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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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von der Besorgnis; ist, daß ihn, der alte Christenteufel über die Schulter auf
das Papier schauen könnte. Ein gutes Register erleichtert den Gebrauch des
Buches. Wer jetzt nach so mancher Sammlung von Volksaberglauben eine'
wissenschaftliche Verarbeitung des inassenhnften Materials unternähme, der
würde die Aufgabe haben, dasselbe zunächst nach den mythologischen Vor¬
stellungen zu ordnen, welche dem Volksbrauch zu Grunde liegen, und die weit
schwierigere Aufgabe, den ursprünglichen Sinn des sinnlosen Brauchs nach¬
zuweisen, so weit unser Wissen reicht. Bei manchem Aberglauben ist es frei¬
lich unmöglich, auch nur nachzuweisen, in welcher Nation und unter welchen
Culturverhältnissen er zuerst entsprang. Einige Traditionen sind so uralt, daß sie
vielleicht das älteste sind, was die Menschheit an geistiger Habe besitzt, anderes
hat sich in irgend einer Vorzeit aus einem Volk in das andere gewälzt, fast jedes
Culturvolk hat als letzten Niederschlag seines Erdenlebens seinen Aberglauben
den nachfolgende" Völkern zurückgelassen, Einzelnes scheint von Babyloniern,
Phöniziern, Aegyptern, Griechen, Römern und Germanen mit einer gewissen
Naturnothwendigkeit übereinstimmend erfunden. Alis jedem Gebiet menschlicher
Interessen ist unser Aberglaube hervorgegangen, überall, wo der Mensch zu
scheuen und zu ehren hatte, wuchs er herauf, aus altem Recht, alter Heilkunst,
kindlicher Naturbettachtung, aus der gemeinsamen Quelle von alle dem, aus
der Scheu und Sorge um das Göttliche. Noch hat die Wissenschaft an das
große Chaos des Stoffes nicht so kräftig die bildende Hand gelegt, als zu
wünschen wäre.


Isländische Volkssagen der Gegenwart von Dr. Konrad
Maurer. Leipzig l8K0. Hinrichs'sche Buchhandlung.

Eine hochwillkommene Arbeit und des besten Dankes werth. Der Heraus¬
geber hat selbst nach dem Munde der Isländer, mehreres nach ihren schrift¬
lichen Aufzeichnungen gesammelt mit vollem Verständniß für die Wichtigkeit
der isländischen Sagen. Die mythologischen und sagenhaften Erinnerungen
der Isländer sind aus mehreren Gründen vorzugsweise lehrreich. Erstens war
anzunehmen, daß sich in der Heimath der Eddalieder noch vieles Wichtige des
Götterglaubens wie der Heldensage erhalten habe. Diese Hoffnung ist nur zum
Theil erfüllt. Die alten Göttergestalten sind fast mehr verdämmert, als in
Deutschland selbst, auch die spätern Umbildungen der Heldensage geben wenig
neuen Aufschluß. Ferner aber war eine Aufklärung wünschenswert!) über das
Verhältniß des skandinavischen Gött^erglaubens zu dem der deutschen Stämme.
Zwar wußte man, daß die Grundgestalten hier wie dort dieselben sind, daß
zahlreiche Einzelnheiten in beiden Gebieten der germanischen Mythologie
einander vollständig entsprechen, aber es war noch ein sehr großer Unterschied
zwischen der Götterwelt, welche sich um den nordischen Odin gruppirte und
zwischen den weniger erhabenen, aber behaglicheren Gebilden der deutschen


Grenjl-oder IV. 1860, 10

von der Besorgnis; ist, daß ihn, der alte Christenteufel über die Schulter auf
das Papier schauen könnte. Ein gutes Register erleichtert den Gebrauch des
Buches. Wer jetzt nach so mancher Sammlung von Volksaberglauben eine'
wissenschaftliche Verarbeitung des inassenhnften Materials unternähme, der
würde die Aufgabe haben, dasselbe zunächst nach den mythologischen Vor¬
stellungen zu ordnen, welche dem Volksbrauch zu Grunde liegen, und die weit
schwierigere Aufgabe, den ursprünglichen Sinn des sinnlosen Brauchs nach¬
zuweisen, so weit unser Wissen reicht. Bei manchem Aberglauben ist es frei¬
lich unmöglich, auch nur nachzuweisen, in welcher Nation und unter welchen
Culturverhältnissen er zuerst entsprang. Einige Traditionen sind so uralt, daß sie
vielleicht das älteste sind, was die Menschheit an geistiger Habe besitzt, anderes
hat sich in irgend einer Vorzeit aus einem Volk in das andere gewälzt, fast jedes
Culturvolk hat als letzten Niederschlag seines Erdenlebens seinen Aberglauben
den nachfolgende» Völkern zurückgelassen, Einzelnes scheint von Babyloniern,
Phöniziern, Aegyptern, Griechen, Römern und Germanen mit einer gewissen
Naturnothwendigkeit übereinstimmend erfunden. Alis jedem Gebiet menschlicher
Interessen ist unser Aberglaube hervorgegangen, überall, wo der Mensch zu
scheuen und zu ehren hatte, wuchs er herauf, aus altem Recht, alter Heilkunst,
kindlicher Naturbettachtung, aus der gemeinsamen Quelle von alle dem, aus
der Scheu und Sorge um das Göttliche. Noch hat die Wissenschaft an das
große Chaos des Stoffes nicht so kräftig die bildende Hand gelegt, als zu
wünschen wäre.


Isländische Volkssagen der Gegenwart von Dr. Konrad
Maurer. Leipzig l8K0. Hinrichs'sche Buchhandlung.

Eine hochwillkommene Arbeit und des besten Dankes werth. Der Heraus¬
geber hat selbst nach dem Munde der Isländer, mehreres nach ihren schrift¬
lichen Aufzeichnungen gesammelt mit vollem Verständniß für die Wichtigkeit
der isländischen Sagen. Die mythologischen und sagenhaften Erinnerungen
der Isländer sind aus mehreren Gründen vorzugsweise lehrreich. Erstens war
anzunehmen, daß sich in der Heimath der Eddalieder noch vieles Wichtige des
Götterglaubens wie der Heldensage erhalten habe. Diese Hoffnung ist nur zum
Theil erfüllt. Die alten Göttergestalten sind fast mehr verdämmert, als in
Deutschland selbst, auch die spätern Umbildungen der Heldensage geben wenig
neuen Aufschluß. Ferner aber war eine Aufklärung wünschenswert!) über das
Verhältniß des skandinavischen Gött^erglaubens zu dem der deutschen Stämme.
Zwar wußte man, daß die Grundgestalten hier wie dort dieselben sind, daß
zahlreiche Einzelnheiten in beiden Gebieten der germanischen Mythologie
einander vollständig entsprechen, aber es war noch ein sehr großer Unterschied
zwischen der Götterwelt, welche sich um den nordischen Odin gruppirte und
zwischen den weniger erhabenen, aber behaglicheren Gebilden der deutschen


Grenjl-oder IV. 1860, 10
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/85>, abgerufen am 15.01.2025.