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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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meren verwandt. Des Feldbaus und der Gewerbe, soweit von letzteren da¬
mals überhaupt die Rede sein kann, nahm sich die Phyle der Argadeis jeden¬
falls am eifrigsten an. Solon konnte der Vermehrung des Sklavenbestandes
nicht günstig sein, da er >im Gegentheil der durch den Druck des Adels in
actuelle Sklaverei gerathenen ärmern Bürgerschaft durch die Seisachthie
wieder zu ihrer Freiheit verholfen hatte und den Zweck verfolgte, fleißige, ar¬
beitsame Bürger zu erziehen. Die vierte Schätzungsclasse seiner timokratischen
Verfassung, die Theden, welche zwar das Stimmrecht in den allgemeinen
Volksversammlungen besaßen und zum Beisitz in den großen Geschwornen¬
gerichten berufen werden konnten, aber von allen obrigkeitlichen Aemtern aus¬
geschlossen waren, werden sich also vorzugsweise der Gewerbsthätigkeit, die
damals noch in Ehren stand, befleißigt haben. Daß die Tyrannis einer Er¬
weiterung der Sklaverei als eines Instituts, das ihrem Wesen entgegengesetzt
ist, nicht geneigt sein durfte, versteht sich von selbst. Eine massenhafte Ein¬
führung von Sklaven hat also nicht wol vor der kleisthcnischen Verfassungs¬
veränderung, wahrscheinlich aber erst während der Perscrkncge und nach
denselben stattgefunden. Athen hatte den Sieg bei Marathon fast allein ge¬
wonnen: seine ganze waffenfähige Mannschaft bewies eine Tüchtigkeit der Ge¬
sinnung, einen Muth zu edeln Entschlüssen und eine Kraft zu männlichen Tha¬
ten, wie die Geschichte nur selten davon berichtet hat. Und als die Gefahr
zehn Jahre später abermals Griechenland bedrohte, unter die Botmäßigkeit
orientalischer Barbarei und Despotie zu verfallen, und als die "Hellenenkin¬
der kamen und das Vaterland befreiten und Weib und Kind und die Sitze
der heimischen Götter und die Gräber der Ahnen" -- da hatte Athen die
meisten Kämpfer gestellt und auch die tapfersten waren Athener. Die Pelo-
ponnesier müssen sogar, wenn nicht der Mutlosigkeit, so doch der Selbstsucht
bezüchtigt werden.

Athen war dnrch sein heldenmüthiges Einstehn für die Sache des ge¬
meinsamen Vaterlandes in Wahrheit der erste Staat in Griechenland gewor¬
den und an die Spitze einer zahlreichen Bundesgenossenschaft getreten, die an
Macht und Umfang größer war als die Bundesgenossenschaft der Peloponne-
sier. Wollte es sich in dieser Stellung behaupten, den Mißgünstigen begegnen,
die Abgeneigten festhalten, so hatte es alle seine Kräfte anzustrengen und sich
auf den Kampf vorzubereiten, der früher oder später mit Sparta geführt wer¬
den mußte um die Vorherrschaft in Griechenland. Der Ruhm des Sieges
über die Perser gebührte nicht blos dem unverzagten Muthe und den klugen
Rathschlüssen der Führer, er gebührte dem Volte, welches jenen Muth zu thei¬
len und jene Rathschlüsse zu vollführen fähig war, und in dem Volte nicht
blos den Höhergestellten und Begüterten, sondern in gleichem Maße den nie¬
dern und ürmern Bürgern, den Feldbauern und Handwerkern. Dies veran-


meren verwandt. Des Feldbaus und der Gewerbe, soweit von letzteren da¬
mals überhaupt die Rede sein kann, nahm sich die Phyle der Argadeis jeden¬
falls am eifrigsten an. Solon konnte der Vermehrung des Sklavenbestandes
nicht günstig sein, da er >im Gegentheil der durch den Druck des Adels in
actuelle Sklaverei gerathenen ärmern Bürgerschaft durch die Seisachthie
wieder zu ihrer Freiheit verholfen hatte und den Zweck verfolgte, fleißige, ar¬
beitsame Bürger zu erziehen. Die vierte Schätzungsclasse seiner timokratischen
Verfassung, die Theden, welche zwar das Stimmrecht in den allgemeinen
Volksversammlungen besaßen und zum Beisitz in den großen Geschwornen¬
gerichten berufen werden konnten, aber von allen obrigkeitlichen Aemtern aus¬
geschlossen waren, werden sich also vorzugsweise der Gewerbsthätigkeit, die
damals noch in Ehren stand, befleißigt haben. Daß die Tyrannis einer Er¬
weiterung der Sklaverei als eines Instituts, das ihrem Wesen entgegengesetzt
ist, nicht geneigt sein durfte, versteht sich von selbst. Eine massenhafte Ein¬
führung von Sklaven hat also nicht wol vor der kleisthcnischen Verfassungs¬
veränderung, wahrscheinlich aber erst während der Perscrkncge und nach
denselben stattgefunden. Athen hatte den Sieg bei Marathon fast allein ge¬
wonnen: seine ganze waffenfähige Mannschaft bewies eine Tüchtigkeit der Ge¬
sinnung, einen Muth zu edeln Entschlüssen und eine Kraft zu männlichen Tha¬
ten, wie die Geschichte nur selten davon berichtet hat. Und als die Gefahr
zehn Jahre später abermals Griechenland bedrohte, unter die Botmäßigkeit
orientalischer Barbarei und Despotie zu verfallen, und als die „Hellenenkin¬
der kamen und das Vaterland befreiten und Weib und Kind und die Sitze
der heimischen Götter und die Gräber der Ahnen" — da hatte Athen die
meisten Kämpfer gestellt und auch die tapfersten waren Athener. Die Pelo-
ponnesier müssen sogar, wenn nicht der Mutlosigkeit, so doch der Selbstsucht
bezüchtigt werden.

Athen war dnrch sein heldenmüthiges Einstehn für die Sache des ge¬
meinsamen Vaterlandes in Wahrheit der erste Staat in Griechenland gewor¬
den und an die Spitze einer zahlreichen Bundesgenossenschaft getreten, die an
Macht und Umfang größer war als die Bundesgenossenschaft der Peloponne-
sier. Wollte es sich in dieser Stellung behaupten, den Mißgünstigen begegnen,
die Abgeneigten festhalten, so hatte es alle seine Kräfte anzustrengen und sich
auf den Kampf vorzubereiten, der früher oder später mit Sparta geführt wer¬
den mußte um die Vorherrschaft in Griechenland. Der Ruhm des Sieges
über die Perser gebührte nicht blos dem unverzagten Muthe und den klugen
Rathschlüssen der Führer, er gebührte dem Volte, welches jenen Muth zu thei¬
len und jene Rathschlüsse zu vollführen fähig war, und in dem Volte nicht
blos den Höhergestellten und Begüterten, sondern in gleichem Maße den nie¬
dern und ürmern Bürgern, den Feldbauern und Handwerkern. Dies veran-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/75>, abgerufen am 15.01.2025.