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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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kam uns unterwegs auch ein hübsches Mädchen entgegen, wir gaben ihr
einen Kuß."

Während das erste Lied an die Gesänge erinnert, die in Deutschland an
den Weihnachtskrippen gesungen wurden, deutet das zweite auf einen ähnlichen
Gebrauch, wie der, bei dein unsre Sternfinger die Wanderung der drei Könige
darstellen. Daß solche dramatische Reproductionen der Weihnachtsmythen auch
in Belgien stattgefunden haben, wird aus dem später Folgenden hervorgehen.
Zunächst aber betrachten wir mit unserm Sammler noch einige mit dem Bori¬
gen verwandte Sitten.

Am Abend vor Dreikönig sowie am Morgen dieses Tages schwärmen
alle Straßen Antwerpens von Mädchen und Knaben der untern Classen, die mit
dem Ruf: "Koningsbrieven en kroon, en kroon!" jene Loose und Gold¬
papierkronen für das Dreikönigsgelage feilbieten und bedeutende Geschäfte
machen, da die mittlern und untern Stände jenen Gebrauch noch allenthalben
festhalten. In Mecheln wird der Tag besonders eifrig von den Sägemüllcm
und Holzspaltern gefeiert, die nach den Worten des Evangeliums "zy zagen
de star", welche sowol "sie sahen den Stern" als ,,sie sägten den Stern" be¬
deuten können, die drei Weisen als Verfertiger des Sterns und somit als
Zunftgenossen betrachten, was an den Glauben unsrer alten Zimmerleute er¬
innert, nach welchem sie einst im Himmel vom lieben Gott beschäftigt werden,
ihm die Zacken an seinen Sternen zu machen.

Auch im Hennegau ist der Dreikönigstag ein wichtiges Familienfest, ja
er spielt hier die Rolle unsres deutschen Weihnachtsabends. Keine Familie
ist so arm, daß sie nicht die "Rois" feierte, und von weit und breit kommen
die Verwandten zusammen, um mit einander die dabei üblichen Gerichte zu
verzehren. In Tournai wie in Als geschieht es noch jetzt häusig, daß Dienst¬
boten sich beim Antritt ihres Dienstes ausbedingen, am Dreikönigstag zu
ihren Eltern gehen und mit ihnen ,,das Kaninchen" oder ,,die Bratwurst"
verzehren zu dürfen, die hier das herkömmliche Festessen sind. Beim Beginn
des Mahles wird mit Flinten oder Pistolen geschossen, und nach der Mahlzeit
zieht man Loose um die Königswürde.

In Lüttich, Mecheln und Turnhout pflegten die Kinder an verschiedenen
Stellen der Straßen angezündete Kerzen oder Wachsstöckchen aufzustellen, um
dieselben zu tanzen und zuletzt darüber wegzuhüpfen. In Tournhout schick¬
ten- die Kerzenfabrikantcn am Dreikönigstag Lichter mit drei Enden, die für
diese Ceremonie bestimmt waren. Die Kinder klebten diese "Keerskcn" auf
die Stubendiele, sprangen darüber und sangen dazu ein vlämischcs Liebchen,
welches in deutscher Uebersetzung folgendermaßen lautet:


kam uns unterwegs auch ein hübsches Mädchen entgegen, wir gaben ihr
einen Kuß."

Während das erste Lied an die Gesänge erinnert, die in Deutschland an
den Weihnachtskrippen gesungen wurden, deutet das zweite auf einen ähnlichen
Gebrauch, wie der, bei dein unsre Sternfinger die Wanderung der drei Könige
darstellen. Daß solche dramatische Reproductionen der Weihnachtsmythen auch
in Belgien stattgefunden haben, wird aus dem später Folgenden hervorgehen.
Zunächst aber betrachten wir mit unserm Sammler noch einige mit dem Bori¬
gen verwandte Sitten.

Am Abend vor Dreikönig sowie am Morgen dieses Tages schwärmen
alle Straßen Antwerpens von Mädchen und Knaben der untern Classen, die mit
dem Ruf: „Koningsbrieven en kroon, en kroon!" jene Loose und Gold¬
papierkronen für das Dreikönigsgelage feilbieten und bedeutende Geschäfte
machen, da die mittlern und untern Stände jenen Gebrauch noch allenthalben
festhalten. In Mecheln wird der Tag besonders eifrig von den Sägemüllcm
und Holzspaltern gefeiert, die nach den Worten des Evangeliums „zy zagen
de star", welche sowol „sie sahen den Stern" als ,,sie sägten den Stern" be¬
deuten können, die drei Weisen als Verfertiger des Sterns und somit als
Zunftgenossen betrachten, was an den Glauben unsrer alten Zimmerleute er¬
innert, nach welchem sie einst im Himmel vom lieben Gott beschäftigt werden,
ihm die Zacken an seinen Sternen zu machen.

Auch im Hennegau ist der Dreikönigstag ein wichtiges Familienfest, ja
er spielt hier die Rolle unsres deutschen Weihnachtsabends. Keine Familie
ist so arm, daß sie nicht die „Rois" feierte, und von weit und breit kommen
die Verwandten zusammen, um mit einander die dabei üblichen Gerichte zu
verzehren. In Tournai wie in Als geschieht es noch jetzt häusig, daß Dienst¬
boten sich beim Antritt ihres Dienstes ausbedingen, am Dreikönigstag zu
ihren Eltern gehen und mit ihnen ,,das Kaninchen" oder ,,die Bratwurst"
verzehren zu dürfen, die hier das herkömmliche Festessen sind. Beim Beginn
des Mahles wird mit Flinten oder Pistolen geschossen, und nach der Mahlzeit
zieht man Loose um die Königswürde.

In Lüttich, Mecheln und Turnhout pflegten die Kinder an verschiedenen
Stellen der Straßen angezündete Kerzen oder Wachsstöckchen aufzustellen, um
dieselben zu tanzen und zuletzt darüber wegzuhüpfen. In Tournhout schick¬
ten- die Kerzenfabrikantcn am Dreikönigstag Lichter mit drei Enden, die für
diese Ceremonie bestimmt waren. Die Kinder klebten diese „Keerskcn" auf
die Stubendiele, sprangen darüber und sangen dazu ein vlämischcs Liebchen,
welches in deutscher Uebersetzung folgendermaßen lautet:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/522>, abgerufen am 15.01.2025.