Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

sich nicbt unbefangen dem Eindruck desselben hinzugeben, denn der oder die
Verfasser haben sich ihm gleich zu Anfang in etwas zweideutigem Lichte ge¬
zeigt; er vermag den zahlreichen löblichen Lebensmaximen nicht mit ganzer
Seele beizustimmen, denn das erfundene Schattenbild des Sprechers flößt ihm
keinen Respekt ein; er vermag sich auch nicht recht für die geschilderten Zu¬
stände zu interessiren, denn der novellistische Theil ist zu skizzenhaft und
rhapsodisch. Das Bestreben, zu belehren, und das Bestreben, durch poetische
Darstellung zu fesseln, beeinträchtigen eines dem andern die Wirkung; das
Buch ist nicht freie poetische Erfindung, und es ist auch nicht Darstellung
realer Wirklichkeit; es ist als Gemisch von Beidem nicht schön und es ist
nicht nahrhaft, obgleich es einiges Schöne und vieles Wahre zu sagen weiß.

Und deshalb würde das Werk in diesen Blättern nicht besprochen worden
sein, wenn nicht einiges, vielleicht zufällige, Detail darin den Scharfsinn
einzelner Recensenten zu der Vermuthung gebracht hätte, daß Zustände be¬
stimmter Landschaften Deutschlands, ja auch lebender Fürsten darin ihren
Ausdruck gesunden hätten. Man hat Thüringen und Souveräne dieser Land¬
schaft genannt. Referent meint, daß die Winde und Popularität der erlauchten
Herren sie davor schützen sollte, diese Arbeit in irgend eine Verbindung mit derselben
zu bringen. Denn grade die freisinnigen Gebieter deutscher Territorien, welche
man etwa genannt hat, haben den Deutschen in schweren Zeiten eine weit an-
dere, viel chrenwerthcre Persönlichkeit bereits bewährt. Ihre Ueberzeugung haben
'sie ohne überflüssige Phrasen geduldig, ausdauernd und mit recht praktischem
Menschenverstand in die That umzusetzen gewußt. Sie gehören, soweit wir aus
ihrem politischen Leben zü einem Urtheil über dieselben berechtigt sind, sämmt¬
lich nicht mehr jener Periode deutscher Entwicklung an, wo man zuweilen aus
dem Throne hochsinnig phantasirte und Gemeines zu thun nicht verschmähte.
Ihre kleinen Länder sind jetzt vielleicht die bestrcgierten Deutschlands. Die Be¬
amten, welche sie sich zu Mitarbeitern gewählt habe", zählen unter die tüchtig¬
sten Kräfte der Fortschrittspartei. Sie haben wahrscheinlich ein höheres Gefühl
ihrer fürstlichen Würde und Vorrechte, als der Fürst jenes Buches; aber sie denken
auch höher von dem Berufe, der ihnen selbst in ihrem beschränkten Kreise zu
Theil geworden ist. und sie wissen, daß ihr hoher Beruf nicht ist, die Ver-
sunkenheit der politischen Zustände in Deutschland zu beklagen, sondern auf
der ebenen Heerstraße redlicher Pflichterfüllung im Verein mit ihren Bürgern
G. F. bessern zu helfen.




sich nicbt unbefangen dem Eindruck desselben hinzugeben, denn der oder die
Verfasser haben sich ihm gleich zu Anfang in etwas zweideutigem Lichte ge¬
zeigt; er vermag den zahlreichen löblichen Lebensmaximen nicht mit ganzer
Seele beizustimmen, denn das erfundene Schattenbild des Sprechers flößt ihm
keinen Respekt ein; er vermag sich auch nicht recht für die geschilderten Zu¬
stände zu interessiren, denn der novellistische Theil ist zu skizzenhaft und
rhapsodisch. Das Bestreben, zu belehren, und das Bestreben, durch poetische
Darstellung zu fesseln, beeinträchtigen eines dem andern die Wirkung; das
Buch ist nicht freie poetische Erfindung, und es ist auch nicht Darstellung
realer Wirklichkeit; es ist als Gemisch von Beidem nicht schön und es ist
nicht nahrhaft, obgleich es einiges Schöne und vieles Wahre zu sagen weiß.

