Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.Militärische Bilder aus dem Kirchenstaat. I. Die päpstliche Armee unter Lamoriciöre. Die folgenden Mittheilungen gingen uns von einem deutschen Offizier Aus seiner Darstellung ging hervor, daß die rasche Ueberwältigung der Militärische Bilder aus dem Kirchenstaat. I. Die päpstliche Armee unter Lamoriciöre. Die folgenden Mittheilungen gingen uns von einem deutschen Offizier Aus seiner Darstellung ging hervor, daß die rasche Ueberwältigung der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0382" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/110730"/> </div> <div n="1"> <head> Militärische Bilder aus dem Kirchenstaat.<lb/> I. Die päpstliche Armee unter Lamoriciöre.</head><lb/> <p xml:id="ID_1141"> Die folgenden Mittheilungen gingen uns von einem deutschen Offizier<lb/> z», der vier Jahre im Heere des Papstes diente, und wir bringen sie als<lb/> Ergänzung dessen, was General Lamoricivre selbst in diesen Tagen über seine<lb/> Wirksamkeit und die Ursachen seines Mißgeschicks im Römischen veröffent¬<lb/> licht hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_1142" next="#ID_1143"> Aus seiner Darstellung ging hervor, daß die rasche Ueberwältigung der<lb/> päpstlichen Armee im freien Felde und die schnelle Einnahme der Festung<lb/> Ancona keineswegs allein durch die Uebermacht der Piemontesen, von der die<lb/> Verblendung unsrer reactionären Blätter so viel Geschrei machte, sondern<lb/> ebenso sehr dadurch herbeigeführt wurde, daß, wie Alles im Kirchenstaat,<lb/> auch das Heer auf schwachen Füßen stand und keinen Boden im Volke<lb/> hatte. Lamoriciöre hatte gethan, was er konnte, er hatte sehr viel gethan.<lb/> Aber er war eben, von der Regierung nicht genug unterstützt, von dem Volke<lb/> bei jeder Gelegenheit verlassen und getäuscht, uicht entfernt im Stande ge¬<lb/> wesen, so viel zu thun, als nöthig war. Auf seine Bitten um Geld erhielt<lb/> er unzureichende Summen, und diese gingen andere Wege, als die nächsten,<lb/> sodaß die Soldaten sich bei ihren Märschen selbst helfen mußten, wodurch der'<lb/> Haß der Bevölkerung gegen die Armee noch gesteigert wurde. Bei der Ver-<lb/> proviantirung Ancona's mußte man sich in Ermangelung „gutgesinnter" Bür¬<lb/> ger an Lieferanten wenden, die den Sieg der Gegner wünschten, und die,<lb/> ,als die Belagerung begann und der Befehlshaber der Belagerten das bestellte<lb/> Mehl verlangte, zur Antwort gaben, es sei in den Mühlen vor der Stadt,<lb/> die bereits in den Händen der Piemontesen waren. Dann aber war auch<lb/> auf die Soldaten kein rechter Widerstand zu bauen. Wir haben viel von den<lb/> heldenmütigen Angriffen der Päpstlichen bei Castelsidardo hören müssen, und<lb/> die katholische Kirche hat die dort Gefallenen als eine Schaar von Märtyrern<lb/> gefeiert, ihnen Katafalke errichtet, ihren Seelen prächtige Todtenfeste veran¬<lb/> staltet und sie fast unter die Heiligen versetzt. Die Wirklichkeit war anders.<lb/> Abgesehen davon, daß gemiethete Märtyrer eine neue Gattung sind, und ab¬<lb/> gesehen auch davon, daß sie für die Erhaltung fauler, verrotteter Zustände,<lb/> für die Nacht und gegen den anbrechenden Tag kämpften und starben, kommt<lb/> sehr vielen von ihnen nicht einmal das Prädicat tapferer Leute zu. Die<lb/> Italiener unter ihnen neigten zu ihren Landsleuten im gegnerischen Lager und<lb/> bethätigten dies dadurch, daß sie bei Gelegenheit auf ihre eignen Kameraden<lb/> feuerten. Lamoriciöre meint in dieser Beziehung, es sei nichts ganz Unge¬<lb/> wöhnliches, daß eine Truppe im Treffen einmal auf die eignen Leute schieße.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0382]
Militärische Bilder aus dem Kirchenstaat.
I. Die päpstliche Armee unter Lamoriciöre.
Die folgenden Mittheilungen gingen uns von einem deutschen Offizier
z», der vier Jahre im Heere des Papstes diente, und wir bringen sie als
Ergänzung dessen, was General Lamoricivre selbst in diesen Tagen über seine
Wirksamkeit und die Ursachen seines Mißgeschicks im Römischen veröffent¬
licht hat.
Aus seiner Darstellung ging hervor, daß die rasche Ueberwältigung der
päpstlichen Armee im freien Felde und die schnelle Einnahme der Festung
Ancona keineswegs allein durch die Uebermacht der Piemontesen, von der die
Verblendung unsrer reactionären Blätter so viel Geschrei machte, sondern
ebenso sehr dadurch herbeigeführt wurde, daß, wie Alles im Kirchenstaat,
auch das Heer auf schwachen Füßen stand und keinen Boden im Volke
hatte. Lamoriciöre hatte gethan, was er konnte, er hatte sehr viel gethan.
Aber er war eben, von der Regierung nicht genug unterstützt, von dem Volke
bei jeder Gelegenheit verlassen und getäuscht, uicht entfernt im Stande ge¬
wesen, so viel zu thun, als nöthig war. Auf seine Bitten um Geld erhielt
er unzureichende Summen, und diese gingen andere Wege, als die nächsten,
sodaß die Soldaten sich bei ihren Märschen selbst helfen mußten, wodurch der'
Haß der Bevölkerung gegen die Armee noch gesteigert wurde. Bei der Ver-
proviantirung Ancona's mußte man sich in Ermangelung „gutgesinnter" Bür¬
ger an Lieferanten wenden, die den Sieg der Gegner wünschten, und die,
,als die Belagerung begann und der Befehlshaber der Belagerten das bestellte
Mehl verlangte, zur Antwort gaben, es sei in den Mühlen vor der Stadt,
die bereits in den Händen der Piemontesen waren. Dann aber war auch
auf die Soldaten kein rechter Widerstand zu bauen. Wir haben viel von den
heldenmütigen Angriffen der Päpstlichen bei Castelsidardo hören müssen, und
die katholische Kirche hat die dort Gefallenen als eine Schaar von Märtyrern
gefeiert, ihnen Katafalke errichtet, ihren Seelen prächtige Todtenfeste veran¬
staltet und sie fast unter die Heiligen versetzt. Die Wirklichkeit war anders.
Abgesehen davon, daß gemiethete Märtyrer eine neue Gattung sind, und ab¬
gesehen auch davon, daß sie für die Erhaltung fauler, verrotteter Zustände,
für die Nacht und gegen den anbrechenden Tag kämpften und starben, kommt
sehr vielen von ihnen nicht einmal das Prädicat tapferer Leute zu. Die
Italiener unter ihnen neigten zu ihren Landsleuten im gegnerischen Lager und
bethätigten dies dadurch, daß sie bei Gelegenheit auf ihre eignen Kameraden
feuerten. Lamoriciöre meint in dieser Beziehung, es sei nichts ganz Unge¬
wöhnliches, daß eine Truppe im Treffen einmal auf die eignen Leute schieße.
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