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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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wittweten Kaiserin, machten mit dem spanischen Gesandten in der Stille Oppo¬
sition und lauerten, bis ihre Zeit kam. wo sie neben der den Franzosen feind¬
lichen Richtung ihre ultramontanen Bestrebungen geltend machen konnten.

Ein Krebsschaden der Verwaltung war damals die kaiserliche Finanz¬
wirthschaft. Die Einnahmen von den Bewilligungen der Stände konnten con-
trolirt werden: sie betrugen ungefähr sechs Millionen Thaler. Was aber der
Kaiser von Tirol und den vorderöstreichischen Ländern, von Ungarn, von den
Berg- und Salzwerken. Zöllen und Kammergütern erhielt, das lag nicht klar
vor und hierbei mochte viel Unordnung und Unterschleif vorkommen. Der hier
benutzte Berichterstatter berechnet diese Einnahmen auf etwa 3 Mill. THIr.,
und bemerkt dabei, daß die Kammergüter wenig eingebracht, da die beiden
Ferdinande viele solche Besitzungen, besonders auch an die Geistlichkeit ver¬
schenkt und dieser zu Liebe die Schulden derselben auf die Kanuner genommen
hätten. Der Burggraf von Prag Clam Martinitz schlug damals zur Ver¬
besserung der Finanzen eine Radicalreform vor. Schon war der Kammerprä¬
sident mit der Ausführung derselben bedroht. Da machte dieser zu rechter Zeit
den Fürsten von Lobkowitz auf die dem Sohne unbekannte Forderung seines
Vaters an die Kammer aufmerksam. Dieser Dienst schien dem leichtfertigen
Minister eines Gegendienstes werth. Die Reform unterblieb, und Lobkowitz
erhielt von der Kammer die 200,000 si.

So waren die Zustände in Oestreich, als der ehrgeizige kecke Ludwig gegen
Kaiser und Reich zu operiren begann. Wie es hier und da im Reiche aus¬
sah, ist genügend bekannt. Kann es unter solchen Verhältnissen wunderbar
erscheinen, daß keine rechte Einigung im Reiche zu Stande kam, und daß der
Zwiespalt von Ludwig ausgebeutet wurde? Und wenn man erwägt, wie sich
im Reiche der Gegensatz der östreichischen und der reichsfürstlicher Interessen,
der Gegensatz der katholischen und protestantischen Bestrebungen herausgebildet
hatte, so wird man begreifen, daß über kurz oder lang die Form zu Grunde
gehn mußte, in der sich der noch lebenskräftige und seiner Bestimmung immer
klarer bewußt werdende deutsche Geist nicht mehr frei entwickeln konnte. --


Helbig.


Der Protestantismus in Oestreich.

Wenn der Protestantismus in Ober- und Niederöstreich, Steiermark und
Böhmen nicht entfernt mehr die Bedeutung beansprucht, die er in einigen


wittweten Kaiserin, machten mit dem spanischen Gesandten in der Stille Oppo¬
sition und lauerten, bis ihre Zeit kam. wo sie neben der den Franzosen feind¬
lichen Richtung ihre ultramontanen Bestrebungen geltend machen konnten.

Ein Krebsschaden der Verwaltung war damals die kaiserliche Finanz¬
wirthschaft. Die Einnahmen von den Bewilligungen der Stände konnten con-
trolirt werden: sie betrugen ungefähr sechs Millionen Thaler. Was aber der
Kaiser von Tirol und den vorderöstreichischen Ländern, von Ungarn, von den
Berg- und Salzwerken. Zöllen und Kammergütern erhielt, das lag nicht klar
vor und hierbei mochte viel Unordnung und Unterschleif vorkommen. Der hier
benutzte Berichterstatter berechnet diese Einnahmen auf etwa 3 Mill. THIr.,
und bemerkt dabei, daß die Kammergüter wenig eingebracht, da die beiden
Ferdinande viele solche Besitzungen, besonders auch an die Geistlichkeit ver¬
schenkt und dieser zu Liebe die Schulden derselben auf die Kanuner genommen
hätten. Der Burggraf von Prag Clam Martinitz schlug damals zur Ver¬
besserung der Finanzen eine Radicalreform vor. Schon war der Kammerprä¬
sident mit der Ausführung derselben bedroht. Da machte dieser zu rechter Zeit
den Fürsten von Lobkowitz auf die dem Sohne unbekannte Forderung seines
Vaters an die Kammer aufmerksam. Dieser Dienst schien dem leichtfertigen
Minister eines Gegendienstes werth. Die Reform unterblieb, und Lobkowitz
erhielt von der Kammer die 200,000 si.

