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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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dieser Länder bis in das letzte Viertel des sechzehnten, in einigen bis zur
Mitte des siebzehnten hatte, so nimmt er sür Gesammtöstreich doch immerhin
noch eine sehr beachtenswerte Stellung ein. In Ungarn finden wir nicht
weniger als 2,332,000 Evangelische. 820.000 Augsburger, 1,512,000 helve-
tischen Bekenntnisses. In den westlichen Kronländern beläuft sich die Zahl
der Protestanten auf 300,000. wovon zwei Drittel der augsburger und ein
Drittel der helvetische" Confession angehören. In Siebenbürgen endlich wohnt
eine halbe Million Evangelische. 200.000 Lutheraner und 300,000 Reformirte.
Rechnen wir die in der Armee dienenden 50.000 Protestanten hinzu, so können
wir die Bevölkerung evangelischer Confession in Oestreich getrost aus vierthalb
Millionen anschlagen. Die evangelische Kirche bildet sonach, die jetzige effec-
tive .Gesammtbevölkerung Oestreichs zu 35 Millionen angeschlagen, grade den
zehnten Theil derselben und steht speciell zur katholischen Bevölkerung, dieselbe
zu 2? Millionen angenommen, reichlich im Verhältnisse von 1 : 3. In Sieben
bürgen zumal zählt dieselbe mehr Seelen als die katholische Kirche, in Ungarn
etwa halb so viel als diese Gemeinschaft.

Die evangelische Kirche in Oestreich bildete sonach, schon wenn man bei
Beurtheilung ihres moralischen Gewichtes lediglich auf die Zahlenverhältnisse
blicken wollte, einen bedeutsamen Factor in der bunten östreichischen Völker-
familie. Sie erscheint aber noch mehr als ein solcher, wenn man in Betracht
zieht, daß ihre Mitglieder im Verhältniß mehr als die der katholischen und
weit mehr als die der morgenländischen Kirche zu den höher gebildeten und
besser gesitteten Classen gehören, und daß dieselben gleichmäßig in jenen Berufs¬
kreisen, welche die moralischen Wissenschaften, wie in jenen, welche die exacten
zur Grundlage haben, in vorwiegenden Grade vertreten sind. Die Evange¬
lischen sind daher nicht, wie ein Gegner derselben in der Katholikenversamm¬
lung zu Salzburg einmal behauptet hat. Steinen zu vergleichen, die sich in einem
fremden Garten befänden und über Nacht wieder über den Zaun geworfen
werden könnten. Denn sie haben sich so fest in den Boden des östreichischen
Staatswesens eingewurzelt und eingelebt, haben so sehr alle Verhältnisse durch¬
drungen und im Laufe der Jahrhunderte eine so gesicherte Rechtsstellung er¬
rungen, daß sie sich wahrhaft als Autochthonen in diesen Landen betrachten
können.

Ist diese Rechtsstellung früher oft und selbst in diesen Tagen noch bis¬
weilen thatsächlich nicht so sicher gewesen, als in der Theorie, so muß man
.sich-vor allem erinnern, daß die evangelische Kirche in Oestreich kein einheitlich
geschlossenes Ganze bildet, daß sie also nicht als Gesammtmacht auftritt, son¬
dern, ganz entsprechend der bisherigen historischen Gestaltung der Monarchie,
sich in drei verschieden berechtigte und verschieden eingerichtete Theilkirchen av-


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dieser Länder bis in das letzte Viertel des sechzehnten, in einigen bis zur
Mitte des siebzehnten hatte, so nimmt er sür Gesammtöstreich doch immerhin
noch eine sehr beachtenswerte Stellung ein. In Ungarn finden wir nicht
weniger als 2,332,000 Evangelische. 820.000 Augsburger, 1,512,000 helve-
tischen Bekenntnisses. In den westlichen Kronländern beläuft sich die Zahl
der Protestanten auf 300,000. wovon zwei Drittel der augsburger und ein
Drittel der helvetische» Confession angehören. In Siebenbürgen endlich wohnt
eine halbe Million Evangelische. 200.000 Lutheraner und 300,000 Reformirte.
Rechnen wir die in der Armee dienenden 50.000 Protestanten hinzu, so können
wir die Bevölkerung evangelischer Confession in Oestreich getrost aus vierthalb
Millionen anschlagen. Die evangelische Kirche bildet sonach, die jetzige effec-
tive .Gesammtbevölkerung Oestreichs zu 35 Millionen angeschlagen, grade den
zehnten Theil derselben und steht speciell zur katholischen Bevölkerung, dieselbe
zu 2? Millionen angenommen, reichlich im Verhältnisse von 1 : 3. In Sieben
bürgen zumal zählt dieselbe mehr Seelen als die katholische Kirche, in Ungarn
etwa halb so viel als diese Gemeinschaft.

