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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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nen, aber niemals rechtsgültig aufgehobenen Wahlgesetze vom 5, April 1849
zurückkehrt und mit einer darnach gewählten Versammlung diejenigen Aende¬
rungen an der Verfassung und am Wahlgesetze selbst in verfassungsmäßiger
Weise vornimmt, die nach dem Bundesrechte für nöthig oder auch nach eig¬
nem Ermessen für zweckmäßig erachtet werden mögen. Solche Aenderungen
könnten z. B. in der Herstellung der erblichen Landstandsckaftcn der apana-
girten Prinzen und der Häupter der Standesherrn, in der Umwandlung der
Höchstbestcuertcu in höchstbcgüterte Grundbesitzer, in der Beseitigung der
mündlichen und direkten Wahl u. s. w. bestehen. Es scheint auch nicht
zweifelhaft, daß sah das Land mit aller Bereitwilligkeit zu dergleichen Aende¬
rungen, sofern sie nur irgend in gerechtfertigter Weise gefordert werden mögen,
verstehen und demgemäß wählen würde, vorausgesetzt freilich, daß bald und
mit aufrichtigem Herzen der bisherige Weg verlassen und zur gesetzlichen Er¬
ledigung des Streits die Hand geboten wird. Daß dies von der Regierung
geschehen kann, ohne irgend das eigne Recht und die eignen Pflichten zu
verletzen, ohne der Würde, ohne der Klugheit, ja ohne selbst den materiellen
Interessen zu nahe zu treten, ist so oft gezeigt worden und liegt so sehr auf
der flachen Hand, daß es keiner Ausführung mehr bedarf. Der gewöhnliche
Einwand, das Gesetz von 1849 sei "zu demokratisch", ist theils ungegründet,
theils ohne rechtliche Bedeutung. Aus dem Rechte ruht aber die ganze
Kraft der Verfassungsbewegung; auf endliche Sühnung des verletzten Rechts¬
bewußtseins muß das Streben der Verfassungsfreunde ohne Unterlaß gerichtet
sein und bleiben. Findet man Aenderungen nothwendig oder ersprießlich, so
bietet sich in dem allgemeinen Wunsche des Landes nach friedlicher Erledigung
der langjährigen Wirren das Mittel und die Möglichkeit, sie auf gesetzmäßige
Weise vorzunehmen. Läßt man aber rechtmäßige Gesetze jetzt verfassungswidrig
bei Seite, so werden sie Fahne einer neuen Partei werden, und was würde
man den Forderungen dieser neuen "Demokraten" demnächst entgegenzusetzen
haben? -- Rechtsgründe gewiß nicht!

Allem Anscheine nach wird die eben zusammengetretene zweite Kammer
sich für sofortige Rückkehr zur Verfassung von 1831 und zum Wahlgesetze von
1849 aussprechen und selbst jede landständische Thätigkeit versagen. Möge
die Regierung diesen Ruf nicht überhören! und möge Deutschland, möge
Or. Preußen ihn unterstützen!




Grenzboten IV. 186V.4?

nen, aber niemals rechtsgültig aufgehobenen Wahlgesetze vom 5, April 1849
zurückkehrt und mit einer darnach gewählten Versammlung diejenigen Aende¬
rungen an der Verfassung und am Wahlgesetze selbst in verfassungsmäßiger
Weise vornimmt, die nach dem Bundesrechte für nöthig oder auch nach eig¬
nem Ermessen für zweckmäßig erachtet werden mögen. Solche Aenderungen
könnten z. B. in der Herstellung der erblichen Landstandsckaftcn der apana-
girten Prinzen und der Häupter der Standesherrn, in der Umwandlung der
Höchstbestcuertcu in höchstbcgüterte Grundbesitzer, in der Beseitigung der
mündlichen und direkten Wahl u. s. w. bestehen. Es scheint auch nicht
zweifelhaft, daß sah das Land mit aller Bereitwilligkeit zu dergleichen Aende¬
rungen, sofern sie nur irgend in gerechtfertigter Weise gefordert werden mögen,
verstehen und demgemäß wählen würde, vorausgesetzt freilich, daß bald und
mit aufrichtigem Herzen der bisherige Weg verlassen und zur gesetzlichen Er¬
ledigung des Streits die Hand geboten wird. Daß dies von der Regierung
geschehen kann, ohne irgend das eigne Recht und die eignen Pflichten zu
verletzen, ohne der Würde, ohne der Klugheit, ja ohne selbst den materiellen
Interessen zu nahe zu treten, ist so oft gezeigt worden und liegt so sehr auf
der flachen Hand, daß es keiner Ausführung mehr bedarf. Der gewöhnliche
Einwand, das Gesetz von 1849 sei „zu demokratisch", ist theils ungegründet,
theils ohne rechtliche Bedeutung. Aus dem Rechte ruht aber die ganze
Kraft der Verfassungsbewegung; auf endliche Sühnung des verletzten Rechts¬
bewußtseins muß das Streben der Verfassungsfreunde ohne Unterlaß gerichtet
sein und bleiben. Findet man Aenderungen nothwendig oder ersprießlich, so
bietet sich in dem allgemeinen Wunsche des Landes nach friedlicher Erledigung
der langjährigen Wirren das Mittel und die Möglichkeit, sie auf gesetzmäßige
Weise vorzunehmen. Läßt man aber rechtmäßige Gesetze jetzt verfassungswidrig
bei Seite, so werden sie Fahne einer neuen Partei werden, und was würde
man den Forderungen dieser neuen „Demokraten" demnächst entgegenzusetzen
haben? — Rechtsgründe gewiß nicht!

