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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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ein Vorrücken kaiserlicher Truppen an die südwestdeutschen Grenzen zu ver¬
hindern, welches Deutschland in den Krieg verwickeln würde. Während an¬
dere deutsche Kammern sich bereits frühzeitig lebhaft über die große schwe¬
bende Frage ausgesprochen hatten, schien das neue Haus der Abgeordnete"
ganz durch innere Fragen absorbirt; jetzt brachten die Finanzvorlagen zum
ersten Mal im Landtag die Stellung Preußens zur Sprache. Herr von Schlei-
nitz beobachtete in seinen Erörterungen eine große Zurückhaltung, er er¬
kannte bereitwillig das Große und Berechtigte des nationalen Aufschwunges an,
dessen Sinn sei, daß Deutschland sich jetzt und in Zukunft dem Auslande
gegenüber als eine geschlossene Einheit betrachten und als solche "das gewal¬
tige Gewicht seiner Kraft in die Wagschaale der politischen Entscheidungen
legen wolle, ebenso bestimmt aber wahrte er der Stellung Preußens ihre
Selbständigkeit, indem er sie als die der bewaffneten Vermittlung bezeichnete.
Beide Häuser stimmten ihm wesentlich bei.

Uns scheint schon in diesem ganzen ersten Stadium die Unklarheit be¬
gonnen zu haben. Vermitteln läßt sich nur auf eiuer bestimmten Grundlage,
Herr v. Schleinitz aber hatte niemals eine solche aufgestellt und sich nur
nachträglich den vier Punkten Lord Cowleys angeschlossen. Der Sinn einer
bewaffneten Vermittlung kann völkerrechtlich und politisch nur der sein, daß
Man bestimmte Bedingungen für die Herstellung des Friedens bezeichnet und
den kriegführenden Theil, der darauf nicht eingehen will, mit Waffengewalt
dazu zwingt. Solche Bedingungen aber präcisirte Preußen nicht, es dachte
auch nicht daran eventuell Oestreich zum Aufgeben gewisser Rechte gewaltsam
zu nöthigen, sondern vielmehr daran, unter gewissen Umständen ihm doch zu
Hilfe zu kommen; die Regierung hatte jede Neutralitätserklärung abgelehnt,
sie bezeichnete sich in diplomatischen Aktenstücken geflissentlich nur als nicht
kriegführende Macht und versuchte noch im ersten Stadium des Krieges, als
Oestreich angreifender Theil war, eine'Verständigung mit ihm für bestimmte
Eventualitäten anzubahnen. Hierauf war die Sendung des Generals v. Wil-
lisen nach Wien berechnet. Derselbe kam nach längern Unterhandlungen mit
Graf Rechberg endlich über drei Punkte überein:

') Preußen wird mit aller Kraft für die Erhaltung des östreichischen
Besitzstandes in Italien wirken.

2) Oestreich überläßt Preußen für ein Einschreiten zu diesem Zwecke die
Initiative sowol am Bunde als für die militärischen Maßregeln.

3) Es verpflichtet sich, mit keinem andern deutschen Staate Separat¬
bündnisse abzuschließen.

Diese drei Punkte sollten durch Notenaustausch festgestellt werden; aber
derselbe scheiterte an der Formulirung des ersten Punktes, den man in Berlin
"><de zu einer Garantie des östreichischen Besitzstandes werden lassen wollte.


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ein Vorrücken kaiserlicher Truppen an die südwestdeutschen Grenzen zu ver¬
hindern, welches Deutschland in den Krieg verwickeln würde. Während an¬
dere deutsche Kammern sich bereits frühzeitig lebhaft über die große schwe¬
bende Frage ausgesprochen hatten, schien das neue Haus der Abgeordnete»
ganz durch innere Fragen absorbirt; jetzt brachten die Finanzvorlagen zum
ersten Mal im Landtag die Stellung Preußens zur Sprache. Herr von Schlei-
nitz beobachtete in seinen Erörterungen eine große Zurückhaltung, er er¬
kannte bereitwillig das Große und Berechtigte des nationalen Aufschwunges an,
dessen Sinn sei, daß Deutschland sich jetzt und in Zukunft dem Auslande
gegenüber als eine geschlossene Einheit betrachten und als solche "das gewal¬
tige Gewicht seiner Kraft in die Wagschaale der politischen Entscheidungen
legen wolle, ebenso bestimmt aber wahrte er der Stellung Preußens ihre
Selbständigkeit, indem er sie als die der bewaffneten Vermittlung bezeichnete.
Beide Häuser stimmten ihm wesentlich bei.

