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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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tigkeit, daß dasselbe eine richtige Stellung zu der auswärtigen Politik der Re¬
gierung einniuimt. wenn es auch nicht berufen ist. unmittelbar in dieselbe ein¬
zugreifen. Von diesem Gesichtspunkte soll in Nachstehendem versucht werden
den Gang derselben in objectiver Darstellung zu zeichnen.

Es konnte dem Freiherr" v. Schleinitz nicht unerwartet kommen, daß der
Kaiser Napoleon sich in die Verhältnisse Italiens mischte. Gerüchte und Mit¬
theilungen über den Besuch Cavours in Plombiöres, über die Gespräche mit
Pnlmerston und Clarendon in Compi^gue waren nach Berlin gedrungen.
Der Neujahrsgruß an Herrn v. Hübner, die sardinische Heirath, die Thron¬
reden in Paris und Turin konnten keinen Zweifel mehr lassen über das, was
zum Frühjahr zu erwarten stand. Die östreichische Circulardepesche vom 5. Fcb.
brachte zuerst die Frage auf das diplomatische Gebiet, indem für den Fall
eines französischen Angriffs auf die Lombardei die Erwartung ausgesprochen
wurde, der deutsche Bund werde für Oestreich eintreten. Es war sehr begreif¬
lich, daß diese Depesche i" Berlin keinen angenehmen Eindruck machen konnte,
zumal dieselbe nicht an Preußen gerichtet war; es war offenbar in Wien der
Plan, das Berliner Cabinet durch die Mittelstaaten und den'Bund zu nöthi¬
gen für das ganze östreichische System in Italien einzustehen. Die preußischen
Depeschen vom 13. und 27. Februar lehnten dies aufs bestimmteste ab und
betonten die Stellung Preußens als europäische Macht, die sich bei Behand¬
lung einer solchen Frage nicht Majoritätsbeschlüssen am Bundestage unter¬
ordnen könne, so fest sie auch entschlossen sei, allein durch die deutsch-nationalen
Interessen den Gang ihrer Politik bestimmen zu lassen.

Die Gesichtspunkte derselben ließen sich in diesem Stadium etwa so be¬
zeichnen: 1) Anerkennung der Bundesverpflichtungen im weitesten Sinne;
2) Aufrechthaltung des. Territorialbestandes und der Verträge von 1815;
3) Gemeinsame Vermittelung mit England über die Differenzen, welche außer¬
halb jener Verträge liegen.

Die Ideen über eine solche waren indeß noch sehr unklar, als Lord
Cooley seine Sendung nach Wien antrat. Das berliner Cabinet stand der¬
selben auch wesentlich passiv zur Seite und suchte erst, als der russische Vor¬
schlag eines Congresses die englische Vermittelung kreuzte, gemeinsam mit
Lord Derby die Schwierigkeiten, welche sich namentlich über die Entwaffnungs¬
frage erhoben, bei beiden Theilen zu beseitigen. Oestreich schnitt diese Ver¬
suche ab, der Erzherzog Albrecht kam nach Berlin, um zu erklären, die östrei¬
chischen Truppen würden in Sardinien einrücken, wenn dasselbe nicht entwaffne;
trotz der dringenden Abmahnung von Seiten des Regenten erfolgte das Ulti¬
matum und der Einmarsch. Preußen schloß sich dem Proteste Rußlands und
Englands wenigstens mit offener Mißbilligung an und widersetzte sich den
von Oestreich gewünschten Anträgen auf Mobilisuung der Bundesarmee, um


tigkeit, daß dasselbe eine richtige Stellung zu der auswärtigen Politik der Re¬
gierung einniuimt. wenn es auch nicht berufen ist. unmittelbar in dieselbe ein¬
zugreifen. Von diesem Gesichtspunkte soll in Nachstehendem versucht werden
den Gang derselben in objectiver Darstellung zu zeichnen.

Es konnte dem Freiherr» v. Schleinitz nicht unerwartet kommen, daß der
Kaiser Napoleon sich in die Verhältnisse Italiens mischte. Gerüchte und Mit¬
theilungen über den Besuch Cavours in Plombiöres, über die Gespräche mit
Pnlmerston und Clarendon in Compi^gue waren nach Berlin gedrungen.
Der Neujahrsgruß an Herrn v. Hübner, die sardinische Heirath, die Thron¬
reden in Paris und Turin konnten keinen Zweifel mehr lassen über das, was
zum Frühjahr zu erwarten stand. Die östreichische Circulardepesche vom 5. Fcb.
brachte zuerst die Frage auf das diplomatische Gebiet, indem für den Fall
eines französischen Angriffs auf die Lombardei die Erwartung ausgesprochen
wurde, der deutsche Bund werde für Oestreich eintreten. Es war sehr begreif¬
lich, daß diese Depesche i» Berlin keinen angenehmen Eindruck machen konnte,
zumal dieselbe nicht an Preußen gerichtet war; es war offenbar in Wien der
Plan, das Berliner Cabinet durch die Mittelstaaten und den'Bund zu nöthi¬
gen für das ganze östreichische System in Italien einzustehen. Die preußischen
Depeschen vom 13. und 27. Februar lehnten dies aufs bestimmteste ab und
betonten die Stellung Preußens als europäische Macht, die sich bei Behand¬
lung einer solchen Frage nicht Majoritätsbeschlüssen am Bundestage unter¬
ordnen könne, so fest sie auch entschlossen sei, allein durch die deutsch-nationalen
Interessen den Gang ihrer Politik bestimmen zu lassen.

