Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

hielt das revolutionäre Comite eine stürmische Sitzung, welche sich bis gegen drei
Uhr Morgens hinzog. Es handelte sich darum, was nun mit dem herren¬
losen Königreiche angefangen werden sollte. Aus dem Chaos der allgemeinen Ver¬
neinung des Alten, Bestehenden, hatten sich längst zwei einander schroff gegenüber¬
stehende Parteien gebildet, die wir kurz als Cavonnsten und Mazzinisten, mo¬
narchische und republicanische Unitarier, bezeichnen wollen. Jene verlangten
einfachen Anschluß an Piemont oder Anerkennung des Königs Victor Emanuel
als König von Italien, diese wollten eine neapolitanische Republik mit der
Aussicht, in kurzer Frist den ganzen Nest der italienischen Halbinsel zu annec-
tiren. Die Cavomistcn, von dein Marquis von Villamarina, dem piemonte-
sischen Gesandten ovganisirt, von der im Hafen stationirten piemontesischen See¬
macht unterstützt, schritten sofort zur Mahl einer provisorischen Regierung,
welche vor Garibaldis Ankunft -- darauf legte man ein besondres Gewicht
-- die Einverleibung Neapels in das Reich des Ne galantuomo aussprechen
sollte. Dagegen sperrten sich die Mazzinisten mit solchem Ungestüm, daß man
eine Weile an ein bevorstehendes Blutvergießen glauben konnte. Diese Partei,
welche mit ihrem letzten Worte vor die Öffentlichkeit zu treten noch nicht
wagt, war in jüngster Zeit für Garibaldi besonders thätig gewesen und hofft
ihn noch zu ihren politischen Ansichten hcrüberzuziehn; die Wahl zwischen einem
Aufgehn Neapels in ein piemontesisches oder ein garibaldisches Italien konnte
ihr also nicht zweifelhaft sein. Während der König seine Anordnungen zur
Abreise traf, hatte Garibaldi seinen feierlichen Einzug in dem nahen Salerno
gehalten, von wo er erst den 8. d. M. hier in Neapel eintreffen wollte. Um
die cavounstischeu Pläne zu vereiteln, galt es seine Ankunft zu beschleunigen.
Botschafter gingen über Nacht nach Salerno, und schon früh Morgens wußte
man, daß der große Condottiere, nur von Cosenz und Türr begleitet, heute
Mittag seinen Einzug in Neapel halten wolle.

Es ist am Abend eines bewegten Tages, daß ich mich zu diesen Aufzeich¬
nungen niedersetze -- soeben komme ich von einer Fahrt durch die zu Ehren
Garibaldis festlich erleuchteten Straßen Neapels zurück. Schon früh war die
italienische Tricolore mit dem savoyischen Kreuz hie und da ausgehängt wor¬
den; die Zahl dieser Fahnen mehrte sich vor den Häusern mit unglaublicher
Schnelligkeit, als zahlreiche Banden von Lazzaroni, ebenfalls mit solchen Ban¬
nern versehn, unter Trommelschlag und furchtbarem Geschrei "evviva, LsirridalcU!
üvviva 1'It.g.lig.!" gegen neun Uhr Morgens ansingen die Straßen zu durchzieh".
Das Ansehn der Stadt wurde immer bedenklicher. Den Fahnenträgern ge¬
sellten sich außer dem unerwachsenen Janhagel, der hier, was Lärm machen
anbetrifft, das Großartigste leistet. Banden von zerlumpten, hungrig aussehen¬
den Pikenmännern bei. Die Vorübergehenden wurden gezwungen, das Sym¬
bol der italienischen Einheit zu begrüßen, die Nationalgarde trat davor ins


hielt das revolutionäre Comite eine stürmische Sitzung, welche sich bis gegen drei
Uhr Morgens hinzog. Es handelte sich darum, was nun mit dem herren¬
losen Königreiche angefangen werden sollte. Aus dem Chaos der allgemeinen Ver¬
neinung des Alten, Bestehenden, hatten sich längst zwei einander schroff gegenüber¬
stehende Parteien gebildet, die wir kurz als Cavonnsten und Mazzinisten, mo¬
narchische und republicanische Unitarier, bezeichnen wollen. Jene verlangten
einfachen Anschluß an Piemont oder Anerkennung des Königs Victor Emanuel
als König von Italien, diese wollten eine neapolitanische Republik mit der
Aussicht, in kurzer Frist den ganzen Nest der italienischen Halbinsel zu annec-
tiren. Die Cavomistcn, von dein Marquis von Villamarina, dem piemonte-
sischen Gesandten ovganisirt, von der im Hafen stationirten piemontesischen See¬
macht unterstützt, schritten sofort zur Mahl einer provisorischen Regierung,
welche vor Garibaldis Ankunft — darauf legte man ein besondres Gewicht
— die Einverleibung Neapels in das Reich des Ne galantuomo aussprechen
sollte. Dagegen sperrten sich die Mazzinisten mit solchem Ungestüm, daß man
eine Weile an ein bevorstehendes Blutvergießen glauben konnte. Diese Partei,
welche mit ihrem letzten Worte vor die Öffentlichkeit zu treten noch nicht
wagt, war in jüngster Zeit für Garibaldi besonders thätig gewesen und hofft
ihn noch zu ihren politischen Ansichten hcrüberzuziehn; die Wahl zwischen einem
Aufgehn Neapels in ein piemontesisches oder ein garibaldisches Italien konnte
ihr also nicht zweifelhaft sein. Während der König seine Anordnungen zur
Abreise traf, hatte Garibaldi seinen feierlichen Einzug in dem nahen Salerno
gehalten, von wo er erst den 8. d. M. hier in Neapel eintreffen wollte. Um
die cavounstischeu Pläne zu vereiteln, galt es seine Ankunft zu beschleunigen.
Botschafter gingen über Nacht nach Salerno, und schon früh Morgens wußte
man, daß der große Condottiere, nur von Cosenz und Türr begleitet, heute
Mittag seinen Einzug in Neapel halten wolle.

