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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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sung, den Verhältnissen, unter welchen in dem Gebiete ihrer Amtswirksamkeit
ihre Glaubensgenossen leben, entsprechen dürfte, ihnen in der aufstehenden
Gliederung der kirchenregimentlichcn Organe eine Betheiligung einzuräumen
und weiche Veränderungen etwa in der Einrichtung und Zusammensetzung
der Konsistorien selbst wünschenswert!) wären". Und es bedürfte wirklich noch
einer Eingabe der evangelischen Gemeinden in Mührer, um den Ausspruch
des Cultusministeriums herbeizuführen, daß gegen die Anwendung des unga¬
rischen Protestantenpatents auf den Sprengel der WienersConsistoricn grund¬
sätzlich kein Anstand obwalte. Wenn man hinzunimmt, daß um dieselbe Zeit
an der Stelle des seit der Einrichtung der Konsistorien bestandenen katholi¬
schen Präsidiums endlich ein evangelischer Vorstand gesetzt und den evange¬
lischen Gemeinden innerhalb des Consistorialsprcngcls zugleich die Bewilligung
ertheilt wurde, jährlich einmal für den Gustav-Adolph-Verein eine Sammlung
einzuleiten, nicht aber auch, Gustav-Adolph Vereine zu bilden, so war das
Maß der Concessionen erschöpft, welche sich an das durch seine Nichtausfüh-
rung berühmt gewordene Ministerprogramm vom 22. August 1859 geknüpft
hatten. An ein Mehreres war nicht zu denken. Statt der Gleichberech¬
tigung hatte auch dieses Ministerprogramm die "freie Religionsübung" für ge¬
nügend erachtet, als ob man diese nicht schon längst besäße. Ein wahrer
Hohn! Man hatte Brod verlangt und man erhielt Steine. In gerechter
Entrüstung hierüber glaubten daher die Gemeinden, die an 18000 Seelen
zählenden Gemeinden beider Bekenntnisse in Wien voran, nur einer Pflicht
der Selbsterhaltung zu genügen, wenn sie der Negierung durch die Konsisto¬
rien zum Bewußtsein brachten, wie nebst einer der Idee der protestantischen
Kirche entsprechenden, auf dein Princip der Autonomie beruhenden Presby-
terial- und Synodalverfassung nur die Gewährung der vollen Gleichberechtigung,
wie sie im Geiste der deutschen Bundesgesetze liege, befriedigen werde und be¬
friedigen könne. Seitdem ist wieder ein Jahr vergangen. Auch hat man
gelesen, daß die Consistorien unter dem neuen Vorstand der Staatsregierung
it>r Gutachten schon längst unterbreitet.hätten. Allein man wartet trotz der
Gerechtigkeit dieser Sache und trotz der Gefährlichkeit der heutigen Lage des
Staates noch immer vergebens auf die Entscheidung. Eine schmerzliche Epi¬
sode hat mittlerweile der verstärkte Reichsrath geboten. Während der treff¬
liche siebenbürger Sachse, Karl Maagcr, für seine bedrängten Glaubensge¬
nossen in den westlichen Kronländern die in seinem Heimatlande seit der
Reformation bestandene confessionelle Gleichberechtigung in Anspruch nahm,
wußten die beiden Aristokraten Clam und Sachen dem Reichsrathe einen An¬
trag mundgerecht zu machen, welcher eine schnöde Ablehnung der Maager'schen
Jnterpellation in sich schließt. Und wenn es noch einen Sanguiniker gab,
welcher von den Teplitzer Konferenzen sich auch in confessioneller Beziehung


sung, den Verhältnissen, unter welchen in dem Gebiete ihrer Amtswirksamkeit
ihre Glaubensgenossen leben, entsprechen dürfte, ihnen in der aufstehenden
Gliederung der kirchenregimentlichcn Organe eine Betheiligung einzuräumen
und weiche Veränderungen etwa in der Einrichtung und Zusammensetzung
der Konsistorien selbst wünschenswert!) wären". Und es bedürfte wirklich noch
einer Eingabe der evangelischen Gemeinden in Mührer, um den Ausspruch
des Cultusministeriums herbeizuführen, daß gegen die Anwendung des unga¬
rischen Protestantenpatents auf den Sprengel der WienersConsistoricn grund¬
sätzlich kein Anstand obwalte. Wenn man hinzunimmt, daß um dieselbe Zeit
an der Stelle des seit der Einrichtung der Konsistorien bestandenen katholi¬
schen Präsidiums endlich ein evangelischer Vorstand gesetzt und den evange¬
lischen Gemeinden innerhalb des Consistorialsprcngcls zugleich die Bewilligung
ertheilt wurde, jährlich einmal für den Gustav-Adolph-Verein eine Sammlung
einzuleiten, nicht aber auch, Gustav-Adolph Vereine zu bilden, so war das
Maß der Concessionen erschöpft, welche sich an das durch seine Nichtausfüh-
rung berühmt gewordene Ministerprogramm vom 22. August 1859 geknüpft
hatten. An ein Mehreres war nicht zu denken. Statt der Gleichberech¬
tigung hatte auch dieses Ministerprogramm die „freie Religionsübung" für ge¬
nügend erachtet, als ob man diese nicht schon längst besäße. Ein wahrer