Und deshalb würde das Werk in diesen Blättern nicht besprochen worden
sein, wenn nicht einiges, vielleicht zufällige, Detail darin den Scharfsinn
einzelner Recensenten zu der Vermuthung gebracht hätte, daß Zustände be¬
stimmter Landschaften Deutschlands, ja auch lebender Fürsten darin ihren
Ausdruck gesunden hätten. Man hat Thüringen und Souveräne dieser Land¬
schaft genannt. Referent meint, daß die Winde und Popularität der erlauchten
Herren sie davor schützen sollte, diese Arbeit in irgend eine Verbindung mit derselben
zu bringen. Denn grade die freisinnigen Gebieter deutscher Territorien, welche
man etwa genannt hat, haben den Deutschen in schweren Zeiten eine weit an-
dere, viel chrenwerthcre Persönlichkeit bereits bewährt. Ihre Ueberzeugung haben
'sie ohne überflüssige Phrasen geduldig, ausdauernd und mit recht praktischem
Menschenverstand in die That umzusetzen gewußt. Sie gehören, soweit wir aus
ihrem politischen Leben zü einem Urtheil über dieselben berechtigt sind, sämmt¬
lich nicht mehr jener Periode deutscher Entwicklung an, wo man zuweilen aus
dem Throne hochsinnig phantasirte und Gemeines zu thun nicht verschmähte.
Ihre kleinen Länder sind jetzt vielleicht die bestrcgierten Deutschlands. Die Be¬
amten, welche sie sich zu Mitarbeitern gewählt habe», zählen unter die tüchtig¬
sten Kräfte der Fortschrittspartei. Sie haben wahrscheinlich ein höheres Gefühl
ihrer fürstlichen Würde und Vorrechte, als der Fürst jenes Buches; aber sie denken
auch höher von dem Berufe, der ihnen selbst in ihrem beschränkten Kreise zu
Theil geworden ist. und sie wissen, daß ihr hoher Beruf nicht ist, die Ver-
sunkenheit der politischen Zustände in Deutschland zu beklagen, sondern auf
der ebenen Heerstraße redlicher Pflichterfüllung im Verein mit ihren Bürgern
G. F. bessern zu helfen.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0401" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/110749"/>
          <p xml:id="ID_1198" prev="#ID_1197"> sich nicbt unbefangen dem Eindruck desselben hinzugeben, denn der oder die<lb/>
Verfasser haben sich ihm gleich zu Anfang in etwas zweideutigem Lichte ge¬<lb/>
zeigt; er vermag den zahlreichen löblichen Lebensmaximen nicht mit ganzer<lb/>
Seele beizustimmen, denn das erfundene Schattenbild des Sprechers flößt ihm<lb/>
keinen Respekt ein; er vermag sich auch nicht recht für die geschilderten Zu¬<lb/>
stände zu interessiren, denn der novellistische Theil ist zu skizzenhaft und<lb/>
rhapsodisch. Das Bestreben, zu belehren, und das Bestreben, durch poetische<lb/>
Darstellung zu fesseln, beeinträchtigen eines dem andern die Wirkung; das<lb/>
Buch ist nicht freie poetische Erfindung, und es ist auch nicht Darstellung<lb/>
realer Wirklichkeit; es ist als Gemisch von Beidem nicht schön und es ist<lb/>
nicht nahrhaft, obgleich es einiges Schöne und vieles Wahre zu sagen weiß.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1199"> Und deshalb würde das Werk in diesen Blättern nicht besprochen worden<lb/>
sein, wenn nicht einiges, vielleicht zufällige, Detail darin den Scharfsinn<lb/>
einzelner Recensenten zu der Vermuthung gebracht hätte, daß Zustände be¬<lb/>
stimmter Landschaften Deutschlands, ja auch lebender Fürsten darin ihren<lb/>
Ausdruck gesunden hätten. Man hat Thüringen und Souveräne dieser Land¬<lb/>
schaft genannt. Referent meint, daß die Winde und Popularität der erlauchten<lb/>
Herren sie davor schützen sollte, diese Arbeit in irgend eine Verbindung mit derselben<lb/>
zu bringen. Denn grade die freisinnigen Gebieter deutscher Territorien, welche<lb/>
man etwa genannt hat, haben den Deutschen in schweren Zeiten eine weit an-<lb/>
dere, viel chrenwerthcre Persönlichkeit bereits bewährt. Ihre Ueberzeugung haben<lb/>
'sie ohne überflüssige Phrasen geduldig, ausdauernd und mit recht praktischem<lb/>
