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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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hier mehr auf der Gasse als in Laden und Werkstatt, und das trägt unge¬
mein viel dazu bei, jene lebendiger zu machen. So erblickt man hier einen
bettelnden Bonzen neben einem gcsticulirenden Schauspieler oder Jongleur, da
einen Zuckerbäcker, der sein Fabrikat neben einem Tabakshändler ausruft,
dort wieder den wandernden Schuhflicker neben dem Geldwechsler. An der
einen Stelle bietet ein Handelsmann Antiquitäten aus der kunstreichen Zeit
der Tscheu und der Sang aus, um der andern preist ein Salbenhändler die
Frische und den Duft seiner Pomade an, an einer dritten siebt man im bun¬
testen Gemisch Garköche, Latcrnenmacher, Buchhändler, Sattler und Pfeifen-
fabrikuntcn sich mit den Producten ihrer Arbeit umhertummeln. Es gibt kein
Volk, welches das Sprichwort "Klappern gehört zum Handwerk" besser ver¬
stünde als die Chinesen, und da überdies nur den Mönchen das Betteln ge¬
stattet ist, so ist der Arme genöthigt, sich auf jeden Zweig der kleinen In¬
dustrie zu legen und alle Finessen desselben auszubeuten.

Ursprünglich sollten in der Stadt der Mandschu nur Soldaten wohnen.
Es war ein fest gewordenes Nomadenlager neben der chinesischen Altstadt:
der zum Landesherr" gewordene Feldherr mit seinem versteinerten Zelt und
seinem großen Drachenbanner in der Mitte, um ihn herum, nach Geschwadern
und Fähnlein abgetheilt, sein Heer. Die Quartiere dieser Stadt hießen
Banner, und sie wurden den Brigaden und Regimentern durch das Loos zu¬
getheilt. Jetzt ist das längst anders geworden. Die Soldaten sind zum
Theil Kaufleute geworden, zum Theil haben sie sich andern Beschäftigungen
zugewandt, und die Loose sind, namentlich in den Hauptstraßen, in fremde
Hände übergegangen. Nichtsdestoweniger besteht die alte Bezeichnung noch,
und auch die Mandschu-Truppen, die in der Stadt liegen, sind noch
nach den alten Bannern benannt. Im nördlichen Theil Pekings steht das
gelbe, im Osten das weiße Banner, im Süden das rothe und das blaue. Die
Nationalgnrde der Residenz (Llan Aong) führt ein grünes Banner, man ver¬
wendet sie indeß, wie bei uns manche derartige Institute, nur zu Nachwächter¬
diensten -- die Mandschu-Kaiser sehe" keinen Vortheil darin, daß ihre chine¬
sischen Unterthanen die Waffen gebrauchen lernen.

Interessante Bauwerke in der Mandschurenstadt sind der Tempel Litai-Ti-
wcmg Miao und der des Konfutse. In dem ersten werden die Manen der
verstorbenen Kaiser von Fohi ein bis auf den zuletzt mit Tode abgegangnen
Taokwang verehrt. Zwei große reichbemalte und vergoldete Triumphbogen
von Holz bilden den Eingang. Im Innern findet man die Gedächtnißtnfeln
der einzelnen Herrscher aufgestellt, Schilde mit den Bildern und Leibsprüchen
derselben. Der Tempel des Konfutse grenzt an den zweiten Hof der kaiserlichen
Hochschule. Er enthält die Gedächtnißtafel des Philosophen mit der Inschrift:
"Stätte, wo man den alten und sehr weisen Konfutse verehrt." Ein Stück


hier mehr auf der Gasse als in Laden und Werkstatt, und das trägt unge¬
mein viel dazu bei, jene lebendiger zu machen. So erblickt man hier einen
bettelnden Bonzen neben einem gcsticulirenden Schauspieler oder Jongleur, da
einen Zuckerbäcker, der sein Fabrikat neben einem Tabakshändler ausruft,
dort wieder den wandernden Schuhflicker neben dem Geldwechsler. An der
einen Stelle bietet ein Handelsmann Antiquitäten aus der kunstreichen Zeit
der Tscheu und der Sang aus, um der andern preist ein Salbenhändler die
Frische und den Duft seiner Pomade an, an einer dritten siebt man im bun¬
testen Gemisch Garköche, Latcrnenmacher, Buchhändler, Sattler und Pfeifen-
fabrikuntcn sich mit den Producten ihrer Arbeit umhertummeln. Es gibt kein
Volk, welches das Sprichwort „Klappern gehört zum Handwerk" besser ver¬
stünde als die Chinesen, und da überdies nur den Mönchen das Betteln ge¬
stattet ist, so ist der Arme genöthigt, sich auf jeden Zweig der kleinen In¬
dustrie zu legen und alle Finessen desselben auszubeuten.

