Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.fehlte, so hätte man ihm vorgeworfen, er wolle alle Welt zu Bauern machen, Was führte Auerbach -- der in seinem Streben ebenso progressistisch war sowol in dieser Art des Schaffens als auch in der Beschränkung auf Die neue Dorfgeschichte zeigt mehr als die meisten andern der letzten fehlte, so hätte man ihm vorgeworfen, er wolle alle Welt zu Bauern machen, Was führte Auerbach — der in seinem Streben ebenso progressistisch war sowol in dieser Art des Schaffens als auch in der Beschränkung auf Die neue Dorfgeschichte zeigt mehr als die meisten andern der letzten <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0497" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/110845"/> <p xml:id="ID_1492" prev="#ID_1491"> fehlte, so hätte man ihm vorgeworfen, er wolle alle Welt zu Bauern machen,<lb/> wie man Andern vorwarf, sie wollten den Handwerkerstand zum herrschenden<lb/> in Deutschland erheben.</p><lb/> <p xml:id="ID_1493"> Was führte Auerbach — der in seinem Streben ebenso progressistisch war<lb/> als die Jungdeutschen — zu den Bauern? — Die Erkenntniß, daß die im<lb/> Salon der Romantik erzogenen Jungdeutschen, die nichts anderes als über<lb/> 8Kg.l!e8xeai'6 emä tus musieal Msse« zu reden wußten, die nichts anderes zu<lb/> thun wußten als zu reden; daß diese zweiten verwässerten Auflagen früherer<lb/> Romcmsiguren. über die sie räsonnirten. keine wirkliche Gestalten seien, des<lb/> Lebens fähig und des Lebens werth, sondern hohle, leere Schemen, nichtige<lb/> Ausgeburten eines durch die widersprechenden Stichwörter des Tags in Ver¬<lb/> wirrung gesetzten Gehirns. — Seine Erfahrung lehrte ihn Bauern kennen,<lb/> die von diesem Molluskenthum gar nichts hatten, die in ihrer Einfachheit sehr<lb/> fest, in ihren sittlichen Vorurtheilen und Voraussetzungen sehr bestimmt waren;<lb/> Gestalten, die, weil sie wirklich existirten, auch poetisch zu existiren berechtigt<lb/> waren. — Mit Entzücken lauschte er ihren Redensarten, die immer concret,<lb/> immer zur Sache gehörig, den leeren Allgemeinheiten der Salons ganz entgegen¬<lb/> gesetzt, kaum mehr bearbeitet werden dursten, um in der Poesie ein Bürger¬<lb/> recht zu haben. Wie die Gelehrten im „Volk" umhergingen, um durch Samm¬<lb/> lung von Sagen. Gedichten, Sprichwörtern ein lebendiges Bild von der Urzeit<lb/> Deutschlands zu erhalten, so merkte der Dichter auf seine Weise, zu denken und<lb/> zu empfinden, um sich dadurch wieder zur Conception ganzer und voller Ge¬<lb/> stalten zu erheben. Es war ein glücklicher Griff, und er wurde mit warmer<lb/> Liebe, mit großer poetischer Empfänglichkeit und mit seinem Verständniß für<lb/> das, was die Zeit daraus lernen konnte, zuerst zu kleinen, dann zu großen<lb/> Bildern verwerthet. Die Detailbcobachtung war das erste; das warme Gefühl<lb/> für die Natur, das diesem Detail zu Grunde lag, d. h. die Empfänglichkeit,<lb/> das zweite; dann das Bemühen, aus dem Innern heraus Gestalten zu schassen,<lb/> die in dieser Weise zu denken und zu empfinden im Stande waren.</p><lb/> <p xml:id="ID_1494"> sowol in dieser Art des Schaffens als auch in der Beschränkung auf<lb/> einen zu engen Kreis lag, wenn wir den absoluten Maßstab anlegen, eine<lb/> gewisse Einseitigkeit; aber es war ein sehr heilsames, ja ein nothwendiges<lb/> Correctiv sür jene Zeit, in der die Kunst zur Lüge und zur Blasirtheit zu ver¬<lb/> sinken drohte. Bedenklich war es für die Zukunft des Dichters: wenn man<lb/> sich ausschließlich mit einem Gegenstand beschäftigt, liegt die Gefahr der Ueber¬<lb/> treibung nahe: das Charakteristische wird gehäuft, das Gewöhnliche zu sehr<lb/> vermieden; das Barocke liegt nahe. Etwas Zerhacktes in der Darstellung und<lb/> Composition war nicht immer zu verkennen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1495" next="#ID_1496"> Die neue Dorfgeschichte zeigt mehr als die meisten andern der letzten<lb/> Jahre, wie sehr sich Auerbach bemüht, diese Fehler zu vermeiden. Die Coa-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0497]
fehlte, so hätte man ihm vorgeworfen, er wolle alle Welt zu Bauern machen,
wie man Andern vorwarf, sie wollten den Handwerkerstand zum herrschenden
in Deutschland erheben.
