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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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Weise thun, indem sie die Gründe ihres Verfahrens in einer Proclamation
dem Volk vorlegt. Statt dessen gebraucht sie kleine Mittel, die zu gar nichts
fuhren können. Aber nicht das ist das charakteristische für das Ministerium,
sondern die Gründe, die es für sein Verhalten anführt, privatim gegen die
Abgeordneten, öffentlich in der Presse, Preußen soll nämlich nicht im Stande
sein, hundert neue Pairs auszutreiben d, h, Männer, die ohne Diäten einen
Winter in Berlin zubringen können! Die Männer, die so reden, scheinen ganz
vergessen zu haben, daß es vor dem Herrenhause bereits eine erste Kammer
gab, die auch keine Diäten bezog. Wie wir hören, haben mehrere Männer
ihre Ernennung abgelehnt. Das finden wir sehr begreiflich, da bei den bis¬
herigen Ernennungen gar kein Zweck abzusehn war; sobald man aber die An¬
nahme dieser Stelle als eine patriotische Pflicht darstellt, um ein Institut zu
reformiren, das in seiner bisherigen Zusammensetzung den Ruin Preußens nach
sich ziehn muß. so wird sich kein Bürger dieser Pflicht entziehn.

Die Sache ist grade jetzt von größter Wichtigkeit. Der Landtag steht
nahe bevor! wie will nun das Ministerium den Abgeordneten Gesetzvorschläge
vorlegen, von denen jeder mit Bestimmtheit weiß, daß sie im Herrenhause ver¬
worfen werden? Die jetzigen Abgeordneten gehören zu den konservativsten Bür¬
gern Preußens, wenn man sie aber zu einer völlig illusorischen Thätigkeit ver¬
urtheilt, so wird man einen Widerwillen und einen Ekel an der ganzen Po¬
litik bei ihnen erregen, der für Preußen verhängnißvoll werden kann. Das
Haus der Abgeordneten hat im vorigen Jahr durch die provisorische Bewilli¬
gung der Militärvorlagen ein schweres Opfer gebracht; es wird zu,neuen
Opfern aufgefordert werden, es wird aber sehr ernsthaft überlegen müssen,
ob seine Pflicht gegen das Land es ihm verstattet, die einseitige Ausbildung
des Staats nach einer Seite hin zuzulassen, wenn nach der andern nicht den
Bedürfnissen des Volks genügende Rechnung getragen wird.

Wir kommen auf den dritten Punkt, die innere Verwaltung. Hier dürfen
wir uns aber kurz fassen, da nach dem Stieberschen Prozeß die Thatsachen
sprechen. Das Ministerium hat den Plan, die alte von Westphalen herstam-
mende Hierarchie des Beamtenthums unangetastet zu lassen, mit unerhörter
Consequenz durchgeführt; die Folge davon ist, daß mit Ausnahme der Kreise,
die unmittelbar von den Ministern ressortiren, das alte System die Herrschaft
führt. In der preußischen Zeitung glaubt man die "deutsche Reform" oder
"die Zeit" wieder vor sich zu haben, es ist dieselbe Sprache, dieselbe Haltung,
im Ganzen auch dieselben Grundsätze.

Herr von Manteuffel Pflegte, sobald Graf Schwerin irgend einen beliebi¬
gen Satz aufstellte, zu bemerken: er (Manteuffel), sei ein Diener seines Herrn;
der Graf Schwerin aber wolle eine parlamentarische Negierung. -- Ente An¬
klage ! -- Auch jetzt führen die offiziellen Federn des neuen Ministeriums, die


Weise thun, indem sie die Gründe ihres Verfahrens in einer Proclamation
dem Volk vorlegt. Statt dessen gebraucht sie kleine Mittel, die zu gar nichts
fuhren können. Aber nicht das ist das charakteristische für das Ministerium,
sondern die Gründe, die es für sein Verhalten anführt, privatim gegen die
Abgeordneten, öffentlich in der Presse, Preußen soll nämlich nicht im Stande
sein, hundert neue Pairs auszutreiben d, h, Männer, die ohne Diäten einen
Winter in Berlin zubringen können! Die Männer, die so reden, scheinen ganz
vergessen zu haben, daß es vor dem Herrenhause bereits eine erste Kammer
gab, die auch keine Diäten bezog. Wie wir hören, haben mehrere Männer
ihre Ernennung abgelehnt. Das finden wir sehr begreiflich, da bei den bis¬
herigen Ernennungen gar kein Zweck abzusehn war; sobald man aber die An¬
nahme dieser Stelle als eine patriotische Pflicht darstellt, um ein Institut zu
reformiren, das in seiner bisherigen Zusammensetzung den Ruin Preußens nach
sich ziehn muß. so wird sich kein Bürger dieser Pflicht entziehn.

Die Sache ist grade jetzt von größter Wichtigkeit. Der Landtag steht
nahe bevor! wie will nun das Ministerium den Abgeordneten Gesetzvorschläge
vorlegen, von denen jeder mit Bestimmtheit weiß, daß sie im Herrenhause ver¬
worfen werden? Die jetzigen Abgeordneten gehören zu den konservativsten Bür¬
gern Preußens, wenn man sie aber zu einer völlig illusorischen Thätigkeit ver¬
urtheilt, so wird man einen Widerwillen und einen Ekel an der ganzen Po¬
litik bei ihnen erregen, der für Preußen verhängnißvoll werden kann. Das
Haus der Abgeordneten hat im vorigen Jahr durch die provisorische Bewilli¬
gung der Militärvorlagen ein schweres Opfer gebracht; es wird zu,neuen
Opfern aufgefordert werden, es wird aber sehr ernsthaft überlegen müssen,
ob seine Pflicht gegen das Land es ihm verstattet, die einseitige Ausbildung
des Staats nach einer Seite hin zuzulassen, wenn nach der andern nicht den
Bedürfnissen des Volks genügende Rechnung getragen wird.

Wir kommen auf den dritten Punkt, die innere Verwaltung. Hier dürfen
wir uns aber kurz fassen, da nach dem Stieberschen Prozeß die Thatsachen
sprechen. Das Ministerium hat den Plan, die alte von Westphalen herstam-
mende Hierarchie des Beamtenthums unangetastet zu lassen, mit unerhörter
Consequenz durchgeführt; die Folge davon ist, daß mit Ausnahme der Kreise,
die unmittelbar von den Ministern ressortiren, das alte System die Herrschaft
führt. In der preußischen Zeitung glaubt man die „deutsche Reform" oder
„die Zeit" wieder vor sich zu haben, es ist dieselbe Sprache, dieselbe Haltung,
im Ganzen auch dieselben Grundsätze.

Herr von Manteuffel Pflegte, sobald Graf Schwerin irgend einen beliebi¬
gen Satz aufstellte, zu bemerken: er (Manteuffel), sei ein Diener seines Herrn;
der Graf Schwerin aber wolle eine parlamentarische Negierung. — Ente An¬
klage ! — Auch jetzt führen die offiziellen Federn des neuen Ministeriums, die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/450>, abgerufen am 15.01.2025.