichen konnte, von dem Rechte der illo in xartes
Gebrauch machte und ihr Veto gegen den Bau einlegte. Wir bedauern dies
von Seiten der Landschaft aufs Tiefste; denn es ist immer ein politischer Fehler,
wenn man das eine erreichbare Gute hemmt, weil man das andre Gute nicht
erreichen kann. Allerdings ging ihr Schritt aus der Befürchtung hervor, daß
bei dem Fortbestehn der jetzigen Steuerverhältnisse die Städte durch die neue
Eisenbahn leiden würden. Aber theils war dies keineswegs eine nothwendige
und evident voraus zu erkennende Folge, theils hätte, wäre sie eingetreten,
das bestehende Steuersystem um so gewisser fallen müssen.

Ueber die Reform des letztern ist in dieser Zeitschrift schon früher gespro¬
chen. Man mag über deren Wesen und Ziel verschiedner Ansicht sein, aber
ihre Nothwendigkeit, ihre dringende Nothwendigkeit leugnet Niemand. Dennoch
ist sie nach jahrelangem Hinschleppen einem gedeihlichen Abschlüsse noch um
keinen Schritt näher gebracht. Der Grund ist hier darin zu suchen, daß mit
jeglicher Aenderung des bestehenden Systems namentlich und fast ausschließlich
auf Seiten der Ritterschaft eine Menge von Sondennteresscn berührt werden,
denen man nicht entsagen will, weil sie ans dem Boden des Landesgrundgcsctzlichen
Erbvergleichs beruhn. Es soll einmal die Gesammtstellung ungestört in dem
Maße, wie sie durch diesen geordnet ist. bis aufs Aeußerste erhalten werden.

In Hinsicht auf die Rechtspflege ist es noch nicht zu einer einheitlichen,
zeitgemäßen Gesetzgebung gekommen. Das hat sich besonders in neuerer Zeit fühl¬
bar gemacht, und es ist alUrdings schreienden Uebelstünden bis zu einem gewissen
Grade abgeholfen. Es können aber alle diese Abhilfen auf dauernden Werth


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[0097] leihen handelte oder die allgemeine Gesetzgebung betraf, immer und immer ein wesentliches Hemmniß geworden. Sehr deutlich zeigen dies diejenigen Verhandlungen, welche über die Fort¬ führung der mecklenburgischen Eisenbahn von Güstrow über Neubrandenburg nach Stettin hin, und über die Beschaffung der nach dem Voranschlage die Summe von 5^/2 Mill. Thalern nicht übersteigenden Anlagekosten gepflogen wurden. Mit Ausnahme verhältnismäßig sehr weniger Stimmen war der Nutzen einer solchen Bahn nicht nur im ganzen Lande, sondern auch im Schooße der Ständeversammlung anerkannt, und auch die dissentirenden Ansichten waren mehr gegen unwichtigere Nebenpunkte. als gegen die Sache selbst gerichtet. Es wurde deshalb auch bei den Verhandlungen aus dem Landtage das Project nicht gradezu verworfen, sondern einfach verschleppt. Das geschah deshalb, weil aus einer nähern Verbindung mit Preußen der demnächstige Anschluß an den Zollverein sich wie ein drohendes Gespenst vor den Augen der Ritter¬ schaft erhob, noch mehr aber deshalb, weil die Landschaft ihre Zustimmung zum Bau der Eisenbahn bedauerlich davon abhängig machte', daß zuvor eine Reform der mecklenburgischen Steuer- und Zollverhältnisse vereinbart werde, und als sie dies nicht erreichen konnte, von dem Rechte der illo in xartes Gebrauch machte und ihr Veto gegen den Bau einlegte. Wir bedauern dies von Seiten der Landschaft aufs Tiefste; denn es ist immer ein politischer Fehler, wenn man das eine erreichbare Gute hemmt, weil man das andre Gute nicht erreichen kann. Allerdings ging ihr Schritt aus der Befürchtung hervor, daß bei dem Fortbestehn der jetzigen Steuerverhältnisse die Städte durch die neue Eisenbahn leiden würden. Aber theils war dies keineswegs eine nothwendige und evident voraus zu erkennende Folge, theils hätte, wäre sie eingetreten, das bestehende Steuersystem um so gewisser fallen müssen. Ueber die Reform des letztern ist in dieser Zeitschrift schon früher gespro¬ chen. Man mag über deren Wesen und Ziel verschiedner Ansicht sein, aber ihre Nothwendigkeit, ihre dringende Nothwendigkeit leugnet Niemand. Dennoch ist sie nach jahrelangem Hinschleppen einem gedeihlichen Abschlüsse noch um keinen Schritt näher gebracht. Der Grund ist hier darin zu suchen, daß mit jeglicher Aenderung des bestehenden Systems namentlich und fast ausschließlich auf Seiten der Ritterschaft eine Menge von Sondennteresscn berührt werden, denen man nicht entsagen will, weil sie ans dem Boden des Landesgrundgcsctzlichen Erbvergleichs beruhn. Es soll einmal die Gesammtstellung ungestört in dem Maße, wie sie durch diesen geordnet ist. bis aufs Aeußerste erhalten werden. In Hinsicht auf die Rechtspflege ist es noch nicht zu einer einheitlichen, zeitgemäßen Gesetzgebung gekommen. Das hat sich besonders in neuerer Zeit fühl¬ bar gemacht, und es ist alUrdings schreienden Uebelstünden bis zu einem gewissen Grade abgeholfen. Es können aber alle diese Abhilfen auf dauernden Werth

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/97>, abgerufen am 15.01.2025.