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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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fassung von 1831 und auf Berufung einer Ständeversammlung nach dem Ge¬
setze vom 5. April 1849 nach Kräften zu dringen. Es erscheint dies um so
bedeutungsvoller, je beschränkter die Gesichtspunkte sind. nach welchem das
Maiwahlgesetz die Wahlkörpcrschasten gebildet hat, und je gewichtsvoller der
Umstand in die Waagschale fällt, daß die bevorrechtete Wählerschaft der Höchst-
begütcrten oder der großen Grundbesitzer, die allein 16 Abgeordnete stellen,
durch das Verlangen nach Rückkehr zum Wahlgesetze vom 1849 ihr eignes
Todesurtheil ausgesprochen hat.

Die eben zusammentretende zweite Kammer der neuen Stände hat daher
schon von den Wählern und nebenbei auch von der Stimmung und der öffent¬
lichen Meinung des ganzen Landes ihren Standpunkt in Betreff der Ver-
fassungsfrage angewiesen erhalten. Ihre Aufgabe kann seine andere sein, als
nach Art von Vertrauensmännern die Ansichten und Wünsche des Landes
kund zu geben, demnach ans Herstellung des alten Rechtszustandes und na¬
mentlich Berufung der rechtmäßigen Landesvertretung hinzuwirken, von den
eigentlichen Lnndtagsgeschäften aber unter Aussprechung der Unzuständigkeit
sich gänzlich fernzuhalten. Daß dies in der That geschehen wird, kann kaum
noch zweifelhaft sein. Eben so sicher ist es aber anch, daß die neue erste
Kammer, gleich ihrer Vorgängerin an den ihr durch die neue Ordnung der
Dinge eingeräumten Vorrechten festhalten und namentlich die Ehre eines be¬
sondern Herrenhauses oder, wie der Volksmund es ausgedrückt hat, eines
Ritter-Häuschens, nicht aufgeben wird. Man kann dies schon aus dem Um¬
stände schließen, daß Seitens der ritterschaftlichen Wahlkörperschaften die frü¬
hern Abgeordneten wieder gewählt worden sind und daß man eben so, mit
Ausnahme einer Secretärstelle, das Bureau der .Kammer in gleicher Weise
wie auf dem vorigen Landtage besetzt hat. Erster Vorsitzender ist nämlich
Herr v. Milchling, einer - der ritterschaftlichen Obervorstehcr der Stifter Kau-
fungen und Wetter und Mitglied der Ritterschaft an der Lahn. Er gilt für
einen geübten Juristen, sonst aber für einen ziemlich gewöhnlichen Kopf: er
bekleidete früher eine Richterstelle und soll neuerdings darauf bedacht sein, mit
dem Vermögen einer schönen und liebenswürdigen Frau, der Tochter eines
Kaufmanns, einen geschlossenen Grundbesitz zu erwerben, der ihn befähigen
würde, eine der erblichen Landstandschaftcn zu erlangen, welche in der neuen
Verfassung vorgesehen sind. >

Zweiter Vorsitzender ist Herr Waitz von Eschen, ein reicher Grund- und
Bergwerksbesitzer und Mitglied der Ritterschaft an der Dienet, die er seit
einer Reihe von Jahren vertreten hat. Er wohnt gewöhnlich in Kassel und
ist auch Bürger der Residenz, hat aber ein Gut zu Wintcrbühren, was ihn
befähigte, rücksichtlich der Tagegelderfrage als ein Auswärtswvhnender be¬
trachtet zu werden. In den vierziger Jahren kam er in den Ruf eines libe-


fassung von 1831 und auf Berufung einer Ständeversammlung nach dem Ge¬
setze vom 5. April 1849 nach Kräften zu dringen. Es erscheint dies um so
bedeutungsvoller, je beschränkter die Gesichtspunkte sind. nach welchem das
Maiwahlgesetz die Wahlkörpcrschasten gebildet hat, und je gewichtsvoller der
Umstand in die Waagschale fällt, daß die bevorrechtete Wählerschaft der Höchst-
begütcrten oder der großen Grundbesitzer, die allein 16 Abgeordnete stellen,
durch das Verlangen nach Rückkehr zum Wahlgesetze vom 1849 ihr eignes
Todesurtheil ausgesprochen hat.

