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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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Gläschen aufwartet, während sie noch zu Bett liegt, das Recht auf ein Geschenk
hat. Die alte fromme Sitte, nach welcher hier die Musikanten in der Syl¬
vesternacht auf den großen Markt zogen, um der dort stehenden Statue der
Jungfrau Maria in Gestalt von drei Musikstückchen ihr Nenjahrsgeschenk dar¬
zubringen, ist abgekommen, ebenso der bis vor Kurzem in ganz Belgien übliche
Gebrauch, die Honoratioren der Städte in der Mitternachtsstunde jenes Tages
mit einem Ständchen zu ehren,

Dagegen hat sich in einigen Strichen Flanderns sowie im Limburgschen
die Sitte erhalten, wenn die Glocke in der Sylvesternacht zwölf schlägt. Flinten¬
schüsse abzufeuern. Dies geschieht namentlich von den junge" Burschen unter
den Fenstern ihrer Schätzchen, und wird von letzteren damit belohnt, daß sie
von oben an einem Faden eine Flasche Genever herablassen. Ein Mädchen,
das diesen Neujahrsgruß nicht vernähme, würde ihr Verhältniß gelöst glauben,
und je größer die Zahl der Schüsse, desto stärker ist in den Augen der Dirne
die Liede ihres Schatzes.

Während diese alten, den deutschen Neujahrsgebräuchen vielfach verwand¬
ten Sitten von Jahr zu Jahr mehr Terrain verlieren, breitet sich die fran¬
zösische Sitte der "ktrennes" selbst unter der vlämischen Bevölkerung fortwäh¬
rend weiter aus. Ganz wie in Frankreich ist auch in Belgien der Neujahrstag
ein Tag der Zwangssteuer, wo man von seinen Dienstleuten gleich Wechselschuld-
ner verfolgt wird, wo jeder Glückwunsch zu bezahlen, jeder Gruß mit "Geld
zu belohnen ist. Die Laufburschen, die Zeitungsträger, die Lampenputzer, die
Nachtwächter, die Tambours der Bürgergarde, die Aufwärter der verschiedenen
Clubs durchlaufen die Stadt, um sich gegen den Wunsch "une Ircmi-enss nou-
v<zik<z emnee" oder "een zalig nieuwjacr en vcel naervolgende" ein "pourlzoüö"
oder "eene kleine fooi" einzutauschen. Die Kellner der Gasthöfe, scheuten
und Kaffeehäuser überreichen den Stammgästen dieser Anstalten einen kleinen
Almanach oder einen gereimten Glückwunsch zu demselben Zweck.

In Namur vertheilen die Lampenputzer an alle Bewohner der Stadt ein
wallonisches Gedicht, in welchem sie um ein Trinkgeld bitten, die Bierwirthe
senden ihren Brauern Fladen, die Fleischer ihren Abnehmern eine Schöpsen¬
keule. In Huy beschenkt der Kaffeewirth seine Gäste an diesem Tage mit
einem Stück Kuchen. In Brüssel pflegen die Bäcker ihren Kunden einen Kuchen
zu schicken, in Brügge backen sie für dieselben "Nieuwjnerkes" und "Nieuw-
jaerskoeken;" erstere sind Pfefferkuchen in Form von Herzen oder Sternen,
letztere eine Art Rosinenbrötchen. In Dinant bringen die Kinder am Neujahrs¬
tag ihren Lehrern Torten, Kuchen und Wein. In Lüttich ziehen Kinder armer
Leute von Haus zu Haus, um Oblaten anzubieten und dafür ein Geldgeschenk
zu erhalten. Die Köchin pflegt die erste dieser Oblaten, die ihr gebracht wird,
aus die Schwelle der Küche zu kleben, da das Glück bringt; anch verfehlen die


Gläschen aufwartet, während sie noch zu Bett liegt, das Recht auf ein Geschenk
hat. Die alte fromme Sitte, nach welcher hier die Musikanten in der Syl¬
vesternacht auf den großen Markt zogen, um der dort stehenden Statue der
Jungfrau Maria in Gestalt von drei Musikstückchen ihr Nenjahrsgeschenk dar¬
zubringen, ist abgekommen, ebenso der bis vor Kurzem in ganz Belgien übliche
Gebrauch, die Honoratioren der Städte in der Mitternachtsstunde jenes Tages
mit einem Ständchen zu ehren,

Dagegen hat sich in einigen Strichen Flanderns sowie im Limburgschen
die Sitte erhalten, wenn die Glocke in der Sylvesternacht zwölf schlägt. Flinten¬
schüsse abzufeuern. Dies geschieht namentlich von den junge» Burschen unter
den Fenstern ihrer Schätzchen, und wird von letzteren damit belohnt, daß sie
von oben an einem Faden eine Flasche Genever herablassen. Ein Mädchen,
das diesen Neujahrsgruß nicht vernähme, würde ihr Verhältniß gelöst glauben,
und je größer die Zahl der Schüsse, desto stärker ist in den Augen der Dirne
die Liede ihres Schatzes.