Es ist am Abend eines bewegten Tages, daß ich mich zu diesen Aufzeich¬
nungen niedersetze — soeben komme ich von einer Fahrt durch die zu Ehren
Garibaldis festlich erleuchteten Straßen Neapels zurück. Schon früh war die
italienische Tricolore mit dem savoyischen Kreuz hie und da ausgehängt wor¬
den; die Zahl dieser Fahnen mehrte sich vor den Häusern mit unglaublicher
Schnelligkeit, als zahlreiche Banden von Lazzaroni, ebenfalls mit solchen Ban¬
nern versehn, unter Trommelschlag und furchtbarem Geschrei „evviva, LsirridalcU!
üvviva 1'It.g.lig.!" gegen neun Uhr Morgens ansingen die Straßen zu durchzieh«.
Das Ansehn der Stadt wurde immer bedenklicher. Den Fahnenträgern ge¬
sellten sich außer dem unerwachsenen Janhagel, der hier, was Lärm machen
anbetrifft, das Großartigste leistet. Banden von zerlumpten, hungrig aussehen¬
den Pikenmännern bei. Die Vorübergehenden wurden gezwungen, das Sym¬
bol der italienischen Einheit zu begrüßen, die Nationalgarde trat davor ins


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0042" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/110390"/>
          <p xml:id="ID_90" prev="#ID_89"> hielt das revolutionäre Comite eine stürmische Sitzung, welche sich bis gegen drei<lb/>
Uhr Morgens hinzog. Es handelte sich darum, was nun mit dem herren¬<lb/>
losen Königreiche angefangen werden sollte. Aus dem Chaos der allgemeinen Ver¬<lb/>
neinung des Alten, Bestehenden, hatten sich längst zwei einander schroff gegenüber¬<lb/>
stehende Parteien gebildet, die wir kurz als Cavonnsten und Mazzinisten, mo¬<lb/>
narchische und republicanische Unitarier, bezeichnen wollen. Jene verlangten<lb/>
einfachen Anschluß an Piemont oder Anerkennung des Königs Victor Emanuel<lb/>
als König von Italien, diese wollten eine neapolitanische Republik mit der<lb/>
Aussicht, in kurzer Frist den ganzen Nest der italienischen Halbinsel zu annec-<lb/>
tiren. Die Cavomistcn, von dein Marquis von Villamarina, dem piemonte-<lb/>
sischen Gesandten ovganisirt, von der im Hafen stationirten piemontesischen See¬<lb/>
macht unterstützt, schritten sofort zur Mahl einer provisorischen Regierung,<lb/>
welche vor Garibaldis Ankunft &#x2014; darauf legte man ein besondres Gewicht<lb/>
&#x2014; die Einverleibung Neapels in das Reich des Ne galantuomo aussprechen<lb/>
sollte. Dagegen sperrten sich die Mazzinisten mit solchem Ungestüm, daß man<lb/>
eine Weile an ein bevorstehendes Blutvergießen glauben konnte. Diese Partei,<lb/>
welche mit ihrem letzten Worte vor die Öffentlichkeit zu treten noch nicht<lb/>
wagt, war in jüngster Zeit für Garibaldi besonders thätig gewesen und hofft<lb/>
ihn noch zu ihren politischen Ansichten hcrüberzuziehn; die Wahl zwischen einem<lb/>
Aufgehn Neapels in ein piemontesisches oder ein garibaldisches Italien konnte<lb/>
ihr also nicht zweifelhaft sein. Während der König seine Anordnungen zur<lb/>
Abreise traf, hatte Garibaldi seinen feierlichen Einzug in dem nahen Salerno<lb/>
gehalten, von wo er erst den 8. d. M. hier in Neapel eintreffen wollte. Um<lb/>
die cavounstischeu Pläne zu vereiteln, galt es seine Ankunft zu beschleunigen.<lb/>
Botschafter gingen über Nacht nach Salerno, und schon früh Morgens wußte<lb/>
man, daß der große Condottiere, nur von Cosenz und Türr begleitet, heute<lb/>
Mittag seinen Einzug in Neapel halten wolle.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_91" next="#ID_92"> Es ist am Abend eines bewegten Tages, daß ich mich zu diesen Aufzeich¬<lb/>
nungen niedersetze &#x2014; soeben komme ich von einer Fahrt durch die zu Ehren<lb/>
Garibaldis festlich erleuchteten Straßen Neapels zurück. Schon früh war die<lb/>
italienische Tricolore mit dem savoyischen Kreuz hie und da ausgehängt wor¬<lb/>
den; die Zahl dieser Fahnen mehrte sich vor den Häusern mit unglaublicher<lb/>
