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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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Oberpriester der Lama-Religion, wohnt, und neben dem sich die Druckerei
befindet, wo die Gebetbücher für Tübet gedruckt werden. Endlich trifft man
in diesen Quartieren mehre prachtvolle Concert- und Schauspielhäuser, die von
dem berühmten Kaiser Kianiong erbaut sind, und fünf künstliche Hügel, von
denen der 140 Fuß hohe Kingschan, d. i> der rückstrahlende Berg, in der
Geschichte Chinas eine traurige Berühmtheit erlangt hat, indem sich auf ihm
bei der Katastrophe vou 1644 Hoaitsvng, der letzte Kaiser der alten chinesi-
schen Dynastie der Ming, nachdem er seine Familie umgebracht, an einem
Baume aufhing, um nicht in die Hände des Emporers Litschising zu fallen.
Es war der schrecklichste Tag, den Peking seit Dschingischans Zeit erlebte:
der Kaiser an jenem Baume, die Mehrzahl der Fürsten und hohen Beamten
hingerichtet, die Riesenstadt ein Feuermmeer, dessen Flammen die fernen
Berge der Tnrtarei rötheren und, bis weit in die Ebne von Petschili hinab-
strahlcnd, der zehn Meilen langen Karavane leuchteten, mit welcher das Ne-
belienhcer die Tausende von Centnern edler Metalle entführte, die sie in der
Stadt zusammengeraubt.

Sind die Bauwerke dieser beiden Stadttheile, aus der Nähe betrachtet,
mehr prunkvoll als schön, so nimmt sich das Ganze von einem der Hügel
oder Thorthürmc gesehen mit seinen Gärten und Wasserpartien sehr gut und
großartig aus. Einer der prächtigsten Punkte ist die sogenannte Marmor¬
insel in dem großen Teiche, der sich von der Nordmauer der kaiserlichen Woh¬
nung nach dessen Südmauer hinzieht. Die Pfade, welche sich durch die
Pflanzungen hinschlängeln, mit denen der Hügel in der Mitte dieses an¬
muthigen Eilands bedeckt ist, führen zu unzähligen köstlichen Aussichten, von
denen jede das außerordentliche Geschick der Chinesen bezeugt, Ähnlichkeiten
und Contraste in der Anlegung von Gärten und Parks wirkungsvoll zu ver°
theilen, Überraschungen hervorzubringen und charakteristische Landschaftsbilder
zu schaffen. An der einen Stelle sind Bäume und Sträucher nach ihren
Farben und Wipfelgestaltungcn aufs Beste geordnet. An einer andern senkt
sich ein wohlgepflegter Nasenplan. Da stürzt über zerklüftetes moosbehangenes
Gestein rauschend ein Wasserfall. Daneben widerhallen dunkle Grotten grollend
das Getöse des Katarakts und entwurzelte Stämme starren in wildes Gewirr
verflochten gen Himmel. Weiterhin wieder trifft das Ohr die Musik von
Glöckchen, welche so gestimmt sind, daß ihr Concert, wenn der Wind geht,
dem melancholischen Tönen einer Aeolsharfe gleicht. Kommt man endlich auf
dem Gipfel des Hügels an, so schweift das Auge über das ganze Bild der
gewaltigen Mongolenstadt, über den Kaiserpalast mit seiner blitzenden Be¬
dachung, seinen weiten mit ungeheuren Steinplatten gepflasterten Höfen und
über das Panorama des glänzenden Sees Kinhai und dessen Ufer mit ihren
zahllosen Gartenhäuschen und Kiosken, Tempeln und Palästen. -- Ein an-


Oberpriester der Lama-Religion, wohnt, und neben dem sich die Druckerei
befindet, wo die Gebetbücher für Tübet gedruckt werden. Endlich trifft man
in diesen Quartieren mehre prachtvolle Concert- und Schauspielhäuser, die von
dem berühmten Kaiser Kianiong erbaut sind, und fünf künstliche Hügel, von
denen der 140 Fuß hohe Kingschan, d. i> der rückstrahlende Berg, in der
Geschichte Chinas eine traurige Berühmtheit erlangt hat, indem sich auf ihm
bei der Katastrophe vou 1644 Hoaitsvng, der letzte Kaiser der alten chinesi-
schen Dynastie der Ming, nachdem er seine Familie umgebracht, an einem
Baume aufhing, um nicht in die Hände des Emporers Litschising zu fallen.
Es war der schrecklichste Tag, den Peking seit Dschingischans Zeit erlebte:
der Kaiser an jenem Baume, die Mehrzahl der Fürsten und hohen Beamten
hingerichtet, die Riesenstadt ein Feuermmeer, dessen Flammen die fernen
Berge der Tnrtarei rötheren und, bis weit in die Ebne von Petschili hinab-
strahlcnd, der zehn Meilen langen Karavane leuchteten, mit welcher das Ne-
belienhcer die Tausende von Centnern edler Metalle entführte, die sie in der
Stadt zusammengeraubt.

