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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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edle so vollständig beherrschte, daß er sich aller und jeder banausen Thätjgkeit
enthalten zu müssen glaubte und nur durch die eiserne Nothwendigkeit, etwa
durch den Hunger vermocht werden konnte, seine Borstellungen von der höher"
Berechtigung der hellenischen Race um ein Kleines herabzustimmen. Die Ar¬
beit, das heißt die ganze Summe der mechanischen, nur auf Erwerb gerichte¬
ten Thätigkeit war theils in den Händen persönlich freier, aber politischer
Nichte untheilhastiger Schutzvcrwandter, zum bei weitem größten Theile jedoch
wurde sie von Sklaven betrieben, welche entweder wie in Sparta die Helo¬
ten, in Thessalien die Pcnesten und ähnlich wol mich die Klarsten aus Kreta
einen leibeignen, an die Scholle gebundenen Bauern- und Handwerkerstand
bildeten, oder wie in Athen, Korinth und andern großen Handelsstädten ihrem
Ursprünge nach aus der Fremde eingeführte Kaufsklaven waren.

Die bezeichneten Berhältnisse, wenn anch nach Zeit und Ort mannich-
fachen Schwankungen unterworfen, müssen wenigstens für das Jahrhundert
von den Perserkriegen bis zum Schlüsse des peloponnesischen Krieges, viel¬
leicht sogar mit nur geringen Veränderungen bis zur Unterwerfung Griechen¬
lands unter die makedonische Herrschaft herab als bestehend angesehn wer¬
den. In früherer Zeit scheinen sie mehrfach andre gewesen zu sein, und nach¬
dem Alexanders Militärdespotie die äußerlich starren, aber innerlich morsch
gewordenen Grundlagen des griechischen Staatslebens zerbrochen und dem
Geiste hellenischer Cultur neue weite Bahnen eröffnet hatte, da sehen wir
und können es ziemlich deutlich verfolgen, wie auch diese Verhältnisse der
Regierenden zu den Regierten in den einzelnen Staaten sich wesentlich anders
gestalteten, wie die banausc Thätigkeit der rechtlosen Mehrheit dem auf die
Staatsleitung gerichteten, also in gewissem Sinne idealen Wirken einer be¬
vorzugten Minderheit gegenüber zwar nicht an Achtung -- dazu gab es in
Griechenland nach dem Zeitalter des Demosthenes überhaupt wol nur noch
wenig Veranlassung --. aber doch an Berechtigung und an Boden gewann.
Was nach der Schlacht bei Krannon vorläufig für Athen, nach den Niederla¬
gen von Sellasia und Mantineia für Sparta eintrat, das ward nach der Er¬
stürmung von Korinth durch die Römer endgiltig für ganz Griechenland durch¬
geführt: die Auslösung der alten Verfassungen schloß bisher Berechtigte von
der Theilnahme an der Negierung aus und gestattete dagegen bis dahin po¬
litisch Rechtlosen einen Antheil an derselben, soweit natürlich als die neuen
Machthaber es nicht für gut befanden, ihre hellenischen Unterthanen der Mühe
des Regierens überhaupt zu entheben. Allein trotz dieser Lösung der alten
Gegensätze, die ohnedem bei weitem nicht etwa als eine vollständige gedacht
werden darf, und die das Verhältniß von Herren und Sklaven in der Haupt¬
sache kaum ernstlich berührte, finden wir ebenso wenig wie dies vom Bauern¬
stande gesagt werden kann, bis in die späteste Kaiserzeit irgend eine Spur


edle so vollständig beherrschte, daß er sich aller und jeder banausen Thätjgkeit
enthalten zu müssen glaubte und nur durch die eiserne Nothwendigkeit, etwa
durch den Hunger vermocht werden konnte, seine Borstellungen von der höher«
Berechtigung der hellenischen Race um ein Kleines herabzustimmen. Die Ar¬
beit, das heißt die ganze Summe der mechanischen, nur auf Erwerb gerichte¬
ten Thätigkeit war theils in den Händen persönlich freier, aber politischer
Nichte untheilhastiger Schutzvcrwandter, zum bei weitem größten Theile jedoch
wurde sie von Sklaven betrieben, welche entweder wie in Sparta die Helo¬
ten, in Thessalien die Pcnesten und ähnlich wol mich die Klarsten aus Kreta
einen leibeignen, an die Scholle gebundenen Bauern- und Handwerkerstand
bildeten, oder wie in Athen, Korinth und andern großen Handelsstädten ihrem
Ursprünge nach aus der Fremde eingeführte Kaufsklaven waren.

Die bezeichneten Berhältnisse, wenn anch nach Zeit und Ort mannich-
fachen Schwankungen unterworfen, müssen wenigstens für das Jahrhundert
von den Perserkriegen bis zum Schlüsse des peloponnesischen Krieges, viel¬
leicht sogar mit nur geringen Veränderungen bis zur Unterwerfung Griechen¬
lands unter die makedonische Herrschaft herab als bestehend angesehn wer¬
den. In früherer Zeit scheinen sie mehrfach andre gewesen zu sein, und nach¬
dem Alexanders Militärdespotie die äußerlich starren, aber innerlich morsch
gewordenen Grundlagen des griechischen Staatslebens zerbrochen und dem
Geiste hellenischer Cultur neue weite Bahnen eröffnet hatte, da sehen wir
und können es ziemlich deutlich verfolgen, wie auch diese Verhältnisse der
Regierenden zu den Regierten in den einzelnen Staaten sich wesentlich anders
gestalteten, wie die banausc Thätigkeit der rechtlosen Mehrheit dem auf die
Staatsleitung gerichteten, also in gewissem Sinne idealen Wirken einer be¬
vorzugten Minderheit gegenüber zwar nicht an Achtung — dazu gab es in
Griechenland nach dem Zeitalter des Demosthenes überhaupt wol nur noch
wenig Veranlassung —. aber doch an Berechtigung und an Boden gewann.
Was nach der Schlacht bei Krannon vorläufig für Athen, nach den Niederla¬
gen von Sellasia und Mantineia für Sparta eintrat, das ward nach der Er¬
stürmung von Korinth durch die Römer endgiltig für ganz Griechenland durch¬
geführt: die Auslösung der alten Verfassungen schloß bisher Berechtigte von
der Theilnahme an der Negierung aus und gestattete dagegen bis dahin po¬
litisch Rechtlosen einen Antheil an derselben, soweit natürlich als die neuen
Machthaber es nicht für gut befanden, ihre hellenischen Unterthanen der Mühe
des Regierens überhaupt zu entheben. Allein trotz dieser Lösung der alten
Gegensätze, die ohnedem bei weitem nicht etwa als eine vollständige gedacht
werden darf, und die das Verhältniß von Herren und Sklaven in der Haupt¬
sache kaum ernstlich berührte, finden wir ebenso wenig wie dies vom Bauern¬
stande gesagt werden kann, bis in die späteste Kaiserzeit irgend eine Spur


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/66>, abgerufen am 15.01.2025.