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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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derer schöner Punkt ist der Bananengarten in der Nähe der weißen Marmor¬
brücke, die unter dem Kaiser Kanghi von den Jesuiten erbaut wurde. Er ist
mit allerlei Fruchtbäumen und duftenden Sträuchern bepflanzt, und in seiner
Mitte befindet sich der Pavillon Tschni Uunsin, d. i. der kleine Herbstwind.
Dieses Schlößchen zerfällt in vier verschiedene Theile, die durch Wasser von
einander getrennt sind. Im Sommer sind diese Kanäle mit Nenuphnr-Rosen
und den Blüthen von Wassernüssen bedeckt. In Mußestunden fährt der
Kaiser auf dem Wasser in einer prächtigen Gondel spazieren, und im Winter
sieht er seinen Mandschusoldaten zu, die ans der gefrornen Fläche Schlittschuh
laufen. Recht anmuthig nimmt sich aus der Ferne der am Ende des Sees
stehende Tempel Siam Tsanthan aus, der dem Gedächtniß einer Kaiserin ge¬
weiht ist, welche in China die Zucht der Seidenraupen einführte.

Die eigentliche Stadt der Mandschu, Neitsching, ist sehr regelmäßig ge¬
baut. Sie hat schnurgerade Straßen, von denen mehre über eine Meile
lang und 50 bis 60 Ellen breit sind, und drei große Plätze. Eine, die von
Osten nach Westen laufende Tschar Ngankiai, d. i. Straße der immerwäh¬
renden Erholung, welche für die schönste von Peking gilt, hat sogar eine
Breite von 30 Toisen, also 180 Fuß. Ebenfalls sehr große und elegante
Straßen sind die von der westlichen Langseite der kaiserlichen Stadt auslau¬
sende mit vier Triumphbogen geschmückte Sisse Failu und die von der öst¬
lichen Langseite bis an das Ostende der Stadt sich hinabziehendc Tvngtse
"Failu. Beide haben eine Länge von mehr als einer halben deutschen Meile.
Nehmen die Seiten jener Prachtstraße meist Paläste von Fürsten, Tempel
und Gerichtshöfe ein, so herrscht aus diesen letzteren beiden der Kaufmann
vor. Vor glänzenden Magazinen flattern an Masten und Stangen Banner
von Seide und Papier, welche in chinesischen Buchstaben Angaben über die
Waaren enthalten, die in dem Laden dahinter feil sind. Auf der Straße
wogt und wimmelt es von zahllosem Volk, und das Auge wird durch den
Wechsel der Trachten, die sich hier mischen, auf das angenehmste unterhalten.

Weit weniger Vergnügen gewähren die Straßen Pekings dem Geruchs¬
sinn. Wenn man sich erinnert, daß der Chinese beim Schlafengehen die Klei¬
der nicht ablegt, und daß in der Hauptstadt eine halbe Million Menschen
lebt, die keine andere Wohu- und Schlafstätte hat als verlassene Häuser und
Löcher in der Stadtmauer, und wenn man ferner weiß, daß der haushälte¬
rische Bewohner des himmlischen Reiches alle Absonderung des menschlichen
Körpers mit äußerster Sorgfalt in nicht immer fest schließenden Krügen und
Büchsen aufbewahrt, um sie zur Ackerdüngung zu verwenden, so kann man
sich einen ungefähren Begriff davon machen, was eine europäisch verwöhnte
Nase hier leidet.

Wie allenthalben im Süden lebt der Gcwerbs- und Handelsmann auch


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derer schöner Punkt ist der Bananengarten in der Nähe der weißen Marmor¬
brücke, die unter dem Kaiser Kanghi von den Jesuiten erbaut wurde. Er ist
mit allerlei Fruchtbäumen und duftenden Sträuchern bepflanzt, und in seiner
Mitte befindet sich der Pavillon Tschni Uunsin, d. i. der kleine Herbstwind.
Dieses Schlößchen zerfällt in vier verschiedene Theile, die durch Wasser von
einander getrennt sind. Im Sommer sind diese Kanäle mit Nenuphnr-Rosen
und den Blüthen von Wassernüssen bedeckt. In Mußestunden fährt der
Kaiser auf dem Wasser in einer prächtigen Gondel spazieren, und im Winter
sieht er seinen Mandschusoldaten zu, die ans der gefrornen Fläche Schlittschuh
laufen. Recht anmuthig nimmt sich aus der Ferne der am Ende des Sees
stehende Tempel Siam Tsanthan aus, der dem Gedächtniß einer Kaiserin ge¬
weiht ist, welche in China die Zucht der Seidenraupen einführte.

