Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.zu zeigen, welche Ursachen der Entwicklung eines freien Handwerkerstandes Während früher die unbemittelten Bürger es vorgezogen haben werden, Grenzboten IV. 1360.9
zu zeigen, welche Ursachen der Entwicklung eines freien Handwerkerstandes Während früher die unbemittelten Bürger es vorgezogen haben werden, Grenzboten IV. 1360.9
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zu zeigen, welche Ursachen der Entwicklung eines freien Handwerkerstandes
feindlich entgegentreten. Es gilt jetzt nachzuweisen, wie die aufkeimende An¬
sicht, daß eine bemause Beschäftigung, besonders wenn sie Lohnerwerb be¬
zwecke, des freien Bürgers unwürdig sei, im Laufe der Zeit weiter ausgebil¬
det und geflissentlich groß gezogen wurde. In-seltsamer Verblendung wett¬
eiferten Staatsmänner und Philosophen mit einander in dem Bestreben, dem
Athener das Handwerk zu verleiden, und die Komödie unterstützte sie darin
nach Kräften.
Während früher die unbemittelten Bürger es vorgezogen haben werden,
ihre eignen Geschäfte zu treiben, von denen ihr Unterhalt abhing, statt sich
Amtsverrichtungen aufzubürden, für die sie nicht bezahlt wurden, so gestalte-
ten sich seit Perikles diese Verhältnisse wesentlich anders. Dieser große Staats¬
mann suchte das demokratische Element zu verstärken und als ein Gegenge¬
wicht gegen die oft selbstsüchtigen und particulanstischen Bestrebungen der
Wohlhabenderen eine größre Betheiligung der unteren Classen an den Staats¬
geschäften zu bewirken. Zu dem Zwecke führte er oder die Politiker seiner
Partei für die Functionen im Rathe und in den Gerichten, sowie für den Be¬
such der Volksversammlungen eine regelmäßige Besoldung ein, welche anfangs
zwar sehr mäßig war und für die Theilnahme an den Ekkiesien und die rich¬
terliche Thätigkeit nicht mehr als einen Obol (etwas über einen Silbergroschen)
betrug, von spätern Demagogen aber auf das Dreifache erhöht wurde. Na¬
türlich fand der arme Bürger es bequemer, für eine mühelose und obendrein
ehrenvolle Beschäftigung vom Staate seinen Triobolos zu erhalten als im
Schweiße seines Angesichts durch banause Arbeit sein Brod zu verdienen.
Dazu kamen die ebenfalls von Perikles eingeführten Theorikenspenden, welche
aus der Staatskasse an das Volk verabreicht wurden, um diesen die Theil¬
nahme an den Festspielen und den Besuch der Theater zu erleichtern. Daß
durch den Ettlesiastensold und den Richterlohn die ärmern Bürger sich den
Lastträgern gleichstellten, wie Aristophanes meinte, ließ man nicht gelten; die¬
ser Erwerb ward eben nicht als Banausie angesehn. Arbeitscheu, Vergnügungs¬
sucht, Geldgier, Geschwätzigkeit waren die Folgen. Drei Obolen reichten bei
der ursprünglichen Genügsamkeit des gemeinen athenischen Mannes und der
wenigen Bedürfnisse, die er hatte, ziemlich aus sich und seine Familie zu er¬
halten; was daran fehlte, mußte der Sklave, falls nicht mehr als einer im
Hause war, verdienen. Daß die Verhältnisse einmal minder günstig werden
könnten, daran dachte man nicht; meinte man doch an der persischen Beute
und an den Summen, die von den verbündeten oder unterthänigen Staaten
in die Bundeskasse nach Athen flössen, einen Rückhalt zusahen, auf den sich¬
rer Verlaß war.
Grenzboten IV. 1360.9
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