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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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Wahlgesetze selbst Verfassungswidrigkeiten enthalten seien, welche es möglich
machen, diese von vornherein außer Wirksamkeit zu lassen/'

.Preußen schien also nicht abgeneigt zu sein, das Wahlgesetz von 1849
wegen "Verfassungswidrigteiten" als nichtig, und mithin die dadurch beseitig-
ten Bestinnnungen von 1831 als noch in Kraft seiend zu betrachten, wenn
um Uebrigen seine Anschauung Billigung gefunden hätte. Diesem Umstände
soll es hauptsächlich zuzuschreiben sein, daß auch in Kurhessen das Wahlgesetz
von 184!) nicht besonders betont, sondern nur unter den allgemeinen Aus¬
drücken "das Verfassungsrecht von 1831" oder "das alte Verfassungsrecht"
mitbegriffen wurde. Auch mag bei manchem die Hoffnung bestanden haben,
durch Rückkehr zum Wahlgesetze von 1831 die erste Kammer für ein gemein¬
sames Wirken behufs Herstellung der Verfassung von 1831 zu gewinnen.
Allein weder der Bundestag uoch die erste Kammer ließ sich zur Betretung
des von Preußen bezeichneten Weges, um eine "beruhigende Erledigung" der
Verfassungssache herbeizuführen, bereit finden. Vielmehr hielt die letztere an
der "Erklärung" auf die Verfassung von 1852 fest, und der erstere faßte am
24. März 1860 unter dem Widerspruche Preußens und einiger kleinern Staa¬
ten den Beschluß, daß die turhessischc Negierung aufzufordern sei, nach Maß.
gäbe jeuer Stände-Erklärung und des Bundeöausschußberichts, ein endgil-
tiges Stnatsgrundgesetz nebst Wahlordnung für das Kurfürstenthum zu erlassen.

In Folge dessen wurde am 30. Mai 1800 eine dritte Verfassung mit
Wahlgesetz verkündigt, und am 2. Juli die Anordnung neuer Ständewahlen
darnach getroffen. Damit hörte die Aussicht auf, durch Vermittlung Preu¬
ßens am Bundestage das alte Verfassungsrecht hergestellt zu sehen. Auch
sprach der preußische Minister des Auswärtigen, Herr v. Schleinitz. im Ber¬
liner Hause der Abgeordneten es geradezu aus, daß nunmehr das kurhessische
Volk sich zunächst selbst zu entscheiden habe. Eine, solche Selbstentscheidung
ist in unzweideutigster Weise erfolgt. Bereits unmittelbar nach Verkündigung
der Maiverfassung wurden von alle" Seiten, selbst von einzelnen Gehöften
der entlegensten Landestheile, Verwahrungen gegen die neue Ordnung der
Dinge laut. Zugleich wurde nunmehr mit klarer Entschiedenheit der strenge
Rechtsboden hervorgekehrt, und festhalten. Nicht blos die Kasseler Oberge¬
richtsanwälte und die ihnen beitretenden Anwälte in allen Landestheilen, son¬
dern auch die vornehmsten Stadtbehörden und Wahlkörperschaften sprachen
es offen aus, daß nur durch Rückkehr zum Wahlgesetze von 1849 der Rechts-
zusammenhang wieder gewonnen und gegen alle Anfechtung gewahrt werden
könne. Während die UrWähler mit dem Nechtsvorbehalte zur Wahl schritten,
daß daraus keine Anerkennung der neuen Verfassung und kein Aufgeben der
alten gefolgert werden solle ?c. machten die Wahlmänner den Abgeordneten
unter gleichem Vorbehalte besonders zur Pflicht, -nus Herstellung der Ver-


Wahlgesetze selbst Verfassungswidrigkeiten enthalten seien, welche es möglich
machen, diese von vornherein außer Wirksamkeit zu lassen/'