Sind die Bauwerke dieser beiden Stadttheile, aus der Nähe betrachtet,
mehr prunkvoll als schön, so nimmt sich das Ganze von einem der Hügel
oder Thorthürmc gesehen mit seinen Gärten und Wasserpartien sehr gut und
großartig aus. Einer der prächtigsten Punkte ist die sogenannte Marmor¬
insel in dem großen Teiche, der sich von der Nordmauer der kaiserlichen Woh¬
nung nach dessen Südmauer hinzieht. Die Pfade, welche sich durch die
Pflanzungen hinschlängeln, mit denen der Hügel in der Mitte dieses an¬
muthigen Eilands bedeckt ist, führen zu unzähligen köstlichen Aussichten, von
denen jede das außerordentliche Geschick der Chinesen bezeugt, Ähnlichkeiten
und Contraste in der Anlegung von Gärten und Parks wirkungsvoll zu ver°
theilen, Überraschungen hervorzubringen und charakteristische Landschaftsbilder
zu schaffen. An der einen Stelle sind Bäume und Sträucher nach ihren
Farben und Wipfelgestaltungcn aufs Beste geordnet. An einer andern senkt
sich ein wohlgepflegter Nasenplan. Da stürzt über zerklüftetes moosbehangenes
Gestein rauschend ein Wasserfall. Daneben widerhallen dunkle Grotten grollend
das Getöse des Katarakts und entwurzelte Stämme starren in wildes Gewirr
verflochten gen Himmel. Weiterhin wieder trifft das Ohr die Musik von
Glöckchen, welche so gestimmt sind, daß ihr Concert, wenn der Wind geht,
dem melancholischen Tönen einer Aeolsharfe gleicht. Kommt man endlich auf
dem Gipfel des Hügels an, so schweift das Auge über das ganze Bild der
gewaltigen Mongolenstadt, über den Kaiserpalast mit seiner blitzenden Be¬
dachung, seinen weiten mit ungeheuren Steinplatten gepflasterten Höfen und
über das Panorama des glänzenden Sees Kinhai und dessen Ufer mit ihren
zahllosen Gartenhäuschen und Kiosken, Tempeln und Palästen. — Ein an-


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[0430] Oberpriester der Lama-Religion, wohnt, und neben dem sich die Druckerei befindet, wo die Gebetbücher für Tübet gedruckt werden. Endlich trifft man in diesen Quartieren mehre prachtvolle Concert- und Schauspielhäuser, die von dem berühmten Kaiser Kianiong erbaut sind, und fünf künstliche Hügel, von denen der 140 Fuß hohe Kingschan, d. i> der rückstrahlende Berg, in der Geschichte Chinas eine traurige Berühmtheit erlangt hat, indem sich auf ihm bei der Katastrophe vou 1644 Hoaitsvng, der letzte Kaiser der alten chinesi- schen Dynastie der Ming, nachdem er seine Familie umgebracht, an einem Baume aufhing, um nicht in die Hände des Emporers Litschising zu fallen. Es war der schrecklichste Tag, den Peking seit Dschingischans Zeit erlebte: der Kaiser an jenem Baume, die Mehrzahl der Fürsten und hohen Beamten hingerichtet, die Riesenstadt ein Feuermmeer, dessen Flammen die fernen Berge der Tnrtarei rötheren und, bis weit in die Ebne von Petschili hinab- strahlcnd, der zehn Meilen langen Karavane leuchteten, mit welcher das Ne- belienhcer die Tausende von Centnern edler Metalle entführte, die sie in der Stadt zusammengeraubt. Sind die Bauwerke dieser beiden Stadttheile, aus der Nähe betrachtet, mehr prunkvoll als schön, so nimmt sich das Ganze von einem der Hügel oder Thorthürmc gesehen mit seinen Gärten und Wasserpartien sehr gut und großartig aus. Einer der prächtigsten Punkte ist die sogenannte Marmor¬ insel in dem großen Teiche, der sich von der Nordmauer der kaiserlichen Woh¬ nung nach dessen Südmauer hinzieht. Die Pfade, welche sich durch die Pflanzungen hinschlängeln, mit denen der Hügel in der Mitte dieses an¬ muthigen Eilands bedeckt ist, führen zu unzähligen köstlichen Aussichten, von denen jede das außerordentliche Geschick der Chinesen bezeugt, Ähnlichkeiten und Contraste in der Anlegung von Gärten und Parks wirkungsvoll zu ver° theilen, Überraschungen hervorzubringen und charakteristische Landschaftsbilder zu schaffen. An der einen Stelle sind Bäume und Sträucher nach ihren Farben und Wipfelgestaltungcn aufs Beste geordnet. An einer andern senkt sich ein wohlgepflegter Nasenplan. Da stürzt über zerklüftetes moosbehangenes Gestein rauschend ein Wasserfall. Daneben widerhallen dunkle Grotten grollend das Getöse des Katarakts und entwurzelte Stämme starren in wildes Gewirr verflochten gen Himmel. Weiterhin wieder trifft das Ohr die Musik von Glöckchen, welche so gestimmt sind, daß ihr Concert, wenn der Wind geht, dem melancholischen Tönen einer Aeolsharfe gleicht. Kommt man endlich auf dem Gipfel des Hügels an, so schweift das Auge über das ganze Bild der gewaltigen Mongolenstadt, über den Kaiserpalast mit seiner blitzenden Be¬ dachung, seinen weiten mit ungeheuren Steinplatten gepflasterten Höfen und über das Panorama des glänzenden Sees Kinhai und dessen Ufer mit ihren zahllosen Gartenhäuschen und Kiosken, Tempeln und Palästen. — Ein an-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/430>, abgerufen am 16.01.2025.