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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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Perintcndentialversammlnng "angeregten wichtigen Fragen, die einer gemein¬
samen Erledigung bedürfen", "mit dem Ausschusse der Bischöfe in nähere
Verhandlung zu treten" und die Bischöfe von der Erfüllung jeuer Wünsche
natürlich nichts wissen wollten. Hätte Oestreich damals ernstlich und aufrichtig
an die Befriedigung der evangelischen Kirche gedacht, und hätte es damals
auch die Märzverfassung vom Jahre 1849 nicht aufgehoben: in der That,
wir stünden heute anders, brauchten nicht in Warschau Komplimente zu ma¬
chen und das DeutschthuM in Oestreich hinter die Thür zu stellen! Statt des¬
sen schloß man das Concordat mit Rom ab und führte die Gewalt der Bi¬
schöfe aus den tridentinischen Standpunkt zurück, um sich der Herrschaft über
die Gewissen vollends zu versichern, den Protestantismus in Oestreich mund¬
todt zu machen und sodann unter dem Banner des Ultramontantsmus auch
in der deutschen Kaiserpolitik Triumphe zu feiern. Wie jämmerlich hat sich
dies Programm der Rauscher, Phillips und Consorten gerichtet! In der gan¬
zen langen Periode von 1851 bis 1359 konnten die deutsch-slavischen Pro¬
testanten von der durch jesuitische Einflüsse verstrickten Regierung nichts mehr
erringen, als das magere Recht, ihre Seelsorger statt "Pastoren" "Pfarrer"
nennen zu dürfen. Das canonische Recht war auf den Thron gelangt, des¬
halb wurden die Evangelischen aus den gemeinsamen Friedhöfen hinausge¬
worfen; deshalb wurde es römisch-katholischen Ordensgeistlichen, die zum
Protestantismus übergetreten waren, verboten, eine rechtmäßige Ehe einzugehn;
deshalb wurden die gemischten Ehen nach wie vor zu Gunsten der katholischen
Kirche ausgebeutet. Bei solcher Strömung wurde das. Gesuch, für den
Gustav-Adolf-Verein innerhalb des Sprengels der Wiener Consistorien jähr¬
liche Sammlungen veranstalten und durch Bildung von Haupt- und Zweigverei¬
nen an die Gustav-Adolph Stiftung sich organisch anschließen zu dürfen, be¬
greiflicherweise einfach abgewiesen. Endlich nach der Schlacht bei Solferino
in dem Frieden von Villafranca. wo der zehnjährige Absolutismus und Je-
suitismus eine furchtbare Niederlage erlitten hatte, faßte man wieder Hoffnung.
Das Protcstantcnpatent für Ungarn erschien. Eine richtige und gerechte Po¬
litik hätte geboten, die durch dasselbe sanctionirte Kirchenverfassung auf die
evangelische Kirche in den deutsch-slavischen Ländern auszudehnen, um lang¬
gehegte Wünsche zu befriedigen, um der einheitlichen Gliederung der evange¬
lischen Kirchenverfassung vorzuarbeiten und zugleich, um sich ein Gegengewicht
gegen einen in Ungarn etwa auftauchenden Widerstand zu schaffen. Statt
dessen wurden die Consistorien in Wien erst angewiesen, "mit Berücksichtigung
jener Berathungen, welche von der im Jahre 1849 einberufenen Versamm¬
lung der Superintendenten und Vertrauensmänner bezüglich der Regelung
des Kirchenregiments gepflogen wurden, in reifliche Erwägung zu ziehn, in¬
wieweit es, unter Aufrechthaltung der zu Recht bestehenden Consistoricüversas-


Perintcndentialversammlnng „angeregten wichtigen Fragen, die einer gemein¬
samen Erledigung bedürfen", „mit dem Ausschusse der Bischöfe in nähere
Verhandlung zu treten" und die Bischöfe von der Erfüllung jeuer Wünsche
natürlich nichts wissen wollten. Hätte Oestreich damals ernstlich und aufrichtig
an die Befriedigung der evangelischen Kirche gedacht, und hätte es damals
auch die Märzverfassung vom Jahre 1849 nicht aufgehoben: in der That,
wir stünden heute anders, brauchten nicht in Warschau Komplimente zu ma¬
chen und das DeutschthuM in Oestreich hinter die Thür zu stellen! Statt des¬
sen schloß man das Concordat mit Rom ab und führte die Gewalt der Bi¬
schöfe aus den tridentinischen Standpunkt zurück, um sich der Herrschaft über
die Gewissen vollends zu versichern, den Protestantismus in Oestreich mund¬
todt zu machen und sodann unter dem Banner des Ultramontantsmus auch
in der deutschen Kaiserpolitik Triumphe zu feiern. Wie jämmerlich hat sich
dies Programm der Rauscher, Phillips und Consorten gerichtet! In der gan¬
zen langen Periode von 1851 bis 1359 konnten die deutsch-slavischen Pro¬
testanten von der durch jesuitische Einflüsse verstrickten Regierung nichts mehr
erringen, als das magere Recht, ihre Seelsorger statt „Pastoren" „Pfarrer"
nennen zu dürfen. Das canonische Recht war auf den Thron gelangt, des¬
halb wurden die Evangelischen aus den gemeinsamen Friedhöfen hinausge¬
worfen; deshalb wurde es römisch-katholischen Ordensgeistlichen, die zum
Protestantismus übergetreten waren, verboten, eine rechtmäßige Ehe einzugehn;
deshalb wurden die gemischten Ehen nach wie vor zu Gunsten der katholischen
Kirche ausgebeutet. Bei solcher Strömung wurde das. Gesuch, für den
Gustav-Adolf-Verein innerhalb des Sprengels der Wiener Consistorien jähr¬
liche Sammlungen veranstalten und durch Bildung von Haupt- und Zweigverei¬
nen an die Gustav-Adolph Stiftung sich organisch anschließen zu dürfen, be¬
greiflicherweise einfach abgewiesen. Endlich nach der Schlacht bei Solferino
in dem Frieden von Villafranca. wo der zehnjährige Absolutismus und Je-
suitismus eine furchtbare Niederlage erlitten hatte, faßte man wieder Hoffnung.
