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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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lichen Gottesdienst des einfachen Staates. Auch die Völker lagerten nicht
nebeneinander wie Nomaden, auch ihre Grenzen waren fest abgesteckt, durch
heilige Umzüge der Götterwagen geweiht. In bestimmten Formen fand auch
der Einzelne des Nachbarvolkes Schutz und Sicherheit für seinen Privatver¬
kehr und über den unvermeidlichen Kriegen und Fehden der einzelnen Völker
zogen sich doch von einem zum andern zahlreiche Bande, welche versöhnten
und zusammenhielten: gemeinsame Opfer, zahlreiche Blutsverwandtschaften und
Ehebündnisse, und über Allem das Gefühl des gemeinsamen Ursprungs, die¬
selbe Sprache und die religiöse Weihe, mit welcher diese Erinnerungen an
alte Gemeinsamkeit umgeben waren. Wenn der Germane des Tacitus uns
wie ein grimmiger Krieger erscheint, der im Wolfsfell mit Speer und Hvlz-
schild über das Waldverhau späht, welches sein Dorf gegen einen Ueberfall
der Feinde schützen soll, so wird derselbe Deutsche in den Untersuchungen der
neusten Wissenschaft zum Hausherrn und Landwirth. Behaglich schaut er uns
in den schönen großen Braukessel, welchen sein Nachbar, der kunstfertige Schmied,
geschmiedet hat, oder steht im gefärbten Linnenkittel vor dem hochbeladenen
Erntewagen, auf welchen seine Knechte die letzte Noggenmandel werfen und
die Töchter mit frommem Spruche den Erntekranz befestigen. Es ist wahr¬
scheinlich, daß ihm das feine Mehl des Weizen unheimisch war, seine Brod¬
frucht galt den Römern des Vespasian noch für ein unholdes Gewächs, wel¬
ches dem Genießenden Leibgrimmen verursache, aber um das Jahr 300 n.
Chr. wurde das Getreide des deutschen Schwarzbrods schon im kaiserlichen
Decret als dritte Handelsfrucht an den Getreidebörsen Griechenlands ange¬
schlagen. Noch entbehrte der Germane zur Zeit der Flavicr die seinen Obst¬
sorten des Südens, und die immer blühenden Rosen Italiens blieben ihm
noch lange unbekannt, aber schon waren die Kirschen am Rheinstrome zu Rom
hochberühmt, und die wandernden Händler wußten zu erzählen, daß ihnen
die Deutschen Rettige gewiesen Hütten so groß wie kleine Kinderköpfe und
Honigwaben von acht Fuß Länge, diese allerdings von wildem Honig.

Und wie neben der deutschen Sprachforschung auch die Untersuchung über
die Gaue und die uralte Eintheilung der Dorffluren geholfen hat, von der
Production der Ahnen ein neues Bild zu geben, eben so sehr hat das Su¬
chen in Sagen. Märchen und altem Aberglauben ergänzt und berichtigt, was
die Römer von der Religion der Deutschen zu berichten wußten. Wenig war
mit der kleinen Anzahl von Götternnmen und Heiligthümern anzufangen,
welche Tacitus überliefert, bevor der Vergleich mit den Traditionen der Skan¬
dinavier und Isländer und das Aufspüren der altheidnischen Ueberlieferungen,
welche bis heute im Volke erhalten sind, eine Fülle von Göttergestalten und
eine sehr originelle Auffassung des lebendigen Schaffens in der Natur offen¬
barte. Fremd und unverständlich war uns der Germane, welcher nach dem


lichen Gottesdienst des einfachen Staates. Auch die Völker lagerten nicht
nebeneinander wie Nomaden, auch ihre Grenzen waren fest abgesteckt, durch
heilige Umzüge der Götterwagen geweiht. In bestimmten Formen fand auch
der Einzelne des Nachbarvolkes Schutz und Sicherheit für seinen Privatver¬
kehr und über den unvermeidlichen Kriegen und Fehden der einzelnen Völker
zogen sich doch von einem zum andern zahlreiche Bande, welche versöhnten
und zusammenhielten: gemeinsame Opfer, zahlreiche Blutsverwandtschaften und
Ehebündnisse, und über Allem das Gefühl des gemeinsamen Ursprungs, die¬
selbe Sprache und die religiöse Weihe, mit welcher diese Erinnerungen an
alte Gemeinsamkeit umgeben waren. Wenn der Germane des Tacitus uns
wie ein grimmiger Krieger erscheint, der im Wolfsfell mit Speer und Hvlz-
schild über das Waldverhau späht, welches sein Dorf gegen einen Ueberfall
der Feinde schützen soll, so wird derselbe Deutsche in den Untersuchungen der
neusten Wissenschaft zum Hausherrn und Landwirth. Behaglich schaut er uns
in den schönen großen Braukessel, welchen sein Nachbar, der kunstfertige Schmied,
geschmiedet hat, oder steht im gefärbten Linnenkittel vor dem hochbeladenen
Erntewagen, auf welchen seine Knechte die letzte Noggenmandel werfen und
die Töchter mit frommem Spruche den Erntekranz befestigen. Es ist wahr¬
scheinlich, daß ihm das feine Mehl des Weizen unheimisch war, seine Brod¬
frucht galt den Römern des Vespasian noch für ein unholdes Gewächs, wel¬
ches dem Genießenden Leibgrimmen verursache, aber um das Jahr 300 n.
Chr. wurde das Getreide des deutschen Schwarzbrods schon im kaiserlichen
Decret als dritte Handelsfrucht an den Getreidebörsen Griechenlands ange¬
schlagen. Noch entbehrte der Germane zur Zeit der Flavicr die seinen Obst¬
sorten des Südens, und die immer blühenden Rosen Italiens blieben ihm
noch lange unbekannt, aber schon waren die Kirschen am Rheinstrome zu Rom
hochberühmt, und die wandernden Händler wußten zu erzählen, daß ihnen
die Deutschen Rettige gewiesen Hütten so groß wie kleine Kinderköpfe und
Honigwaben von acht Fuß Länge, diese allerdings von wildem Honig.

Und wie neben der deutschen Sprachforschung auch die Untersuchung über
die Gaue und die uralte Eintheilung der Dorffluren geholfen hat, von der
Production der Ahnen ein neues Bild zu geben, eben so sehr hat das Su¬
chen in Sagen. Märchen und altem Aberglauben ergänzt und berichtigt, was
die Römer von der Religion der Deutschen zu berichten wußten. Wenig war
mit der kleinen Anzahl von Götternnmen und Heiligthümern anzufangen,
welche Tacitus überliefert, bevor der Vergleich mit den Traditionen der Skan¬
dinavier und Isländer und das Aufspüren der altheidnischen Ueberlieferungen,
welche bis heute im Volke erhalten sind, eine Fülle von Göttergestalten und
eine sehr originelle Auffassung des lebendigen Schaffens in der Natur offen¬
barte. Fremd und unverständlich war uns der Germane, welcher nach dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/80>, abgerufen am 15.01.2025.