Die Gesichtspunkte derselben ließen sich in diesem Stadium etwa so be¬
zeichnen: 1) Anerkennung der Bundesverpflichtungen im weitesten Sinne;
2) Aufrechthaltung des. Territorialbestandes und der Verträge von 1815;
3) Gemeinsame Vermittelung mit England über die Differenzen, welche außer¬
halb jener Verträge liegen.

Die Ideen über eine solche waren indeß noch sehr unklar, als Lord
Cooley seine Sendung nach Wien antrat. Das berliner Cabinet stand der¬
selben auch wesentlich passiv zur Seite und suchte erst, als der russische Vor¬
schlag eines Congresses die englische Vermittelung kreuzte, gemeinsam mit
Lord Derby die Schwierigkeiten, welche sich namentlich über die Entwaffnungs¬
frage erhoben, bei beiden Theilen zu beseitigen. Oestreich schnitt diese Ver¬
suche ab, der Erzherzog Albrecht kam nach Berlin, um zu erklären, die östrei¬
chischen Truppen würden in Sardinien einrücken, wenn dasselbe nicht entwaffne;
trotz der dringenden Abmahnung von Seiten des Regenten erfolgte das Ulti¬
matum und der Einmarsch. Preußen schloß sich dem Proteste Rußlands und
Englands wenigstens mit offener Mißbilligung an und widersetzte sich den
von Oestreich gewünschten Anträgen auf Mobilisuung der Bundesarmee, um


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[0438] tigkeit, daß dasselbe eine richtige Stellung zu der auswärtigen Politik der Re¬ gierung einniuimt. wenn es auch nicht berufen ist. unmittelbar in dieselbe ein¬ zugreifen. Von diesem Gesichtspunkte soll in Nachstehendem versucht werden den Gang derselben in objectiver Darstellung zu zeichnen. Es konnte dem Freiherr» v. Schleinitz nicht unerwartet kommen, daß der Kaiser Napoleon sich in die Verhältnisse Italiens mischte. Gerüchte und Mit¬ theilungen über den Besuch Cavours in Plombiöres, über die Gespräche mit Pnlmerston und Clarendon in Compi^gue waren nach Berlin gedrungen. Der Neujahrsgruß an Herrn v. Hübner, die sardinische Heirath, die Thron¬ reden in Paris und Turin konnten keinen Zweifel mehr lassen über das, was zum Frühjahr zu erwarten stand. Die östreichische Circulardepesche vom 5. Fcb. brachte zuerst die Frage auf das diplomatische Gebiet, indem für den Fall eines französischen Angriffs auf die Lombardei die Erwartung ausgesprochen wurde, der deutsche Bund werde für Oestreich eintreten. Es war sehr begreif¬ lich, daß diese Depesche i» Berlin keinen angenehmen Eindruck machen konnte, zumal dieselbe nicht an Preußen gerichtet war; es war offenbar in Wien der Plan, das Berliner Cabinet durch die Mittelstaaten und den'Bund zu nöthi¬ gen für das ganze östreichische System in Italien einzustehen. Die preußischen Depeschen vom 13. und 27. Februar lehnten dies aufs bestimmteste ab und betonten die Stellung Preußens als europäische Macht, die sich bei Behand¬ lung einer solchen Frage nicht Majoritätsbeschlüssen am Bundestage unter¬ ordnen könne, so fest sie auch entschlossen sei, allein durch die deutsch-nationalen Interessen den Gang ihrer Politik bestimmen zu lassen. Die Gesichtspunkte derselben ließen sich in diesem Stadium etwa so be¬ zeichnen: 1) Anerkennung der Bundesverpflichtungen im weitesten Sinne; 2) Aufrechthaltung des. Territorialbestandes und der Verträge von 1815; 3) Gemeinsame Vermittelung mit England über die Differenzen, welche außer¬ halb jener Verträge liegen. Die Ideen über eine solche waren indeß noch sehr unklar, als Lord Cooley seine Sendung nach Wien antrat. Das berliner Cabinet stand der¬ selben auch wesentlich passiv zur Seite und suchte erst, als der russische Vor¬ schlag eines Congresses die englische Vermittelung kreuzte, gemeinsam mit Lord Derby die Schwierigkeiten, welche sich namentlich über die Entwaffnungs¬ frage erhoben, bei beiden Theilen zu beseitigen. Oestreich schnitt diese Ver¬ suche ab, der Erzherzog Albrecht kam nach Berlin, um zu erklären, die östrei¬ chischen Truppen würden in Sardinien einrücken, wenn dasselbe nicht entwaffne; trotz der dringenden Abmahnung von Seiten des Regenten erfolgte das Ulti¬ matum und der Einmarsch. Preußen schloß sich dem Proteste Rußlands und Englands wenigstens mit offener Mißbilligung an und widersetzte sich den von Oestreich gewünschten Anträgen auf Mobilisuung der Bundesarmee, um

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/438>, abgerufen am 15.01.2025.