Hohn! Man hatte Brod verlangt und man erhielt Steine. In gerechter
Entrüstung hierüber glaubten daher die Gemeinden, die an 18000 Seelen
zählenden Gemeinden beider Bekenntnisse in Wien voran, nur einer Pflicht
der Selbsterhaltung zu genügen, wenn sie der Negierung durch die Konsisto¬
rien zum Bewußtsein brachten, wie nebst einer der Idee der protestantischen
Kirche entsprechenden, auf dein Princip der Autonomie beruhenden Presby-
terial- und Synodalverfassung nur die Gewährung der vollen Gleichberechtigung,
wie sie im Geiste der deutschen Bundesgesetze liege, befriedigen werde und be¬
friedigen könne. Seitdem ist wieder ein Jahr vergangen. Auch hat man
gelesen, daß die Consistorien unter dem neuen Vorstand der Staatsregierung
it>r Gutachten schon längst unterbreitet.hätten. Allein man wartet trotz der
Gerechtigkeit dieser Sache und trotz der Gefährlichkeit der heutigen Lage des
Staates noch immer vergebens auf die Entscheidung. Eine schmerzliche Epi¬
sode hat mittlerweile der verstärkte Reichsrath geboten. Während der treff¬
liche siebenbürger Sachse, Karl Maagcr, für seine bedrängten Glaubensge¬
nossen in den westlichen Kronländern die in seinem Heimatlande seit der
Reformation bestandene confessionelle Gleichberechtigung in Anspruch nahm,
wußten die beiden Aristokraten Clam und Sachen dem Reichsrathe einen An¬
trag mundgerecht zu machen, welcher eine schnöde Ablehnung der Maager'schen
Jnterpellation in sich schließt. Und wenn es noch einen Sanguiniker gab,
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[0476] sung, den Verhältnissen, unter welchen in dem Gebiete ihrer Amtswirksamkeit ihre Glaubensgenossen leben, entsprechen dürfte, ihnen in der aufstehenden Gliederung der kirchenregimentlichcn Organe eine Betheiligung einzuräumen und weiche Veränderungen etwa in der Einrichtung und Zusammensetzung der Konsistorien selbst wünschenswert!) wären". Und es bedürfte wirklich noch einer Eingabe der evangelischen Gemeinden in Mührer, um den Ausspruch des Cultusministeriums herbeizuführen, daß gegen die Anwendung des unga¬ rischen Protestantenpatents auf den Sprengel der WienersConsistoricn grund¬ sätzlich kein Anstand obwalte. Wenn man hinzunimmt, daß um dieselbe Zeit an der Stelle des seit der Einrichtung der Konsistorien bestandenen katholi¬ schen Präsidiums endlich ein evangelischer Vorstand gesetzt und den evange¬ lischen Gemeinden innerhalb des Consistorialsprcngcls zugleich die Bewilligung ertheilt wurde, jährlich einmal für den Gustav-Adolph-Verein eine Sammlung einzuleiten, nicht aber auch, Gustav-Adolph Vereine zu bilden, so war das Maß der Concessionen erschöpft, welche sich an das durch seine Nichtausfüh- rung berühmt gewordene Ministerprogramm vom 22. August 1859 geknüpft hatten. An ein Mehreres war nicht zu denken. Statt der Gleichberech¬ tigung hatte auch dieses Ministerprogramm die „freie Religionsübung" für ge¬ nügend erachtet, als ob man diese nicht schon längst besäße. Ein wahrer Hohn! Man hatte Brod verlangt und man erhielt Steine. In gerechter Entrüstung hierüber glaubten daher die Gemeinden, die an 18000 Seelen zählenden Gemeinden beider Bekenntnisse in Wien voran, nur einer Pflicht der Selbsterhaltung zu genügen, wenn sie der Negierung durch die Konsisto¬ rien zum Bewußtsein brachten, wie nebst einer der Idee der protestantischen Kirche entsprechenden, auf dein Princip der Autonomie beruhenden Presby- terial- und Synodalverfassung nur die Gewährung der vollen Gleichberechtigung, wie sie im Geiste der deutschen Bundesgesetze liege, befriedigen werde und be¬ friedigen könne. Seitdem ist wieder ein Jahr vergangen. Auch hat man gelesen, daß die Consistorien unter dem neuen Vorstand der Staatsregierung it>r Gutachten schon längst unterbreitet.hätten. Allein man wartet trotz der Gerechtigkeit dieser Sache und trotz der Gefährlichkeit der heutigen Lage des Staates noch immer vergebens auf die Entscheidung. Eine schmerzliche Epi¬ sode hat mittlerweile der verstärkte Reichsrath geboten. Während der treff¬ liche siebenbürger Sachse, Karl Maagcr, für seine bedrängten Glaubensge¬ nossen in den westlichen Kronländern die in seinem Heimatlande seit der Reformation bestandene confessionelle Gleichberechtigung in Anspruch nahm, wußten die beiden Aristokraten Clam und Sachen dem Reichsrathe einen An¬ trag mundgerecht zu machen, welcher eine schnöde Ablehnung der Maager'schen Jnterpellation in sich schließt. Und wenn es noch einen Sanguiniker gab, welcher von den Teplitzer Konferenzen sich auch in confessioneller Beziehung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/476>, abgerufen am 16.01.2025.