Menschenverstand in die That umzusetzen gewußt. Sie gehören, soweit wir aus<lb/>
ihrem politischen Leben zü einem Urtheil über dieselben berechtigt sind, sämmt¬<lb/>
lich nicht mehr jener Periode deutscher Entwicklung an, wo man zuweilen aus<lb/>
dem Throne hochsinnig phantasirte und Gemeines zu thun nicht verschmähte.<lb/>
Ihre kleinen Länder sind jetzt vielleicht die bestrcgierten Deutschlands. Die Be¬<lb/>
amten, welche sie sich zu Mitarbeitern gewählt habe», zählen unter die tüchtig¬<lb/>
sten Kräfte der Fortschrittspartei. Sie haben wahrscheinlich ein höheres Gefühl<lb/>
ihrer fürstlichen Würde und Vorrechte, als der Fürst jenes Buches; aber sie denken<lb/>
auch höher von dem Berufe, der ihnen selbst in ihrem beschränkten Kreise zu<lb/>
Theil geworden ist. und sie wissen, daß ihr hoher Beruf nicht ist, die Ver-<lb/>
sunkenheit der politischen Zustände in Deutschland zu beklagen, sondern auf<lb/>
der ebenen Heerstraße redlicher Pflichterfüllung im Verein mit ihren Bürgern<lb/><note type="byline"> G. F.</note> bessern zu helfen. </p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0401] sich nicbt unbefangen dem Eindruck desselben hinzugeben, denn der oder die Verfasser haben sich ihm gleich zu Anfang in etwas zweideutigem Lichte ge¬ zeigt; er vermag den zahlreichen löblichen Lebensmaximen nicht mit ganzer Seele beizustimmen, denn das erfundene Schattenbild des Sprechers flößt ihm keinen Respekt ein; er vermag sich auch nicht recht für die geschilderten Zu¬ stände zu interessiren, denn der novellistische Theil ist zu skizzenhaft und rhapsodisch. Das Bestreben, zu belehren, und das Bestreben, durch poetische Darstellung zu fesseln, beeinträchtigen eines dem andern die Wirkung; das Buch ist nicht freie poetische Erfindung, und es ist auch nicht Darstellung realer Wirklichkeit; es ist als Gemisch von Beidem nicht schön und es ist nicht nahrhaft, obgleich es einiges Schöne und vieles Wahre zu sagen weiß. Und deshalb würde das Werk in diesen Blättern nicht besprochen worden sein, wenn nicht einiges, vielleicht zufällige, Detail darin den Scharfsinn einzelner Recensenten zu der Vermuthung gebracht hätte, daß Zustände be¬ stimmter Landschaften Deutschlands, ja auch lebender Fürsten darin ihren Ausdruck gesunden hätten. Man hat Thüringen und Souveräne dieser Land¬ schaft genannt. Referent meint, daß die Winde und Popularität der erlauchten Herren sie davor schützen sollte, diese Arbeit in irgend eine Verbindung mit derselben zu bringen. Denn grade die freisinnigen Gebieter deutscher Territorien, welche man etwa genannt hat, haben den Deutschen in schweren Zeiten eine weit an- dere, viel chrenwerthcre Persönlichkeit bereits bewährt. Ihre Ueberzeugung haben 'sie ohne überflüssige Phrasen geduldig, ausdauernd und mit recht praktischem Menschenverstand in die That umzusetzen gewußt. Sie gehören, soweit wir aus ihrem politischen Leben zü einem Urtheil über dieselben berechtigt sind, sämmt¬ lich nicht mehr jener Periode deutscher Entwicklung an, wo man zuweilen aus dem Throne hochsinnig phantasirte und Gemeines zu thun nicht verschmähte. Ihre kleinen Länder sind jetzt vielleicht die bestrcgierten Deutschlands. Die Be¬ amten, welche sie sich zu Mitarbeitern gewählt habe», zählen unter die tüchtig¬ sten Kräfte der Fortschrittspartei. Sie haben wahrscheinlich ein höheres Gefühl ihrer fürstlichen Würde und Vorrechte, als der Fürst jenes Buches; aber sie denken auch höher von dem Berufe, der ihnen selbst in ihrem beschränkten Kreise zu Theil geworden ist. und sie wissen, daß ihr hoher Beruf nicht ist, die Ver- sunkenheit der politischen Zustände in Deutschland zu beklagen, sondern auf der ebenen Heerstraße redlicher Pflichterfüllung im Verein mit ihren Bürgern G. F. bessern zu helfen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/401
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/401>, abgerufen am 15.01.2025.