Was führte Auerbach — der in seinem Streben ebenso progressistisch war
als die Jungdeutschen — zu den Bauern? — Die Erkenntniß, daß die im
Salon der Romantik erzogenen Jungdeutschen, die nichts anderes als über
8Kg.l!e8xeai'6 emä tus musieal Msse« zu reden wußten, die nichts anderes zu
thun wußten als zu reden; daß diese zweiten verwässerten Auflagen früherer
Romcmsiguren. über die sie räsonnirten. keine wirkliche Gestalten seien, des
Lebens fähig und des Lebens werth, sondern hohle, leere Schemen, nichtige
Ausgeburten eines durch die widersprechenden Stichwörter des Tags in Ver¬
wirrung gesetzten Gehirns. — Seine Erfahrung lehrte ihn Bauern kennen,
die von diesem Molluskenthum gar nichts hatten, die in ihrer Einfachheit sehr
fest, in ihren sittlichen Vorurtheilen und Voraussetzungen sehr bestimmt waren;
Gestalten, die, weil sie wirklich existirten, auch poetisch zu existiren berechtigt
waren. — Mit Entzücken lauschte er ihren Redensarten, die immer concret,
immer zur Sache gehörig, den leeren Allgemeinheiten der Salons ganz entgegen¬
gesetzt, kaum mehr bearbeitet werden dursten, um in der Poesie ein Bürger¬
recht zu haben. Wie die Gelehrten im „Volk" umhergingen, um durch Samm¬
lung von Sagen. Gedichten, Sprichwörtern ein lebendiges Bild von der Urzeit
Deutschlands zu erhalten, so merkte der Dichter auf seine Weise, zu denken und
zu empfinden, um sich dadurch wieder zur Conception ganzer und voller Ge¬
stalten zu erheben. Es war ein glücklicher Griff, und er wurde mit warmer
Liebe, mit großer poetischer Empfänglichkeit und mit seinem Verständniß für
das, was die Zeit daraus lernen konnte, zuerst zu kleinen, dann zu großen
Bildern verwerthet. Die Detailbcobachtung war das erste; das warme Gefühl
für die Natur, das diesem Detail zu Grunde lag, d. h. die Empfänglichkeit,
das zweite; dann das Bemühen, aus dem Innern heraus Gestalten zu schassen,
die in dieser Weise zu denken und zu empfinden im Stande waren.
sowol in dieser Art des Schaffens als auch in der Beschränkung auf
einen zu engen Kreis lag, wenn wir den absoluten Maßstab anlegen, eine
gewisse Einseitigkeit; aber es war ein sehr heilsames, ja ein nothwendiges
Correctiv sür jene Zeit, in der die Kunst zur Lüge und zur Blasirtheit zu ver¬
sinken drohte. Bedenklich war es für die Zukunft des Dichters: wenn man
sich ausschließlich mit einem Gegenstand beschäftigt, liegt die Gefahr der Ueber¬
treibung nahe: das Charakteristische wird gehäuft, das Gewöhnliche zu sehr
vermieden; das Barocke liegt nahe. Etwas Zerhacktes in der Darstellung und
Composition war nicht immer zu verkennen.
Die neue Dorfgeschichte zeigt mehr als die meisten andern der letzten
Jahre, wie sehr sich Auerbach bemüht, diese Fehler zu vermeiden. Die Coa-
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