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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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ziehung drang. Der Kaiser hatte bereits im Jahre 1854 angeordnet, daß
der Sitz des Superintendenten von dem abgelegenen Orte Birthälm nach der
Landeshauptstadt verlegt werde. Auch dieser Befehl blieb unvollzogen, weil
der Staat nur für Errichtung griechisch-katholischer Bisthümer und Erzbisthümer
Geld hatte, der evangelischen Kirche aber ungeachtet vieler Bitten für die
Superintendentur keine Fonds anwies. Ja selbst die kirchlichen Zehnten der
Evangelischen wurden bis zum Jahre 1858 nicht abgelöst, und als sie dann
abgelöst wurden, in so geringem Maße, daß die Geistlichen sich auf die Hälfte
ja zum Theil auf ein Drittel ihres frühern Naturaleinkommens herabgesetzt
sahen. Das Patent vom 1. Sept. 1859 brachte der Landeskirche in Sieben¬
bürgen keine Erlösung. Es mühte im Gegentheil fast wieder ein ganzes Jahr
vergehen, bis es der Regierung auf die Bitten der Kirche, ihre Verfassung
vom Jahre 1855 auf Grund des freisinnigen Patents für Ungarn vor der
gänzlichen Durchführung zweckmäßig zu revidiren, endlich gefiel, einen Ministerial-
commissär nach Hermannstadt zu entsenden, um das Verfassungswerk zum
Abschluß zu bringen. Seitdem sind wieder einige Monate verstrichen. Obwol
man der Regierung in Siebenbürgen mit Vertrauen entgegen gekommen war,
so zögert sie dennoch bis heute die Kirche zu befriedigen. Auch eine Adresse
des Reichsrathes Maager, welcher jüngst auf die Gefahren, die dem Staats-
wesen aus so unverantwortlicher Verletzung der öffentlichen Moral erwachsen
müssen, aufmerksam machte und auf endliche Lösung der nun im zehnten Jahre
schwebenden kirchlichen Verfassungsfrage drang, ist bisher ohne Erfolg geblie¬
ben. Eine kernige deutsche Bevölkerung, welche im Lauf der Jahrhunderte
soviel für Oestreich gekämpst und geblutet -- sie wird, weil sie evangelisch
ist. mit Gewalt in die Arme des Magyarismus getrieben. Es ist dies derselbe
deutsche Volksstamm, dieselbe evangelische Kirche, an welche der Kaiser in einem
vom Minister Fürsten Schwarzenberg contrasignirten Manifeste vom 21. De¬
cember 1848 Folgendes schrieb: "Thron und Staat, für die Ihr gekämpft,
werden Euch die verdiente Anerkennung zollen und die Bürgschaften zu schützen
wissen, welche Eure von unsern Ahnen so oft belobte Tapferkeit, Ausdauer
und Treue, vornehmlich aber Euer Sinn für Ordnung und Gesetzlichkeit und
der vernünftige Gebrauch der hierdurch unter Euch heimisch gewordenen Frei¬
heit sür den Glanz der Krone und den Bestand des Staats gewähren!" Das
bedarf keines Commentars!

Wie die Verfassungsverhältnisse der evangelischen Kirche in Ungarn sich
gestaltet haben, ist bekannt. Die ungarisch-evangelische Kirchenordnung war,
wie ein geistreiches Mitglied der ungarischen Academie, der Calviner Alexius
Fenyes, treffend bemerkt hat, vordem ein wahres Kunterbunt. Aus frühern
mehr clericalen und cpiscopalen Einrichtungen, namentlich in der reformirten
Kirche, zum Presbyterialismus und Synodalismus fortgeschritten, hatte sie sich


ziehung drang. Der Kaiser hatte bereits im Jahre 1854 angeordnet, daß
der Sitz des Superintendenten von dem abgelegenen Orte Birthälm nach der
Landeshauptstadt verlegt werde. Auch dieser Befehl blieb unvollzogen, weil
der Staat nur für Errichtung griechisch-katholischer Bisthümer und Erzbisthümer
Geld hatte, der evangelischen Kirche aber ungeachtet vieler Bitten für die
Superintendentur keine Fonds anwies. Ja selbst die kirchlichen Zehnten der
Evangelischen wurden bis zum Jahre 1858 nicht abgelöst, und als sie dann
abgelöst wurden, in so geringem Maße, daß die Geistlichen sich auf die Hälfte
ja zum Theil auf ein Drittel ihres frühern Naturaleinkommens herabgesetzt
sahen. Das Patent vom 1. Sept. 1859 brachte der Landeskirche in Sieben¬
bürgen keine Erlösung. Es mühte im Gegentheil fast wieder ein ganzes Jahr
vergehen, bis es der Regierung auf die Bitten der Kirche, ihre Verfassung
vom Jahre 1855 auf Grund des freisinnigen Patents für Ungarn vor der
gänzlichen Durchführung zweckmäßig zu revidiren, endlich gefiel, einen Ministerial-
commissär nach Hermannstadt zu entsenden, um das Verfassungswerk zum
Abschluß zu bringen. Seitdem sind wieder einige Monate verstrichen. Obwol
man der Regierung in Siebenbürgen mit Vertrauen entgegen gekommen war,
so zögert sie dennoch bis heute die Kirche zu befriedigen. Auch eine Adresse
des Reichsrathes Maager, welcher jüngst auf die Gefahren, die dem Staats-
wesen aus so unverantwortlicher Verletzung der öffentlichen Moral erwachsen
müssen, aufmerksam machte und auf endliche Lösung der nun im zehnten Jahre
schwebenden kirchlichen Verfassungsfrage drang, ist bisher ohne Erfolg geblie¬
ben. Eine kernige deutsche Bevölkerung, welche im Lauf der Jahrhunderte
soviel für Oestreich gekämpst und geblutet — sie wird, weil sie evangelisch
ist. mit Gewalt in die Arme des Magyarismus getrieben. Es ist dies derselbe
deutsche Volksstamm, dieselbe evangelische Kirche, an welche der Kaiser in einem
vom Minister Fürsten Schwarzenberg contrasignirten Manifeste vom 21. De¬
cember 1848 Folgendes schrieb: „Thron und Staat, für die Ihr gekämpft,
werden Euch die verdiente Anerkennung zollen und die Bürgschaften zu schützen
wissen, welche Eure von unsern Ahnen so oft belobte Tapferkeit, Ausdauer
und Treue, vornehmlich aber Euer Sinn für Ordnung und Gesetzlichkeit und
der vernünftige Gebrauch der hierdurch unter Euch heimisch gewordenen Frei¬
heit sür den Glanz der Krone und den Bestand des Staats gewähren!" Das
bedarf keines Commentars!

Wie die Verfassungsverhältnisse der evangelischen Kirche in Ungarn sich
gestaltet haben, ist bekannt. Die ungarisch-evangelische Kirchenordnung war,
wie ein geistreiches Mitglied der ungarischen Academie, der Calviner Alexius
Fenyes, treffend bemerkt hat, vordem ein wahres Kunterbunt. Aus frühern
mehr clericalen und cpiscopalen Einrichtungen, namentlich in der reformirten
Kirche, zum Presbyterialismus und Synodalismus fortgeschritten, hatte sie sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/478>, abgerufen am 16.01.2025.