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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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von zwei Regimentern Bersaglieri, welche frei an das Land kamen und dort
die Huldigungen des Comites empfingen, von einem ganzen Schwarm poli¬
tischer Emissäre, deren Vereinigungspunkt das Hotel der sardinischen Gesandt¬
schaft war. keinen Erfolg gehabt hatten, benutzte der Minister des Innern
den ersten Schrecken der Nachricht von dem Verluste Salerno's. bei dem Könige
einen Ministerrath zusammen zu rufen, zu welchem auch die Generalität zu¬
gezogen wurde. Der körperlich wie geistig schwächliche junge Monarch hatte
bis dahin die ernstliche Absicht gehegt, sich, wenn der Aufstand den Thore" der
Hauptstadt nahe komme, selbst an die Spitze seiner Truppen zu stellen und wenig¬
stens die militärische Ehre der Neapolitaner zu retten, Nur hatten die fast
täglichen schmerzlichen Ersahrungen von Treulosigkeit und Verrath unter den
seiner Person am nächsten Stehende", seinen Verwandten, seine" Generälen
und hohen Civilbeamten, es noch nicht zur Ausführung dieses Planes kom¬
men lassen, welcher, wenn auch im Begriff, unter dem steten Zaudern zur
bloßen Chimäre zu werden, dennoch dem Ministerium Besorgniß einflößte.
Die Masse der Soldaten in der Hauptstadt hatte noch kein Symptom des
Abfalls gezeigt, sie schien im Gegentheil ihrem Kriegsherrn noch blindlings
anzuhängen. Waren auch die hohem Officiere für Garibaldi gewonnen, so
lag doch in ihrer Unzuverlässigkeit selbst für das Ministerium ein .Bedenken.
Die königlichen Truppen sind ein vortreffliches Material, kräftige Bursche, gut
genährt, gut gekleidet, gut bewaffnet. Von Garibaldi's Leuten soll sich dies
nicht sagen lasse". Bei gleicher Führung, ja bei irgend welcher ernstlichen
Führung der königlichen Truppen überhaupt, konnte der Ausgang des
Kampfes kaum zweifelhaft sein. War es also undenkbar, daß einer der ab¬
trünnigen Generale, cuigezogc" durch ihm persönlich sich bietende Vortheile,
nun anch wieder Garibaldi verrieth und dnrch einen glücklich geführten Schlag
das Prästigium zerstörte, welches bis jetzt den kühnen Abenteurer und seine
Unternehmungen umgibt? -- Diese Gefahr wurde vermieden, sobald es ge¬
lang, den König zum Preisgeben seiner Hauptstadt und zum Zurückziehn sei¬
ner Truppen zu bewegen; in diesem Falle aber hoffte man eine endliche
Kundgebung der Bevölkerung für ein einheitliches Italien eintreten zu sehn,
und sicher hatte man Aussicht, für die Zwecke der Revolution die neapolita¬
nische Flotte zu gewinnen, deren Befehlshaber durch den Oheim des Königs,
den elenden Grafen Aquila, längst demoralisirt worden waren. Das ein¬
stimmige Votum der Minister und Generäle lautete dahin, daß Neapel für
den König keine genügende Sicherheit biete, und daß er sich nach der Festung
Gaeta zu begeben habe. Der rathlose, junge Monarch ließ sich bewegen,
darauf einzugehn.

Der Morgen des 6. Sept. zeigte den Neapolitanern zum ersten Mal in
diesem Herbst einen bedeckten Himmel; man hörte fernes Donnern und aus


von zwei Regimentern Bersaglieri, welche frei an das Land kamen und dort
die Huldigungen des Comites empfingen, von einem ganzen Schwarm poli¬
tischer Emissäre, deren Vereinigungspunkt das Hotel der sardinischen Gesandt¬
schaft war. keinen Erfolg gehabt hatten, benutzte der Minister des Innern
den ersten Schrecken der Nachricht von dem Verluste Salerno's. bei dem Könige
einen Ministerrath zusammen zu rufen, zu welchem auch die Generalität zu¬
gezogen wurde. Der körperlich wie geistig schwächliche junge Monarch hatte
bis dahin die ernstliche Absicht gehegt, sich, wenn der Aufstand den Thore» der
Hauptstadt nahe komme, selbst an die Spitze seiner Truppen zu stellen und wenig¬
stens die militärische Ehre der Neapolitaner zu retten, Nur hatten die fast
täglichen schmerzlichen Ersahrungen von Treulosigkeit und Verrath unter den
seiner Person am nächsten Stehende», seinen Verwandten, seine» Generälen
und hohen Civilbeamten, es noch nicht zur Ausführung dieses Planes kom¬
men lassen, welcher, wenn auch im Begriff, unter dem steten Zaudern zur
bloßen Chimäre zu werden, dennoch dem Ministerium Besorgniß einflößte.
Die Masse der Soldaten in der Hauptstadt hatte noch kein Symptom des
Abfalls gezeigt, sie schien im Gegentheil ihrem Kriegsherrn noch blindlings
anzuhängen. Waren auch die hohem Officiere für Garibaldi gewonnen, so
lag doch in ihrer Unzuverlässigkeit selbst für das Ministerium ein .Bedenken.
Die königlichen Truppen sind ein vortreffliches Material, kräftige Bursche, gut
genährt, gut gekleidet, gut bewaffnet. Von Garibaldi's Leuten soll sich dies
nicht sagen lasse». Bei gleicher Führung, ja bei irgend welcher ernstlichen
Führung der königlichen Truppen überhaupt, konnte der Ausgang des
Kampfes kaum zweifelhaft sein. War es also undenkbar, daß einer der ab¬
trünnigen Generale, cuigezogc» durch ihm persönlich sich bietende Vortheile,
nun anch wieder Garibaldi verrieth und dnrch einen glücklich geführten Schlag
das Prästigium zerstörte, welches bis jetzt den kühnen Abenteurer und seine
Unternehmungen umgibt? — Diese Gefahr wurde vermieden, sobald es ge¬
lang, den König zum Preisgeben seiner Hauptstadt und zum Zurückziehn sei¬
ner Truppen zu bewegen; in diesem Falle aber hoffte man eine endliche
Kundgebung der Bevölkerung für ein einheitliches Italien eintreten zu sehn,
und sicher hatte man Aussicht, für die Zwecke der Revolution die neapolita¬
nische Flotte zu gewinnen, deren Befehlshaber durch den Oheim des Königs,
den elenden Grafen Aquila, längst demoralisirt worden waren. Das ein¬
stimmige Votum der Minister und Generäle lautete dahin, daß Neapel für
den König keine genügende Sicherheit biete, und daß er sich nach der Festung
Gaeta zu begeben habe. Der rathlose, junge Monarch ließ sich bewegen,
darauf einzugehn.

Der Morgen des 6. Sept. zeigte den Neapolitanern zum ersten Mal in
diesem Herbst einen bedeckten Himmel; man hörte fernes Donnern und aus


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/38>, abgerufen am 15.01.2025.