Während diese alten, den deutschen Neujahrsgebräuchen vielfach verwand¬
ten Sitten von Jahr zu Jahr mehr Terrain verlieren, breitet sich die fran¬
zösische Sitte der „ktrennes" selbst unter der vlämischen Bevölkerung fortwäh¬
rend weiter aus. Ganz wie in Frankreich ist auch in Belgien der Neujahrstag
ein Tag der Zwangssteuer, wo man von seinen Dienstleuten gleich Wechselschuld-
ner verfolgt wird, wo jeder Glückwunsch zu bezahlen, jeder Gruß mit "Geld
zu belohnen ist. Die Laufburschen, die Zeitungsträger, die Lampenputzer, die
Nachtwächter, die Tambours der Bürgergarde, die Aufwärter der verschiedenen
Clubs durchlaufen die Stadt, um sich gegen den Wunsch „une Ircmi-enss nou-
v<zik<z emnee" oder „een zalig nieuwjacr en vcel naervolgende" ein „pourlzoüö"
oder „eene kleine fooi" einzutauschen. Die Kellner der Gasthöfe, scheuten
und Kaffeehäuser überreichen den Stammgästen dieser Anstalten einen kleinen
Almanach oder einen gereimten Glückwunsch zu demselben Zweck.

In Namur vertheilen die Lampenputzer an alle Bewohner der Stadt ein
wallonisches Gedicht, in welchem sie um ein Trinkgeld bitten, die Bierwirthe
senden ihren Brauern Fladen, die Fleischer ihren Abnehmern eine Schöpsen¬
keule. In Huy beschenkt der Kaffeewirth seine Gäste an diesem Tage mit
einem Stück Kuchen. In Brüssel pflegen die Bäcker ihren Kunden einen Kuchen
zu schicken, in Brügge backen sie für dieselben „Nieuwjnerkes" und „Nieuw-
jaerskoeken;" erstere sind Pfefferkuchen in Form von Herzen oder Sternen,
letztere eine Art Rosinenbrötchen. In Dinant bringen die Kinder am Neujahrs¬
tag ihren Lehrern Torten, Kuchen und Wein. In Lüttich ziehen Kinder armer
Leute von Haus zu Haus, um Oblaten anzubieten und dafür ein Geldgeschenk
zu erhalten. Die Köchin pflegt die erste dieser Oblaten, die ihr gebracht wird,
aus die Schwelle der Küche zu kleben, da das Glück bringt; anch verfehlen die


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[0513] Gläschen aufwartet, während sie noch zu Bett liegt, das Recht auf ein Geschenk hat. Die alte fromme Sitte, nach welcher hier die Musikanten in der Syl¬ vesternacht auf den großen Markt zogen, um der dort stehenden Statue der Jungfrau Maria in Gestalt von drei Musikstückchen ihr Nenjahrsgeschenk dar¬ zubringen, ist abgekommen, ebenso der bis vor Kurzem in ganz Belgien übliche Gebrauch, die Honoratioren der Städte in der Mitternachtsstunde jenes Tages mit einem Ständchen zu ehren, Dagegen hat sich in einigen Strichen Flanderns sowie im Limburgschen die Sitte erhalten, wenn die Glocke in der Sylvesternacht zwölf schlägt. Flinten¬ schüsse abzufeuern. Dies geschieht namentlich von den junge» Burschen unter den Fenstern ihrer Schätzchen, und wird von letzteren damit belohnt, daß sie von oben an einem Faden eine Flasche Genever herablassen. Ein Mädchen, das diesen Neujahrsgruß nicht vernähme, würde ihr Verhältniß gelöst glauben, und je größer die Zahl der Schüsse, desto stärker ist in den Augen der Dirne die Liede ihres Schatzes. Während diese alten, den deutschen Neujahrsgebräuchen vielfach verwand¬ ten Sitten von Jahr zu Jahr mehr Terrain verlieren, breitet sich die fran¬ zösische Sitte der „ktrennes" selbst unter der vlämischen Bevölkerung fortwäh¬ rend weiter aus. Ganz wie in Frankreich ist auch in Belgien der Neujahrstag ein Tag der Zwangssteuer, wo man von seinen Dienstleuten gleich Wechselschuld- ner verfolgt wird, wo jeder Glückwunsch zu bezahlen, jeder Gruß mit "Geld zu belohnen ist. Die Laufburschen, die Zeitungsträger, die Lampenputzer, die Nachtwächter, die Tambours der Bürgergarde, die Aufwärter der verschiedenen Clubs durchlaufen die Stadt, um sich gegen den Wunsch „une Ircmi-enss nou- v<zik<z emnee" oder „een zalig nieuwjacr en vcel naervolgende" ein „pourlzoüö" oder „eene kleine fooi" einzutauschen. Die Kellner der Gasthöfe, scheuten und Kaffeehäuser überreichen den Stammgästen dieser Anstalten einen kleinen Almanach oder einen gereimten Glückwunsch zu demselben Zweck. In Namur vertheilen die Lampenputzer an alle Bewohner der Stadt ein wallonisches Gedicht, in welchem sie um ein Trinkgeld bitten, die Bierwirthe senden ihren Brauern Fladen, die Fleischer ihren Abnehmern eine Schöpsen¬ keule. In Huy beschenkt der Kaffeewirth seine Gäste an diesem Tage mit einem Stück Kuchen. In Brüssel pflegen die Bäcker ihren Kunden einen Kuchen zu schicken, in Brügge backen sie für dieselben „Nieuwjnerkes" und „Nieuw- jaerskoeken;" erstere sind Pfefferkuchen in Form von Herzen oder Sternen, letztere eine Art Rosinenbrötchen. In Dinant bringen die Kinder am Neujahrs¬ tag ihren Lehrern Torten, Kuchen und Wein. In Lüttich ziehen Kinder armer Leute von Haus zu Haus, um Oblaten anzubieten und dafür ein Geldgeschenk zu erhalten. Die Köchin pflegt die erste dieser Oblaten, die ihr gebracht wird, aus die Schwelle der Küche zu kleben, da das Glück bringt; anch verfehlen die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/513>, abgerufen am 15.01.2025.