Die evangelische Kirche in Oestreich bildete sonach, schon wenn man bei
Beurtheilung ihres moralischen Gewichtes lediglich auf die Zahlenverhältnisse
blicken wollte, einen bedeutsamen Factor in der bunten östreichischen Völker-
familie. Sie erscheint aber noch mehr als ein solcher, wenn man in Betracht
zieht, daß ihre Mitglieder im Verhältniß mehr als die der katholischen und
weit mehr als die der morgenländischen Kirche zu den höher gebildeten und
besser gesitteten Classen gehören, und daß dieselben gleichmäßig in jenen Berufs¬
kreisen, welche die moralischen Wissenschaften, wie in jenen, welche die exacten
zur Grundlage haben, in vorwiegenden Grade vertreten sind. Die Evange¬
lischen sind daher nicht, wie ein Gegner derselben in der Katholikenversamm¬
lung zu Salzburg einmal behauptet hat. Steinen zu vergleichen, die sich in einem
fremden Garten befänden und über Nacht wieder über den Zaun geworfen
werden könnten. Denn sie haben sich so fest in den Boden des östreichischen
Staatswesens eingewurzelt und eingelebt, haben so sehr alle Verhältnisse durch¬
drungen und im Laufe der Jahrhunderte eine so gesicherte Rechtsstellung er¬
rungen, daß sie sich wahrhaft als Autochthonen in diesen Landen betrachten
können.

Ist diese Rechtsstellung früher oft und selbst in diesen Tagen noch bis¬
weilen thatsächlich nicht so sicher gewesen, als in der Theorie, so muß man
.sich-vor allem erinnern, daß die evangelische Kirche in Oestreich kein einheitlich
geschlossenes Ganze bildet, daß sie also nicht als Gesammtmacht auftritt, son¬
dern, ganz entsprechend der bisherigen historischen Gestaltung der Monarchie,
sich in drei verschieden berechtigte und verschieden eingerichtete Theilkirchen av-


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[0471] dieser Länder bis in das letzte Viertel des sechzehnten, in einigen bis zur Mitte des siebzehnten hatte, so nimmt er sür Gesammtöstreich doch immerhin noch eine sehr beachtenswerte Stellung ein. In Ungarn finden wir nicht weniger als 2,332,000 Evangelische. 820.000 Augsburger, 1,512,000 helve- tischen Bekenntnisses. In den westlichen Kronländern beläuft sich die Zahl der Protestanten auf 300,000. wovon zwei Drittel der augsburger und ein Drittel der helvetische» Confession angehören. In Siebenbürgen endlich wohnt eine halbe Million Evangelische. 200.000 Lutheraner und 300,000 Reformirte. Rechnen wir die in der Armee dienenden 50.000 Protestanten hinzu, so können wir die Bevölkerung evangelischer Confession in Oestreich getrost aus vierthalb Millionen anschlagen. Die evangelische Kirche bildet sonach, die jetzige effec- tive .Gesammtbevölkerung Oestreichs zu 35 Millionen angeschlagen, grade den zehnten Theil derselben und steht speciell zur katholischen Bevölkerung, dieselbe zu 2? Millionen angenommen, reichlich im Verhältnisse von 1 : 3. In Sieben bürgen zumal zählt dieselbe mehr Seelen als die katholische Kirche, in Ungarn etwa halb so viel als diese Gemeinschaft. Die evangelische Kirche in Oestreich bildete sonach, schon wenn man bei Beurtheilung ihres moralischen Gewichtes lediglich auf die Zahlenverhältnisse blicken wollte, einen bedeutsamen Factor in der bunten östreichischen Völker- familie. Sie erscheint aber noch mehr als ein solcher, wenn man in Betracht zieht, daß ihre Mitglieder im Verhältniß mehr als die der katholischen und weit mehr als die der morgenländischen Kirche zu den höher gebildeten und besser gesitteten Classen gehören, und daß dieselben gleichmäßig in jenen Berufs¬ kreisen, welche die moralischen Wissenschaften, wie in jenen, welche die exacten zur Grundlage haben, in vorwiegenden Grade vertreten sind. Die Evange¬ lischen sind daher nicht, wie ein Gegner derselben in der Katholikenversamm¬ lung zu Salzburg einmal behauptet hat. Steinen zu vergleichen, die sich in einem fremden Garten befänden und über Nacht wieder über den Zaun geworfen werden könnten. Denn sie haben sich so fest in den Boden des östreichischen Staatswesens eingewurzelt und eingelebt, haben so sehr alle Verhältnisse durch¬ drungen und im Laufe der Jahrhunderte eine so gesicherte Rechtsstellung er¬ rungen, daß sie sich wahrhaft als Autochthonen in diesen Landen betrachten können. Ist diese Rechtsstellung früher oft und selbst in diesen Tagen noch bis¬ weilen thatsächlich nicht so sicher gewesen, als in der Theorie, so muß man .sich-vor allem erinnern, daß die evangelische Kirche in Oestreich kein einheitlich geschlossenes Ganze bildet, daß sie also nicht als Gesammtmacht auftritt, son¬ dern, ganz entsprechend der bisherigen historischen Gestaltung der Monarchie, sich in drei verschieden berechtigte und verschieden eingerichtete Theilkirchen av- 58*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/471>, abgerufen am 15.01.2025.