Schnelligkeit, als zahlreiche Banden von Lazzaroni, ebenfalls mit solchen Ban¬<lb/>
nern versehn, unter Trommelschlag und furchtbarem Geschrei &#x201E;evviva, LsirridalcU!<lb/>
üvviva 1'It.g.lig.!" gegen neun Uhr Morgens ansingen die Straßen zu durchzieh«.<lb/>
Das Ansehn der Stadt wurde immer bedenklicher. Den Fahnenträgern ge¬<lb/>
sellten sich außer dem unerwachsenen Janhagel, der hier, was Lärm machen<lb/>
anbetrifft, das Großartigste leistet. Banden von zerlumpten, hungrig aussehen¬<lb/>
den Pikenmännern bei. Die Vorübergehenden wurden gezwungen, das Sym¬<lb/>
bol der italienischen Einheit zu begrüßen, die Nationalgarde trat davor ins</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0042] hielt das revolutionäre Comite eine stürmische Sitzung, welche sich bis gegen drei Uhr Morgens hinzog. Es handelte sich darum, was nun mit dem herren¬ losen Königreiche angefangen werden sollte. Aus dem Chaos der allgemeinen Ver¬ neinung des Alten, Bestehenden, hatten sich längst zwei einander schroff gegenüber¬ stehende Parteien gebildet, die wir kurz als Cavonnsten und Mazzinisten, mo¬ narchische und republicanische Unitarier, bezeichnen wollen. Jene verlangten einfachen Anschluß an Piemont oder Anerkennung des Königs Victor Emanuel als König von Italien, diese wollten eine neapolitanische Republik mit der Aussicht, in kurzer Frist den ganzen Nest der italienischen Halbinsel zu annec- tiren. Die Cavomistcn, von dein Marquis von Villamarina, dem piemonte- sischen Gesandten ovganisirt, von der im Hafen stationirten piemontesischen See¬ macht unterstützt, schritten sofort zur Mahl einer provisorischen Regierung, welche vor Garibaldis Ankunft — darauf legte man ein besondres Gewicht — die Einverleibung Neapels in das Reich des Ne galantuomo aussprechen sollte. Dagegen sperrten sich die Mazzinisten mit solchem Ungestüm, daß man eine Weile an ein bevorstehendes Blutvergießen glauben konnte. Diese Partei, welche mit ihrem letzten Worte vor die Öffentlichkeit zu treten noch nicht wagt, war in jüngster Zeit für Garibaldi besonders thätig gewesen und hofft ihn noch zu ihren politischen Ansichten hcrüberzuziehn; die Wahl zwischen einem Aufgehn Neapels in ein piemontesisches oder ein garibaldisches Italien konnte ihr also nicht zweifelhaft sein. Während der König seine Anordnungen zur Abreise traf, hatte Garibaldi seinen feierlichen Einzug in dem nahen Salerno gehalten, von wo er erst den 8. d. M. hier in Neapel eintreffen wollte. Um die cavounstischeu Pläne zu vereiteln, galt es seine Ankunft zu beschleunigen. Botschafter gingen über Nacht nach Salerno, und schon früh Morgens wußte man, daß der große Condottiere, nur von Cosenz und Türr begleitet, heute Mittag seinen Einzug in Neapel halten wolle. Es ist am Abend eines bewegten Tages, daß ich mich zu diesen Aufzeich¬ nungen niedersetze — soeben komme ich von einer Fahrt durch die zu Ehren Garibaldis festlich erleuchteten Straßen Neapels zurück. Schon früh war die italienische Tricolore mit dem savoyischen Kreuz hie und da ausgehängt wor¬ den; die Zahl dieser Fahnen mehrte sich vor den Häusern mit unglaublicher Schnelligkeit, als zahlreiche Banden von Lazzaroni, ebenfalls mit solchen Ban¬ nern versehn, unter Trommelschlag und furchtbarem Geschrei „evviva, LsirridalcU! üvviva 1'It.g.lig.!" gegen neun Uhr Morgens ansingen die Straßen zu durchzieh«. Das Ansehn der Stadt wurde immer bedenklicher. Den Fahnenträgern ge¬ sellten sich außer dem unerwachsenen Janhagel, der hier, was Lärm machen anbetrifft, das Großartigste leistet. Banden von zerlumpten, hungrig aussehen¬ den Pikenmännern bei. Die Vorübergehenden wurden gezwungen, das Sym¬ bol der italienischen Einheit zu begrüßen, die Nationalgarde trat davor ins

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/42
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/42>, abgerufen am 15.01.2025.