So waren die Zustände in Oestreich, als der ehrgeizige kecke Ludwig gegen
Kaiser und Reich zu operiren begann. Wie es hier und da im Reiche aus¬
sah, ist genügend bekannt. Kann es unter solchen Verhältnissen wunderbar
erscheinen, daß keine rechte Einigung im Reiche zu Stande kam, und daß der
Zwiespalt von Ludwig ausgebeutet wurde? Und wenn man erwägt, wie sich
im Reiche der Gegensatz der östreichischen und der reichsfürstlicher Interessen,
der Gegensatz der katholischen und protestantischen Bestrebungen herausgebildet
hatte, so wird man begreifen, daß über kurz oder lang die Form zu Grunde
gehn mußte, in der sich der noch lebenskräftige und seiner Bestimmung immer
klarer bewußt werdende deutsche Geist nicht mehr frei entwickeln konnte. —


Helbig.


Der Protestantismus in Oestreich.

Wenn der Protestantismus in Ober- und Niederöstreich, Steiermark und
Böhmen nicht entfernt mehr die Bedeutung beansprucht, die er in einigen


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[0470] wittweten Kaiserin, machten mit dem spanischen Gesandten in der Stille Oppo¬ sition und lauerten, bis ihre Zeit kam. wo sie neben der den Franzosen feind¬ lichen Richtung ihre ultramontanen Bestrebungen geltend machen konnten. Ein Krebsschaden der Verwaltung war damals die kaiserliche Finanz¬ wirthschaft. Die Einnahmen von den Bewilligungen der Stände konnten con- trolirt werden: sie betrugen ungefähr sechs Millionen Thaler. Was aber der Kaiser von Tirol und den vorderöstreichischen Ländern, von Ungarn, von den Berg- und Salzwerken. Zöllen und Kammergütern erhielt, das lag nicht klar vor und hierbei mochte viel Unordnung und Unterschleif vorkommen. Der hier benutzte Berichterstatter berechnet diese Einnahmen auf etwa 3 Mill. THIr., und bemerkt dabei, daß die Kammergüter wenig eingebracht, da die beiden Ferdinande viele solche Besitzungen, besonders auch an die Geistlichkeit ver¬ schenkt und dieser zu Liebe die Schulden derselben auf die Kanuner genommen hätten. Der Burggraf von Prag Clam Martinitz schlug damals zur Ver¬ besserung der Finanzen eine Radicalreform vor. Schon war der Kammerprä¬ sident mit der Ausführung derselben bedroht. Da machte dieser zu rechter Zeit den Fürsten von Lobkowitz auf die dem Sohne unbekannte Forderung seines Vaters an die Kammer aufmerksam. Dieser Dienst schien dem leichtfertigen Minister eines Gegendienstes werth. Die Reform unterblieb, und Lobkowitz erhielt von der Kammer die 200,000 si. So waren die Zustände in Oestreich, als der ehrgeizige kecke Ludwig gegen Kaiser und Reich zu operiren begann. Wie es hier und da im Reiche aus¬ sah, ist genügend bekannt. Kann es unter solchen Verhältnissen wunderbar erscheinen, daß keine rechte Einigung im Reiche zu Stande kam, und daß der Zwiespalt von Ludwig ausgebeutet wurde? Und wenn man erwägt, wie sich im Reiche der Gegensatz der östreichischen und der reichsfürstlicher Interessen, der Gegensatz der katholischen und protestantischen Bestrebungen herausgebildet hatte, so wird man begreifen, daß über kurz oder lang die Form zu Grunde gehn mußte, in der sich der noch lebenskräftige und seiner Bestimmung immer klarer bewußt werdende deutsche Geist nicht mehr frei entwickeln konnte. — Helbig. Der Protestantismus in Oestreich. Wenn der Protestantismus in Ober- und Niederöstreich, Steiermark und Böhmen nicht entfernt mehr die Bedeutung beansprucht, die er in einigen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/470>, abgerufen am 15.01.2025.