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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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meinen) als eine unbedingte Nothwendigkeit für den Frieden und die Ruhe
Deutschlands erkannt wird. -- Noch ist in dieser Hinsicht nichts geschehen,
es wäre die höchste Zeit, um so mehr, da wir glauben, daß diese Frage
neben der Schleswig-holsteinischen die einzige ist, in welcher alle Patnoten,
ohne Rücksicht auf ihre sonstige Rolle, vollkommen übereinstimmen.

Es ist aber auch sonst die höchste Zeit: denn auf den März oder April
hat Garibaldi -- vielleicht der einzige Mann in Europa, der in diesem Augen¬
blick einen bestimmten Entschluß bereits gefaßt hat -- den Oestreichern Krieg
angesagt; und bis dahin muß Deutschland zu Hause eingerichtet sein, wenn
-fl- wir nicht dem schimpflichsten Zerfall entgegen sehen sollen.




Weihmchtsliteratur.

Wieder einmal hat zum bevorstehenden Feste die Industrie der Verlagshand¬
lungen eine umfangreiche Thätigkeit bewiesen. Von allen Seiten werden vergol-
dete, mit Bildern verzierte Kinderbücher auf den Tisch der Redactionen gelegt, die
Zahl schwillt in das Ungeheure, "fast jedes Gebiet menschlicher Interessen, fast jeder
Kreis poetischer Empfindungen' wird herbeigezogen, zahllose Werke sür Erwachsene,
die im Lauf der letzten Jahre erschienen sind, werden geplündert, um in bequemen
Bänden vom Glanz des Wcihnachtsbciums bestrahlt zu werden. Es ist nicht mehr
leicht, eine Uebersicht über die gesammte Weihnachtsliteratur zu gewinnen; aber in
dem Vielen, was zufällig in die Hände kommt, muß neben manchem Erfreulichen
das Meiste als verfehlt verurtheilt werden. Einzelne Richtungen drängen sich be¬
sonders reichlich hervor und geben Veranlassung zu einer wohlmeinenden Polemik.
Immer wieder muß gesagt werden, daß dieses massenhafte Anschwellen der Jugend¬
literatur durchaus kein Glück sür die Jugend ist, und daß die Fluth von Büchern,
die alle bemüht sind, der liebenswürdigen Einfalt der Kinder entgegenzukommen und
das mangelhafte Verständniß des Lebens, welches den Kindern eigen ist, poetisch zu
verklären, unsere Kleinen nicht fördert, sondern kindisch macht. Ja, wir wünschen
bei Eltern und Erziehern die Ueberzeugung zu fördern, daß Kinder die sogenannte
Kinderliteratur fast gar nicht bedürfen. Allerdings gibt es einen großen Kreis gemüth¬
licher und poetischer Anschauungen, aus welchen seit Jahrhunderten jede Generation
der Deutschen herausgewachsen ist; der Duft und die Farbe, welche aus solchen
Stoffen in die Kinderseele dringen, sie sollen um Alles nicht verringert werden.
Der Zauber, welchen das Volksmärchen auf die junge Seele ausübt, unser kleines
dummes Pfefferkuchhäusel, Frau Holle, Schneewittchen und die kleinen Zwerge wer-


meinen) als eine unbedingte Nothwendigkeit für den Frieden und die Ruhe
Deutschlands erkannt wird. — Noch ist in dieser Hinsicht nichts geschehen,
es wäre die höchste Zeit, um so mehr, da wir glauben, daß diese Frage
neben der Schleswig-holsteinischen die einzige ist, in welcher alle Patnoten,
ohne Rücksicht auf ihre sonstige Rolle, vollkommen übereinstimmen.

Es ist aber auch sonst die höchste Zeit: denn auf den März oder April
hat Garibaldi — vielleicht der einzige Mann in Europa, der in diesem Augen¬
blick einen bestimmten Entschluß bereits gefaßt hat — den Oestreichern Krieg
angesagt; und bis dahin muß Deutschland zu Hause eingerichtet sein, wenn
-fl- wir nicht dem schimpflichsten Zerfall entgegen sehen sollen.




Weihmchtsliteratur.

Wieder einmal hat zum bevorstehenden Feste die Industrie der Verlagshand¬
lungen eine umfangreiche Thätigkeit bewiesen. Von allen Seiten werden vergol-
dete, mit Bildern verzierte Kinderbücher auf den Tisch der Redactionen gelegt, die
Zahl schwillt in das Ungeheure, »fast jedes Gebiet menschlicher Interessen, fast jeder
Kreis poetischer Empfindungen' wird herbeigezogen, zahllose Werke sür Erwachsene,
die im Lauf der letzten Jahre erschienen sind, werden geplündert, um in bequemen
Bänden vom Glanz des Wcihnachtsbciums bestrahlt zu werden. Es ist nicht mehr
leicht, eine Uebersicht über die gesammte Weihnachtsliteratur zu gewinnen; aber in
dem Vielen, was zufällig in die Hände kommt, muß neben manchem Erfreulichen
das Meiste als verfehlt verurtheilt werden. Einzelne Richtungen drängen sich be¬
sonders reichlich hervor und geben Veranlassung zu einer wohlmeinenden Polemik.
Immer wieder muß gesagt werden, daß dieses massenhafte Anschwellen der Jugend¬
literatur durchaus kein Glück sür die Jugend ist, und daß die Fluth von Büchern,
die alle bemüht sind, der liebenswürdigen Einfalt der Kinder entgegenzukommen und
das mangelhafte Verständniß des Lebens, welches den Kindern eigen ist, poetisch zu
verklären, unsere Kleinen nicht fördert, sondern kindisch macht. Ja, wir wünschen
bei Eltern und Erziehern die Ueberzeugung zu fördern, daß Kinder die sogenannte
Kinderliteratur fast gar nicht bedürfen. Allerdings gibt es einen großen Kreis gemüth¬
licher und poetischer Anschauungen, aus welchen seit Jahrhunderten jede Generation
der Deutschen herausgewachsen ist; der Duft und die Farbe, welche aus solchen
Stoffen in die Kinderseele dringen, sie sollen um Alles nicht verringert werden.
Der Zauber, welchen das Volksmärchen auf die junge Seele ausübt, unser kleines
dummes Pfefferkuchhäusel, Frau Holle, Schneewittchen und die kleinen Zwerge wer-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/528>, abgerufen am 15.01.2025.