Die eigentliche Stadt der Mandschu, Neitsching, ist sehr regelmäßig ge¬
baut. Sie hat schnurgerade Straßen, von denen mehre über eine Meile
lang und 50 bis 60 Ellen breit sind, und drei große Plätze. Eine, die von
Osten nach Westen laufende Tschar Ngankiai, d. i. Straße der immerwäh¬
renden Erholung, welche für die schönste von Peking gilt, hat sogar eine
Breite von 30 Toisen, also 180 Fuß. Ebenfalls sehr große und elegante
Straßen sind die von der westlichen Langseite der kaiserlichen Stadt auslau¬
sende mit vier Triumphbogen geschmückte Sisse Failu und die von der öst¬
lichen Langseite bis an das Ostende der Stadt sich hinabziehendc Tvngtse
»Failu. Beide haben eine Länge von mehr als einer halben deutschen Meile.
Nehmen die Seiten jener Prachtstraße meist Paläste von Fürsten, Tempel
und Gerichtshöfe ein, so herrscht aus diesen letzteren beiden der Kaufmann
vor. Vor glänzenden Magazinen flattern an Masten und Stangen Banner
von Seide und Papier, welche in chinesischen Buchstaben Angaben über die
Waaren enthalten, die in dem Laden dahinter feil sind. Auf der Straße
wogt und wimmelt es von zahllosem Volk, und das Auge wird durch den
Wechsel der Trachten, die sich hier mischen, auf das angenehmste unterhalten.

Weit weniger Vergnügen gewähren die Straßen Pekings dem Geruchs¬
sinn. Wenn man sich erinnert, daß der Chinese beim Schlafengehen die Klei¬
der nicht ablegt, und daß in der Hauptstadt eine halbe Million Menschen
lebt, die keine andere Wohu- und Schlafstätte hat als verlassene Häuser und
Löcher in der Stadtmauer, und wenn man ferner weiß, daß der haushälte¬
rische Bewohner des himmlischen Reiches alle Absonderung des menschlichen
Körpers mit äußerster Sorgfalt in nicht immer fest schließenden Krügen und
Büchsen aufbewahrt, um sie zur Ackerdüngung zu verwenden, so kann man
sich einen ungefähren Begriff davon machen, was eine europäisch verwöhnte
Nase hier leidet.

Wie allenthalben im Süden lebt der Gcwerbs- und Handelsmann auch


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[0431] derer schöner Punkt ist der Bananengarten in der Nähe der weißen Marmor¬ brücke, die unter dem Kaiser Kanghi von den Jesuiten erbaut wurde. Er ist mit allerlei Fruchtbäumen und duftenden Sträuchern bepflanzt, und in seiner Mitte befindet sich der Pavillon Tschni Uunsin, d. i. der kleine Herbstwind. Dieses Schlößchen zerfällt in vier verschiedene Theile, die durch Wasser von einander getrennt sind. Im Sommer sind diese Kanäle mit Nenuphnr-Rosen und den Blüthen von Wassernüssen bedeckt. In Mußestunden fährt der Kaiser auf dem Wasser in einer prächtigen Gondel spazieren, und im Winter sieht er seinen Mandschusoldaten zu, die ans der gefrornen Fläche Schlittschuh laufen. Recht anmuthig nimmt sich aus der Ferne der am Ende des Sees stehende Tempel Siam Tsanthan aus, der dem Gedächtniß einer Kaiserin ge¬ weiht ist, welche in China die Zucht der Seidenraupen einführte. Die eigentliche Stadt der Mandschu, Neitsching, ist sehr regelmäßig ge¬ baut. Sie hat schnurgerade Straßen, von denen mehre über eine Meile lang und 50 bis 60 Ellen breit sind, und drei große Plätze. Eine, die von Osten nach Westen laufende Tschar Ngankiai, d. i. Straße der immerwäh¬ renden Erholung, welche für die schönste von Peking gilt, hat sogar eine Breite von 30 Toisen, also 180 Fuß. Ebenfalls sehr große und elegante Straßen sind die von der westlichen Langseite der kaiserlichen Stadt auslau¬ sende mit vier Triumphbogen geschmückte Sisse Failu und die von der öst¬ lichen Langseite bis an das Ostende der Stadt sich hinabziehendc Tvngtse »Failu. Beide haben eine Länge von mehr als einer halben deutschen Meile. Nehmen die Seiten jener Prachtstraße meist Paläste von Fürsten, Tempel und Gerichtshöfe ein, so herrscht aus diesen letzteren beiden der Kaufmann vor. Vor glänzenden Magazinen flattern an Masten und Stangen Banner von Seide und Papier, welche in chinesischen Buchstaben Angaben über die Waaren enthalten, die in dem Laden dahinter feil sind. Auf der Straße wogt und wimmelt es von zahllosem Volk, und das Auge wird durch den Wechsel der Trachten, die sich hier mischen, auf das angenehmste unterhalten. Weit weniger Vergnügen gewähren die Straßen Pekings dem Geruchs¬ sinn. Wenn man sich erinnert, daß der Chinese beim Schlafengehen die Klei¬ der nicht ablegt, und daß in der Hauptstadt eine halbe Million Menschen lebt, die keine andere Wohu- und Schlafstätte hat als verlassene Häuser und Löcher in der Stadtmauer, und wenn man ferner weiß, daß der haushälte¬ rische Bewohner des himmlischen Reiches alle Absonderung des menschlichen Körpers mit äußerster Sorgfalt in nicht immer fest schließenden Krügen und Büchsen aufbewahrt, um sie zur Ackerdüngung zu verwenden, so kann man sich einen ungefähren Begriff davon machen, was eine europäisch verwöhnte Nase hier leidet. Wie allenthalben im Süden lebt der Gcwerbs- und Handelsmann auch 53*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/431>, abgerufen am 16.01.2025.