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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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ten gegen sie; sie erreichte nur, daß drei Corps von der Mahregel ausgenom¬
men wurden, um zur Landesvertheidigung zu dienen. Am 11. Juni ward die
Cabinetsordre für die Mobilmachung von sechs Armeecorps gezeichnet. Die erste
Folge dieses Schrittes sollte die Verwirklichung der bewaffneten Vermittlung
sein, außerordentliche Abgesandte sollten deren Bedingungen in den Haupt¬
quartieren vorlegen; da die Annahme derselben von Frankreich nicht wahr¬
scheinlich war, traf man zugleich die nöthigen Vorkehrungen für die Eventua¬
litäten des Krieges. Ueberzeugt, daß mit der Bundeskriegsverfassung praktisch
nichts zu machen sei, wollte man die deutschen Regierungen auffordern, mili¬
tärische Bevollmächtigte nach Berlin zu senden und ihre hiesigen Gesandten zu
den betreffenden politischen Verhandlungen zu beauftragen; der Oberbefehl
Preußens ward als selbstverständlich angenommen, man beschäftigte sich mit
der Idee, denselben durch einem nach Berlin zu ladenden Fmstencongreß an den
Regenten übertragen zu lassen. Inzwischen trafen höhere Offiziere von verfehle,
denen deutschen Staaten zur Vorberathung ein.

Man schien mit starken Schritten auf den Krieg loszugehen; aber die diplo¬
matische Partei, welche sich soweit hatte fügen müssen, gab ihren Widerstand
nicht auf und suchte vorerst den geschehenen Schritten die drohende Spitze ab¬
zubrechen. Hierbei kam ihr die Unklarheit der ganzen preußischen Politik in der
italienischen Frage zu Statten. Offenbar konnte die beabsichtigte bewaffnete Ver-
mittlung nur Aussicht aus Gelinge" haben, wenn sie rasch und kategorisch geübt
wurde; da ihre Bedingungen die erste Folge der Mobilmachung sein sollten,
mußten sie vor derselben festgestellt sein. Dies war nicht geschehen; erst nach
der Unterzeichnung der Cabinetsordre vom II. Juni sollten die Jnstructionen
für die außerordentlichen Abgesandten ausgearbeitet werden, und es war be.
greiflich, daß, wo man so wenig einig über die ganze Richtung war, sich
immer neue Differenzen bei jedem Punkte erheben mußten. Eine Grundlage
für die Vermittlung zu finden mußte immer schwieriger werden, je mehr die
Ereignisse vorschritten ; man scheute sich Oestreich Opfer zuzumuthen und mußte
doch einsehen, daß nicht an eine Herstellung des status puo ante zu denken sei;
man hob hervor, daß in Ober- und Mittelitalien wirkliche und weitgehende
Reformen der Verfassung und Verwaltung herbeizuführen seien. Sollte man
Wirklich geglaubt haben, daß Frankreich und Sardinien um ein so mageres Re-
sultat zu erreichen ein so hohes Spiel gewagt hätten? Die diplomatische Partei
legte besondern Nachdruck darauf, daß ein einseitiges Vorgehen Preußens Ver¬
hältniß zu England und Rußland verderben müsse und verlangte zuerst einen
Versuch zu machen, die Zustimmung dieser beiden Mächte zu der beabsichtigten
Vermittlung zu erlangen. War nun dieselbe schon an sich unpraktisch, wenn
wan nicht sogleich mit einem Ultimatum auftrat, so wurde sie vollständig nn-
wöglich. wenn man sich doppelte Gewichte an die Füße band. Rusland hatte


ten gegen sie; sie erreichte nur, daß drei Corps von der Mahregel ausgenom¬
men wurden, um zur Landesvertheidigung zu dienen. Am 11. Juni ward die
Cabinetsordre für die Mobilmachung von sechs Armeecorps gezeichnet. Die erste
Folge dieses Schrittes sollte die Verwirklichung der bewaffneten Vermittlung
sein, außerordentliche Abgesandte sollten deren Bedingungen in den Haupt¬
quartieren vorlegen; da die Annahme derselben von Frankreich nicht wahr¬
scheinlich war, traf man zugleich die nöthigen Vorkehrungen für die Eventua¬
litäten des Krieges. Ueberzeugt, daß mit der Bundeskriegsverfassung praktisch
nichts zu machen sei, wollte man die deutschen Regierungen auffordern, mili¬
tärische Bevollmächtigte nach Berlin zu senden und ihre hiesigen Gesandten zu
den betreffenden politischen Verhandlungen zu beauftragen; der Oberbefehl
Preußens ward als selbstverständlich angenommen, man beschäftigte sich mit
der Idee, denselben durch einem nach Berlin zu ladenden Fmstencongreß an den
Regenten übertragen zu lassen. Inzwischen trafen höhere Offiziere von verfehle,
denen deutschen Staaten zur Vorberathung ein.

Man schien mit starken Schritten auf den Krieg loszugehen; aber die diplo¬
matische Partei, welche sich soweit hatte fügen müssen, gab ihren Widerstand
nicht auf und suchte vorerst den geschehenen Schritten die drohende Spitze ab¬
zubrechen. Hierbei kam ihr die Unklarheit der ganzen preußischen Politik in der
italienischen Frage zu Statten. Offenbar konnte die beabsichtigte bewaffnete Ver-
mittlung nur Aussicht aus Gelinge» haben, wenn sie rasch und kategorisch geübt
wurde; da ihre Bedingungen die erste Folge der Mobilmachung sein sollten,
mußten sie vor derselben festgestellt sein. Dies war nicht geschehen; erst nach
der Unterzeichnung der Cabinetsordre vom II. Juni sollten die Jnstructionen
für die außerordentlichen Abgesandten ausgearbeitet werden, und es war be.
greiflich, daß, wo man so wenig einig über die ganze Richtung war, sich
immer neue Differenzen bei jedem Punkte erheben mußten. Eine Grundlage
für die Vermittlung zu finden mußte immer schwieriger werden, je mehr die
Ereignisse vorschritten ; man scheute sich Oestreich Opfer zuzumuthen und mußte
doch einsehen, daß nicht an eine Herstellung des status puo ante zu denken sei;
man hob hervor, daß in Ober- und Mittelitalien wirkliche und weitgehende
Reformen der Verfassung und Verwaltung herbeizuführen seien. Sollte man
Wirklich geglaubt haben, daß Frankreich und Sardinien um ein so mageres Re-
sultat zu erreichen ein so hohes Spiel gewagt hätten? Die diplomatische Partei
legte besondern Nachdruck darauf, daß ein einseitiges Vorgehen Preußens Ver¬
hältniß zu England und Rußland verderben müsse und verlangte zuerst einen
Versuch zu machen, die Zustimmung dieser beiden Mächte zu der beabsichtigten
Vermittlung zu erlangen. War nun dieselbe schon an sich unpraktisch, wenn
wan nicht sogleich mit einem Ultimatum auftrat, so wurde sie vollständig nn-
wöglich. wenn man sich doppelte Gewichte an die Füße band. Rusland hatte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/441>, abgerufen am 16.01.2025.