Die eben zusammentretende zweite Kammer der neuen Stände hat daher
schon von den Wählern und nebenbei auch von der Stimmung und der öffent¬
lichen Meinung des ganzen Landes ihren Standpunkt in Betreff der Ver-
fassungsfrage angewiesen erhalten. Ihre Aufgabe kann seine andere sein, als
nach Art von Vertrauensmännern die Ansichten und Wünsche des Landes
kund zu geben, demnach ans Herstellung des alten Rechtszustandes und na¬
mentlich Berufung der rechtmäßigen Landesvertretung hinzuwirken, von den
eigentlichen Lnndtagsgeschäften aber unter Aussprechung der Unzuständigkeit
sich gänzlich fernzuhalten. Daß dies in der That geschehen wird, kann kaum
noch zweifelhaft sein. Eben so sicher ist es aber anch, daß die neue erste
Kammer, gleich ihrer Vorgängerin an den ihr durch die neue Ordnung der
Dinge eingeräumten Vorrechten festhalten und namentlich die Ehre eines be¬
sondern Herrenhauses oder, wie der Volksmund es ausgedrückt hat, eines
Ritter-Häuschens, nicht aufgeben wird. Man kann dies schon aus dem Um¬
stände schließen, daß Seitens der ritterschaftlichen Wahlkörperschaften die frü¬
hern Abgeordneten wieder gewählt worden sind und daß man eben so, mit
Ausnahme einer Secretärstelle, das Bureau der .Kammer in gleicher Weise
wie auf dem vorigen Landtage besetzt hat. Erster Vorsitzender ist nämlich
Herr v. Milchling, einer - der ritterschaftlichen Obervorstehcr der Stifter Kau-
fungen und Wetter und Mitglied der Ritterschaft an der Lahn. Er gilt für
einen geübten Juristen, sonst aber für einen ziemlich gewöhnlichen Kopf: er
bekleidete früher eine Richterstelle und soll neuerdings darauf bedacht sein, mit
dem Vermögen einer schönen und liebenswürdigen Frau, der Tochter eines
Kaufmanns, einen geschlossenen Grundbesitz zu erwerben, der ihn befähigen
würde, eine der erblichen Landstandschaftcn zu erlangen, welche in der neuen
Verfassung vorgesehen sind. >

Zweiter Vorsitzender ist Herr Waitz von Eschen, ein reicher Grund- und
Bergwerksbesitzer und Mitglied der Ritterschaft an der Dienet, die er seit
einer Reihe von Jahren vertreten hat. Er wohnt gewöhnlich in Kassel und
ist auch Bürger der Residenz, hat aber ein Gut zu Wintcrbühren, was ihn
befähigte, rücksichtlich der Tagegelderfrage als ein Auswärtswvhnender be¬
trachtet zu werden. In den vierziger Jahren kam er in den Ruf eines libe-


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[0378] fassung von 1831 und auf Berufung einer Ständeversammlung nach dem Ge¬ setze vom 5. April 1849 nach Kräften zu dringen. Es erscheint dies um so bedeutungsvoller, je beschränkter die Gesichtspunkte sind. nach welchem das Maiwahlgesetz die Wahlkörpcrschasten gebildet hat, und je gewichtsvoller der Umstand in die Waagschale fällt, daß die bevorrechtete Wählerschaft der Höchst- begütcrten oder der großen Grundbesitzer, die allein 16 Abgeordnete stellen, durch das Verlangen nach Rückkehr zum Wahlgesetze vom 1849 ihr eignes Todesurtheil ausgesprochen hat. Die eben zusammentretende zweite Kammer der neuen Stände hat daher schon von den Wählern und nebenbei auch von der Stimmung und der öffent¬ lichen Meinung des ganzen Landes ihren Standpunkt in Betreff der Ver- fassungsfrage angewiesen erhalten. Ihre Aufgabe kann seine andere sein, als nach Art von Vertrauensmännern die Ansichten und Wünsche des Landes kund zu geben, demnach ans Herstellung des alten Rechtszustandes und na¬ mentlich Berufung der rechtmäßigen Landesvertretung hinzuwirken, von den eigentlichen Lnndtagsgeschäften aber unter Aussprechung der Unzuständigkeit sich gänzlich fernzuhalten. Daß dies in der That geschehen wird, kann kaum noch zweifelhaft sein. Eben so sicher ist es aber anch, daß die neue erste Kammer, gleich ihrer Vorgängerin an den ihr durch die neue Ordnung der Dinge eingeräumten Vorrechten festhalten und namentlich die Ehre eines be¬ sondern Herrenhauses oder, wie der Volksmund es ausgedrückt hat, eines Ritter-Häuschens, nicht aufgeben wird. Man kann dies schon aus dem Um¬ stände schließen, daß Seitens der ritterschaftlichen Wahlkörperschaften die frü¬ hern Abgeordneten wieder gewählt worden sind und daß man eben so, mit Ausnahme einer Secretärstelle, das Bureau der .Kammer in gleicher Weise wie auf dem vorigen Landtage besetzt hat. Erster Vorsitzender ist nämlich Herr v. Milchling, einer - der ritterschaftlichen Obervorstehcr der Stifter Kau- fungen und Wetter und Mitglied der Ritterschaft an der Lahn. Er gilt für einen geübten Juristen, sonst aber für einen ziemlich gewöhnlichen Kopf: er bekleidete früher eine Richterstelle und soll neuerdings darauf bedacht sein, mit dem Vermögen einer schönen und liebenswürdigen Frau, der Tochter eines Kaufmanns, einen geschlossenen Grundbesitz zu erwerben, der ihn befähigen würde, eine der erblichen Landstandschaftcn zu erlangen, welche in der neuen Verfassung vorgesehen sind. > Zweiter Vorsitzender ist Herr Waitz von Eschen, ein reicher Grund- und Bergwerksbesitzer und Mitglied der Ritterschaft an der Dienet, die er seit einer Reihe von Jahren vertreten hat. Er wohnt gewöhnlich in Kassel und ist auch Bürger der Residenz, hat aber ein Gut zu Wintcrbühren, was ihn befähigte, rücksichtlich der Tagegelderfrage als ein Auswärtswvhnender be¬ trachtet zu werden. In den vierziger Jahren kam er in den Ruf eines libe-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/378>, abgerufen am 16.01.2025.