Das Protcstantcnpatent für Ungarn erschien. Eine richtige und gerechte Po¬
litik hätte geboten, die durch dasselbe sanctionirte Kirchenverfassung auf die
evangelische Kirche in den deutsch-slavischen Ländern auszudehnen, um lang¬
gehegte Wünsche zu befriedigen, um der einheitlichen Gliederung der evange¬
lischen Kirchenverfassung vorzuarbeiten und zugleich, um sich ein Gegengewicht
gegen einen in Ungarn etwa auftauchenden Widerstand zu schaffen. Statt
dessen wurden die Consistorien in Wien erst angewiesen, „mit Berücksichtigung
jener Berathungen, welche von der im Jahre 1849 einberufenen Versamm¬
lung der Superintendenten und Vertrauensmänner bezüglich der Regelung
des Kirchenregiments gepflogen wurden, in reifliche Erwägung zu ziehn, in¬
wieweit es, unter Aufrechthaltung der zu Recht bestehenden Consistoricüversas-


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[0475] Perintcndentialversammlnng „angeregten wichtigen Fragen, die einer gemein¬ samen Erledigung bedürfen", „mit dem Ausschusse der Bischöfe in nähere Verhandlung zu treten" und die Bischöfe von der Erfüllung jeuer Wünsche natürlich nichts wissen wollten. Hätte Oestreich damals ernstlich und aufrichtig an die Befriedigung der evangelischen Kirche gedacht, und hätte es damals auch die Märzverfassung vom Jahre 1849 nicht aufgehoben: in der That, wir stünden heute anders, brauchten nicht in Warschau Komplimente zu ma¬ chen und das DeutschthuM in Oestreich hinter die Thür zu stellen! Statt des¬ sen schloß man das Concordat mit Rom ab und führte die Gewalt der Bi¬ schöfe aus den tridentinischen Standpunkt zurück, um sich der Herrschaft über die Gewissen vollends zu versichern, den Protestantismus in Oestreich mund¬ todt zu machen und sodann unter dem Banner des Ultramontantsmus auch in der deutschen Kaiserpolitik Triumphe zu feiern. Wie jämmerlich hat sich dies Programm der Rauscher, Phillips und Consorten gerichtet! In der gan¬ zen langen Periode von 1851 bis 1359 konnten die deutsch-slavischen Pro¬ testanten von der durch jesuitische Einflüsse verstrickten Regierung nichts mehr erringen, als das magere Recht, ihre Seelsorger statt „Pastoren" „Pfarrer" nennen zu dürfen. Das canonische Recht war auf den Thron gelangt, des¬ halb wurden die Evangelischen aus den gemeinsamen Friedhöfen hinausge¬ worfen; deshalb wurde es römisch-katholischen Ordensgeistlichen, die zum Protestantismus übergetreten waren, verboten, eine rechtmäßige Ehe einzugehn; deshalb wurden die gemischten Ehen nach wie vor zu Gunsten der katholischen Kirche ausgebeutet. Bei solcher Strömung wurde das. Gesuch, für den Gustav-Adolf-Verein innerhalb des Sprengels der Wiener Consistorien jähr¬ liche Sammlungen veranstalten und durch Bildung von Haupt- und Zweigverei¬ nen an die Gustav-Adolph Stiftung sich organisch anschließen zu dürfen, be¬ greiflicherweise einfach abgewiesen. Endlich nach der Schlacht bei Solferino in dem Frieden von Villafranca. wo der zehnjährige Absolutismus und Je- suitismus eine furchtbare Niederlage erlitten hatte, faßte man wieder Hoffnung. Das Protcstantcnpatent für Ungarn erschien. Eine richtige und gerechte Po¬ litik hätte geboten, die durch dasselbe sanctionirte Kirchenverfassung auf die evangelische Kirche in den deutsch-slavischen Ländern auszudehnen, um lang¬ gehegte Wünsche zu befriedigen, um der einheitlichen Gliederung der evange¬ lischen Kirchenverfassung vorzuarbeiten und zugleich, um sich ein Gegengewicht gegen einen in Ungarn etwa auftauchenden Widerstand zu schaffen. Statt dessen wurden die Consistorien in Wien erst angewiesen, „mit Berücksichtigung jener Berathungen, welche von der im Jahre 1849 einberufenen Versamm¬ lung der Superintendenten und Vertrauensmänner bezüglich der Regelung des Kirchenregiments gepflogen wurden, in reifliche Erwägung zu ziehn, in¬ wieweit es, unter Aufrechthaltung der zu Recht bestehenden Consistoricüversas-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/475>, abgerufen am 16.01.2025.