Ursprünglich sollten in der Stadt der Mandschu nur Soldaten wohnen.
Es war ein fest gewordenes Nomadenlager neben der chinesischen Altstadt:
der zum Landesherr» gewordene Feldherr mit seinem versteinerten Zelt und
seinem großen Drachenbanner in der Mitte, um ihn herum, nach Geschwadern
und Fähnlein abgetheilt, sein Heer. Die Quartiere dieser Stadt hießen
Banner, und sie wurden den Brigaden und Regimentern durch das Loos zu¬
getheilt. Jetzt ist das längst anders geworden. Die Soldaten sind zum
Theil Kaufleute geworden, zum Theil haben sie sich andern Beschäftigungen
zugewandt, und die Loose sind, namentlich in den Hauptstraßen, in fremde
Hände übergegangen. Nichtsdestoweniger besteht die alte Bezeichnung noch,
und auch die Mandschu-Truppen, die in der Stadt liegen, sind noch
nach den alten Bannern benannt. Im nördlichen Theil Pekings steht das
gelbe, im Osten das weiße Banner, im Süden das rothe und das blaue. Die
Nationalgnrde der Residenz (Llan Aong) führt ein grünes Banner, man ver¬
wendet sie indeß, wie bei uns manche derartige Institute, nur zu Nachwächter¬
diensten — die Mandschu-Kaiser sehe» keinen Vortheil darin, daß ihre chine¬
sischen Unterthanen die Waffen gebrauchen lernen.

Interessante Bauwerke in der Mandschurenstadt sind der Tempel Litai-Ti-
wcmg Miao und der des Konfutse. In dem ersten werden die Manen der
verstorbenen Kaiser von Fohi ein bis auf den zuletzt mit Tode abgegangnen
Taokwang verehrt. Zwei große reichbemalte und vergoldete Triumphbogen
von Holz bilden den Eingang. Im Innern findet man die Gedächtnißtnfeln
der einzelnen Herrscher aufgestellt, Schilde mit den Bildern und Leibsprüchen
derselben. Der Tempel des Konfutse grenzt an den zweiten Hof der kaiserlichen
Hochschule. Er enthält die Gedächtnißtafel des Philosophen mit der Inschrift:
„Stätte, wo man den alten und sehr weisen Konfutse verehrt." Ein Stück


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[0432] hier mehr auf der Gasse als in Laden und Werkstatt, und das trägt unge¬ mein viel dazu bei, jene lebendiger zu machen. So erblickt man hier einen bettelnden Bonzen neben einem gcsticulirenden Schauspieler oder Jongleur, da einen Zuckerbäcker, der sein Fabrikat neben einem Tabakshändler ausruft, dort wieder den wandernden Schuhflicker neben dem Geldwechsler. An der einen Stelle bietet ein Handelsmann Antiquitäten aus der kunstreichen Zeit der Tscheu und der Sang aus, um der andern preist ein Salbenhändler die Frische und den Duft seiner Pomade an, an einer dritten siebt man im bun¬ testen Gemisch Garköche, Latcrnenmacher, Buchhändler, Sattler und Pfeifen- fabrikuntcn sich mit den Producten ihrer Arbeit umhertummeln. Es gibt kein Volk, welches das Sprichwort „Klappern gehört zum Handwerk" besser ver¬ stünde als die Chinesen, und da überdies nur den Mönchen das Betteln ge¬ stattet ist, so ist der Arme genöthigt, sich auf jeden Zweig der kleinen In¬ dustrie zu legen und alle Finessen desselben auszubeuten. Ursprünglich sollten in der Stadt der Mandschu nur Soldaten wohnen. Es war ein fest gewordenes Nomadenlager neben der chinesischen Altstadt: der zum Landesherr» gewordene Feldherr mit seinem versteinerten Zelt und seinem großen Drachenbanner in der Mitte, um ihn herum, nach Geschwadern und Fähnlein abgetheilt, sein Heer. Die Quartiere dieser Stadt hießen Banner, und sie wurden den Brigaden und Regimentern durch das Loos zu¬ getheilt. Jetzt ist das längst anders geworden. Die Soldaten sind zum Theil Kaufleute geworden, zum Theil haben sie sich andern Beschäftigungen zugewandt, und die Loose sind, namentlich in den Hauptstraßen, in fremde Hände übergegangen. Nichtsdestoweniger besteht die alte Bezeichnung noch, und auch die Mandschu-Truppen, die in der Stadt liegen, sind noch nach den alten Bannern benannt. Im nördlichen Theil Pekings steht das gelbe, im Osten das weiße Banner, im Süden das rothe und das blaue. Die Nationalgnrde der Residenz (Llan Aong) führt ein grünes Banner, man ver¬ wendet sie indeß, wie bei uns manche derartige Institute, nur zu Nachwächter¬ diensten — die Mandschu-Kaiser sehe» keinen Vortheil darin, daß ihre chine¬ sischen Unterthanen die Waffen gebrauchen lernen. Interessante Bauwerke in der Mandschurenstadt sind der Tempel Litai-Ti- wcmg Miao und der des Konfutse. In dem ersten werden die Manen der verstorbenen Kaiser von Fohi ein bis auf den zuletzt mit Tode abgegangnen Taokwang verehrt. Zwei große reichbemalte und vergoldete Triumphbogen von Holz bilden den Eingang. Im Innern findet man die Gedächtnißtnfeln der einzelnen Herrscher aufgestellt, Schilde mit den Bildern und Leibsprüchen derselben. Der Tempel des Konfutse grenzt an den zweiten Hof der kaiserlichen Hochschule. Er enthält die Gedächtnißtafel des Philosophen mit der Inschrift: „Stätte, wo man den alten und sehr weisen Konfutse verehrt." Ein Stück

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/432>, abgerufen am 16.01.2025.