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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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Ich sah hier zum erstenmale die Piemontesen, welche meistens aus recht
junge" Leuten bestanden. Indeß waren auch viele ältere unter ihnen, welche
die Medaille aus der Krim und dem vorjährigen Feldzuge trugen. Es
herrschte unter ihnen musterhafte Disciplin und Kameradschaft, der größte
Theil waren Freiwillige, namentlich nnter den Bersaglieri, welche mit ihrer
Jacke, rothem Shawl statt Halsbinde und ihrem runden Federhut mit breiter
Krämpe, etwas freibeuterisch ausschauten. ' Im Ganzen sahen die Piemon-
tesen ärmlich aus, ihre hellgrauen Mäntel waren abgeschabt und ihre grauen
Drill-Hosen, welche in den Kamaschcn eingeschnürt waren, halten vom Feld-
zuge ebenfalls sehr gelitten. Ich wunderie mich, unter ihnen so viele
Ausländer zu finden, wenigstens wurde ich von einigen auf ungarisch, pol¬
nisch und selbst deutsch angeredet, mich nnter den Offizieren entdeckte ich spä¬
ter Deutsche und Ungarn. -- Nachmittags zogen sie in Masse in die Stadt,
die sich im Nu mit einem festlichen Gewand bekleidete. Kein Fenster, an wel¬
chem nicht eine Tricolor heraushing, sein Bürger, keine Fran, kein Kind,
welche nicht die drei Farben entweder als Schärpe, Kokarde oder sonst
aus eine sinnige Weise getragen hätte. Selbst Pferde und Hunde waren damit
geschmückt. Jeder ankommende oder abfahrende Wagen trug auf dem Bocke
die italienische Nationalflagge. Auch hatten schon einige an den Hüten das
Wort "Annezivne" oder "Si"' Woher kamen auf einmal diese Farben und
Zeichen? waren sie in fünf Minuten fabrizirt? Hatte man doch uns gleichsam
zum Hohne schon bei einigen Mützenmachern seit einigen Tagen piemontesische
Militär-Mützen verfertigen sehen. Heute war Abends allgemeine Illumination,
welche noch drei Tage lang wiederholt wurde. -- Die Soldaten wurden von
den Bürgern zum Essen und Trinken in die Häuser genöthigt, es gab auf
einmal Lebensmittel und Wein in Hülle und Fülle, während vorher für uns
nichts zu bekommen gewesen. Lamvriciöre sah Niemand wieder, er war be¬
reits abgereist. -- Abends ging ich nach dem Monte Capnccino zur Com¬
pagnie, um das letzte Mal als freier Soldat zu schlafen, den andern Morgen
sollten wir Kriegsgefangene der Piemontesen sein. -- Oben auf dem Monte
Capuccino hatte sich ein ganz anderer sonderbarer Geist der Soldaten be¬
mächtigt. Jeder wollte tkunlichst Geld forttragen. deshalb verkauften sie alles
Mögliche, selbst päpstliche Militärsachen. "Es ist ja gleich", sagten sie, "ob
dies der Piemontese oder der Bürger nimmt."

Die Bürger kauften Alles, was man ihnen anbot. Gewehre, Pferde.
Tornister, Mäntel, Hosen ?c. Manche von unsern Herren Offizieren waren bei
'diesem Schacher mit gutem Beispiel vorangegangen. Die Quartier-Meister
einzelner Corps waren schon nebst Kassen verschwunden, selbst ein Intendant
(oberster Rechnungsbeamter) war abhanden gekommen. Ein .Capitän Castella
vom zweiten Schweizerregiment hatte sechs Stück Schweizerstutzen, welche von


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Ich sah hier zum erstenmale die Piemontesen, welche meistens aus recht
junge» Leuten bestanden. Indeß waren auch viele ältere unter ihnen, welche
die Medaille aus der Krim und dem vorjährigen Feldzuge trugen. Es
herrschte unter ihnen musterhafte Disciplin und Kameradschaft, der größte
Theil waren Freiwillige, namentlich nnter den Bersaglieri, welche mit ihrer
Jacke, rothem Shawl statt Halsbinde und ihrem runden Federhut mit breiter
Krämpe, etwas freibeuterisch ausschauten. ' Im Ganzen sahen die Piemon-
tesen ärmlich aus, ihre hellgrauen Mäntel waren abgeschabt und ihre grauen
Drill-Hosen, welche in den Kamaschcn eingeschnürt waren, halten vom Feld-
zuge ebenfalls sehr gelitten. Ich wunderie mich, unter ihnen so viele
Ausländer zu finden, wenigstens wurde ich von einigen auf ungarisch, pol¬
nisch und selbst deutsch angeredet, mich nnter den Offizieren entdeckte ich spä¬
ter Deutsche und Ungarn. — Nachmittags zogen sie in Masse in die Stadt,
die sich im Nu mit einem festlichen Gewand bekleidete. Kein Fenster, an wel¬
chem nicht eine Tricolor heraushing, sein Bürger, keine Fran, kein Kind,
welche nicht die drei Farben entweder als Schärpe, Kokarde oder sonst
aus eine sinnige Weise getragen hätte. Selbst Pferde und Hunde waren damit
geschmückt. Jeder ankommende oder abfahrende Wagen trug auf dem Bocke
die italienische Nationalflagge. Auch hatten schon einige an den Hüten das
Wort „Annezivne" oder „Si"' Woher kamen auf einmal diese Farben und
Zeichen? waren sie in fünf Minuten fabrizirt? Hatte man doch uns gleichsam
zum Hohne schon bei einigen Mützenmachern seit einigen Tagen piemontesische
Militär-Mützen verfertigen sehen. Heute war Abends allgemeine Illumination,
welche noch drei Tage lang wiederholt wurde. — Die Soldaten wurden von
den Bürgern zum Essen und Trinken in die Häuser genöthigt, es gab auf
einmal Lebensmittel und Wein in Hülle und Fülle, während vorher für uns
nichts zu bekommen gewesen. Lamvriciöre sah Niemand wieder, er war be¬
reits abgereist. — Abends ging ich nach dem Monte Capnccino zur Com¬
pagnie, um das letzte Mal als freier Soldat zu schlafen, den andern Morgen
sollten wir Kriegsgefangene der Piemontesen sein. — Oben auf dem Monte
Capuccino hatte sich ein ganz anderer sonderbarer Geist der Soldaten be¬
mächtigt. Jeder wollte tkunlichst Geld forttragen. deshalb verkauften sie alles
Mögliche, selbst päpstliche Militärsachen. „Es ist ja gleich", sagten sie, „ob
dies der Piemontese oder der Bürger nimmt."