Uns scheint schon in diesem ganzen ersten Stadium die Unklarheit be¬
gonnen zu haben. Vermitteln läßt sich nur auf eiuer bestimmten Grundlage,
Herr v. Schleinitz aber hatte niemals eine solche aufgestellt und sich nur
nachträglich den vier Punkten Lord Cowleys angeschlossen. Der Sinn einer
bewaffneten Vermittlung kann völkerrechtlich und politisch nur der sein, daß
Man bestimmte Bedingungen für die Herstellung des Friedens bezeichnet und
den kriegführenden Theil, der darauf nicht eingehen will, mit Waffengewalt
dazu zwingt. Solche Bedingungen aber präcisirte Preußen nicht, es dachte
auch nicht daran eventuell Oestreich zum Aufgeben gewisser Rechte gewaltsam
zu nöthigen, sondern vielmehr daran, unter gewissen Umständen ihm doch zu
Hilfe zu kommen; die Regierung hatte jede Neutralitätserklärung abgelehnt,
sie bezeichnete sich in diplomatischen Aktenstücken geflissentlich nur als nicht
kriegführende Macht und versuchte noch im ersten Stadium des Krieges, als
Oestreich angreifender Theil war, eine'Verständigung mit ihm für bestimmte
Eventualitäten anzubahnen. Hierauf war die Sendung des Generals v. Wil-
lisen nach Wien berechnet. Derselbe kam nach längern Unterhandlungen mit
Graf Rechberg endlich über drei Punkte überein:

') Preußen wird mit aller Kraft für die Erhaltung des östreichischen
Besitzstandes in Italien wirken.

2) Oestreich überläßt Preußen für ein Einschreiten zu diesem Zwecke die
Initiative sowol am Bunde als für die militärischen Maßregeln.

3) Es verpflichtet sich, mit keinem andern deutschen Staate Separat¬
bündnisse abzuschließen.

Diese drei Punkte sollten durch Notenaustausch festgestellt werden; aber
derselbe scheiterte an der Formulirung des ersten Punktes, den man in Berlin
"><de zu einer Garantie des östreichischen Besitzstandes werden lassen wollte.


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[0439] ein Vorrücken kaiserlicher Truppen an die südwestdeutschen Grenzen zu ver¬ hindern, welches Deutschland in den Krieg verwickeln würde. Während an¬ dere deutsche Kammern sich bereits frühzeitig lebhaft über die große schwe¬ bende Frage ausgesprochen hatten, schien das neue Haus der Abgeordnete» ganz durch innere Fragen absorbirt; jetzt brachten die Finanzvorlagen zum ersten Mal im Landtag die Stellung Preußens zur Sprache. Herr von Schlei- nitz beobachtete in seinen Erörterungen eine große Zurückhaltung, er er¬ kannte bereitwillig das Große und Berechtigte des nationalen Aufschwunges an, dessen Sinn sei, daß Deutschland sich jetzt und in Zukunft dem Auslande gegenüber als eine geschlossene Einheit betrachten und als solche "das gewal¬ tige Gewicht seiner Kraft in die Wagschaale der politischen Entscheidungen legen wolle, ebenso bestimmt aber wahrte er der Stellung Preußens ihre Selbständigkeit, indem er sie als die der bewaffneten Vermittlung bezeichnete. Beide Häuser stimmten ihm wesentlich bei. Uns scheint schon in diesem ganzen ersten Stadium die Unklarheit be¬ gonnen zu haben. Vermitteln läßt sich nur auf eiuer bestimmten Grundlage, Herr v. Schleinitz aber hatte niemals eine solche aufgestellt und sich nur nachträglich den vier Punkten Lord Cowleys angeschlossen. Der Sinn einer bewaffneten Vermittlung kann völkerrechtlich und politisch nur der sein, daß Man bestimmte Bedingungen für die Herstellung des Friedens bezeichnet und den kriegführenden Theil, der darauf nicht eingehen will, mit Waffengewalt dazu zwingt. Solche Bedingungen aber präcisirte Preußen nicht, es dachte auch nicht daran eventuell Oestreich zum Aufgeben gewisser Rechte gewaltsam zu nöthigen, sondern vielmehr daran, unter gewissen Umständen ihm doch zu Hilfe zu kommen; die Regierung hatte jede Neutralitätserklärung abgelehnt, sie bezeichnete sich in diplomatischen Aktenstücken geflissentlich nur als nicht kriegführende Macht und versuchte noch im ersten Stadium des Krieges, als Oestreich angreifender Theil war, eine'Verständigung mit ihm für bestimmte Eventualitäten anzubahnen. Hierauf war die Sendung des Generals v. Wil- lisen nach Wien berechnet. Derselbe kam nach längern Unterhandlungen mit Graf Rechberg endlich über drei Punkte überein: ') Preußen wird mit aller Kraft für die Erhaltung des östreichischen Besitzstandes in Italien wirken. 2) Oestreich überläßt Preußen für ein Einschreiten zu diesem Zwecke die Initiative sowol am Bunde als für die militärischen Maßregeln. 3) Es verpflichtet sich, mit keinem andern deutschen Staate Separat¬ bündnisse abzuschließen. Diese drei Punkte sollten durch Notenaustausch festgestellt werden; aber derselbe scheiterte an der Formulirung des ersten Punktes, den man in Berlin "><de zu einer Garantie des östreichischen Besitzstandes werden lassen wollte. 54*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/439>, abgerufen am 15.01.2025.