Allem Anscheine nach wird die eben zusammengetretene zweite Kammer
sich für sofortige Rückkehr zur Verfassung von 1831 und zum Wahlgesetze von
1849 aussprechen und selbst jede landständische Thätigkeit versagen. Möge
die Regierung diesen Ruf nicht überhören! und möge Deutschland, möge
Or. Preußen ihn unterstützen!




Grenzboten IV. 186V.4?
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[0381] nen, aber niemals rechtsgültig aufgehobenen Wahlgesetze vom 5, April 1849 zurückkehrt und mit einer darnach gewählten Versammlung diejenigen Aende¬ rungen an der Verfassung und am Wahlgesetze selbst in verfassungsmäßiger Weise vornimmt, die nach dem Bundesrechte für nöthig oder auch nach eig¬ nem Ermessen für zweckmäßig erachtet werden mögen. Solche Aenderungen könnten z. B. in der Herstellung der erblichen Landstandsckaftcn der apana- girten Prinzen und der Häupter der Standesherrn, in der Umwandlung der Höchstbestcuertcu in höchstbcgüterte Grundbesitzer, in der Beseitigung der mündlichen und direkten Wahl u. s. w. bestehen. Es scheint auch nicht zweifelhaft, daß sah das Land mit aller Bereitwilligkeit zu dergleichen Aende¬ rungen, sofern sie nur irgend in gerechtfertigter Weise gefordert werden mögen, verstehen und demgemäß wählen würde, vorausgesetzt freilich, daß bald und mit aufrichtigem Herzen der bisherige Weg verlassen und zur gesetzlichen Er¬ ledigung des Streits die Hand geboten wird. Daß dies von der Regierung geschehen kann, ohne irgend das eigne Recht und die eignen Pflichten zu verletzen, ohne der Würde, ohne der Klugheit, ja ohne selbst den materiellen Interessen zu nahe zu treten, ist so oft gezeigt worden und liegt so sehr auf der flachen Hand, daß es keiner Ausführung mehr bedarf. Der gewöhnliche Einwand, das Gesetz von 1849 sei „zu demokratisch", ist theils ungegründet, theils ohne rechtliche Bedeutung. Aus dem Rechte ruht aber die ganze Kraft der Verfassungsbewegung; auf endliche Sühnung des verletzten Rechts¬ bewußtseins muß das Streben der Verfassungsfreunde ohne Unterlaß gerichtet sein und bleiben. Findet man Aenderungen nothwendig oder ersprießlich, so bietet sich in dem allgemeinen Wunsche des Landes nach friedlicher Erledigung der langjährigen Wirren das Mittel und die Möglichkeit, sie auf gesetzmäßige Weise vorzunehmen. Läßt man aber rechtmäßige Gesetze jetzt verfassungswidrig bei Seite, so werden sie Fahne einer neuen Partei werden, und was würde man den Forderungen dieser neuen „Demokraten" demnächst entgegenzusetzen haben? — Rechtsgründe gewiß nicht! Allem Anscheine nach wird die eben zusammengetretene zweite Kammer sich für sofortige Rückkehr zur Verfassung von 1831 und zum Wahlgesetze von 1849 aussprechen und selbst jede landständische Thätigkeit versagen. Möge die Regierung diesen Ruf nicht überhören! und möge Deutschland, möge Or. Preußen ihn unterstützen! Grenzboten IV. 186V.4?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/381>, abgerufen am 15.01.2025.