Die Bürger kauften Alles, was man ihnen anbot. Gewehre, Pferde.
Tornister, Mäntel, Hosen ?c. Manche von unsern Herren Offizieren waren bei
'diesem Schacher mit gutem Beispiel vorangegangen. Die Quartier-Meister
einzelner Corps waren schon nebst Kassen verschwunden, selbst ein Intendant
(oberster Rechnungsbeamter) war abhanden gekommen. Ein .Capitän Castella
vom zweiten Schweizerregiment hatte sechs Stück Schweizerstutzen, welche von


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[0487] Ich sah hier zum erstenmale die Piemontesen, welche meistens aus recht junge» Leuten bestanden. Indeß waren auch viele ältere unter ihnen, welche die Medaille aus der Krim und dem vorjährigen Feldzuge trugen. Es herrschte unter ihnen musterhafte Disciplin und Kameradschaft, der größte Theil waren Freiwillige, namentlich nnter den Bersaglieri, welche mit ihrer Jacke, rothem Shawl statt Halsbinde und ihrem runden Federhut mit breiter Krämpe, etwas freibeuterisch ausschauten. ' Im Ganzen sahen die Piemon- tesen ärmlich aus, ihre hellgrauen Mäntel waren abgeschabt und ihre grauen Drill-Hosen, welche in den Kamaschcn eingeschnürt waren, halten vom Feld- zuge ebenfalls sehr gelitten. Ich wunderie mich, unter ihnen so viele Ausländer zu finden, wenigstens wurde ich von einigen auf ungarisch, pol¬ nisch und selbst deutsch angeredet, mich nnter den Offizieren entdeckte ich spä¬ ter Deutsche und Ungarn. — Nachmittags zogen sie in Masse in die Stadt, die sich im Nu mit einem festlichen Gewand bekleidete. Kein Fenster, an wel¬ chem nicht eine Tricolor heraushing, sein Bürger, keine Fran, kein Kind, welche nicht die drei Farben entweder als Schärpe, Kokarde oder sonst aus eine sinnige Weise getragen hätte. Selbst Pferde und Hunde waren damit geschmückt. Jeder ankommende oder abfahrende Wagen trug auf dem Bocke die italienische Nationalflagge. Auch hatten schon einige an den Hüten das Wort „Annezivne" oder „Si"' Woher kamen auf einmal diese Farben und Zeichen? waren sie in fünf Minuten fabrizirt? Hatte man doch uns gleichsam zum Hohne schon bei einigen Mützenmachern seit einigen Tagen piemontesische Militär-Mützen verfertigen sehen. Heute war Abends allgemeine Illumination, welche noch drei Tage lang wiederholt wurde. — Die Soldaten wurden von den Bürgern zum Essen und Trinken in die Häuser genöthigt, es gab auf einmal Lebensmittel und Wein in Hülle und Fülle, während vorher für uns nichts zu bekommen gewesen. Lamvriciöre sah Niemand wieder, er war be¬ reits abgereist. — Abends ging ich nach dem Monte Capnccino zur Com¬ pagnie, um das letzte Mal als freier Soldat zu schlafen, den andern Morgen sollten wir Kriegsgefangene der Piemontesen sein. — Oben auf dem Monte Capuccino hatte sich ein ganz anderer sonderbarer Geist der Soldaten be¬ mächtigt. Jeder wollte tkunlichst Geld forttragen. deshalb verkauften sie alles Mögliche, selbst päpstliche Militärsachen. „Es ist ja gleich", sagten sie, „ob dies der Piemontese oder der Bürger nimmt." Die Bürger kauften Alles, was man ihnen anbot. Gewehre, Pferde. Tornister, Mäntel, Hosen ?c. Manche von unsern Herren Offizieren waren bei 'diesem Schacher mit gutem Beispiel vorangegangen. Die Quartier-Meister einzelner Corps waren schon nebst Kassen verschwunden, selbst ein Intendant (oberster Rechnungsbeamter) war abhanden gekommen. Ein .Capitän Castella vom zweiten Schweizerregiment hatte sechs Stück Schweizerstutzen, welche von 60* >

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/487>, abgerufen am 15.01.2025.