.Preußen schien also nicht abgeneigt zu sein, das Wahlgesetz von 1849
wegen „Verfassungswidrigteiten" als nichtig, und mithin die dadurch beseitig-
ten Bestinnnungen von 1831 als noch in Kraft seiend zu betrachten, wenn
um Uebrigen seine Anschauung Billigung gefunden hätte. Diesem Umstände
soll es hauptsächlich zuzuschreiben sein, daß auch in Kurhessen das Wahlgesetz
von 184!) nicht besonders betont, sondern nur unter den allgemeinen Aus¬
drücken „das Verfassungsrecht von 1831" oder „das alte Verfassungsrecht"
mitbegriffen wurde. Auch mag bei manchem die Hoffnung bestanden haben,
durch Rückkehr zum Wahlgesetze von 1831 die erste Kammer für ein gemein¬
sames Wirken behufs Herstellung der Verfassung von 1831 zu gewinnen.
Allein weder der Bundestag uoch die erste Kammer ließ sich zur Betretung
des von Preußen bezeichneten Weges, um eine „beruhigende Erledigung" der
Verfassungssache herbeizuführen, bereit finden. Vielmehr hielt die letztere an
der „Erklärung" auf die Verfassung von 1852 fest, und der erstere faßte am
24. März 1860 unter dem Widerspruche Preußens und einiger kleinern Staa¬
ten den Beschluß, daß die turhessischc Negierung aufzufordern sei, nach Maß.
gäbe jeuer Stände-Erklärung und des Bundeöausschußberichts, ein endgil-
tiges Stnatsgrundgesetz nebst Wahlordnung für das Kurfürstenthum zu erlassen.

In Folge dessen wurde am 30. Mai 1800 eine dritte Verfassung mit
Wahlgesetz verkündigt, und am 2. Juli die Anordnung neuer Ständewahlen
darnach getroffen. Damit hörte die Aussicht auf, durch Vermittlung Preu¬
ßens am Bundestage das alte Verfassungsrecht hergestellt zu sehen. Auch
sprach der preußische Minister des Auswärtigen, Herr v. Schleinitz. im Ber¬
liner Hause der Abgeordneten es geradezu aus, daß nunmehr das kurhessische
Volk sich zunächst selbst zu entscheiden habe. Eine, solche Selbstentscheidung
ist in unzweideutigster Weise erfolgt. Bereits unmittelbar nach Verkündigung
der Maiverfassung wurden von alle» Seiten, selbst von einzelnen Gehöften
der entlegensten Landestheile, Verwahrungen gegen die neue Ordnung der
Dinge laut. Zugleich wurde nunmehr mit klarer Entschiedenheit der strenge
Rechtsboden hervorgekehrt, und festhalten. Nicht blos die Kasseler Oberge¬
richtsanwälte und die ihnen beitretenden Anwälte in allen Landestheilen, son¬
dern auch die vornehmsten Stadtbehörden und Wahlkörperschaften sprachen
es offen aus, daß nur durch Rückkehr zum Wahlgesetze von 1849 der Rechts-
zusammenhang wieder gewonnen und gegen alle Anfechtung gewahrt werden
könne. Während die UrWähler mit dem Nechtsvorbehalte zur Wahl schritten,
daß daraus keine Anerkennung der neuen Verfassung und kein Aufgeben der
alten gefolgert werden solle ?c. machten die Wahlmänner den Abgeordneten
unter gleichem Vorbehalte besonders zur Pflicht, -nus Herstellung der Ver-


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[0377] Wahlgesetze selbst Verfassungswidrigkeiten enthalten seien, welche es möglich machen, diese von vornherein außer Wirksamkeit zu lassen/' .Preußen schien also nicht abgeneigt zu sein, das Wahlgesetz von 1849 wegen „Verfassungswidrigteiten" als nichtig, und mithin die dadurch beseitig- ten Bestinnnungen von 1831 als noch in Kraft seiend zu betrachten, wenn um Uebrigen seine Anschauung Billigung gefunden hätte. Diesem Umstände soll es hauptsächlich zuzuschreiben sein, daß auch in Kurhessen das Wahlgesetz von 184!) nicht besonders betont, sondern nur unter den allgemeinen Aus¬ drücken „das Verfassungsrecht von 1831" oder „das alte Verfassungsrecht" mitbegriffen wurde. Auch mag bei manchem die Hoffnung bestanden haben, durch Rückkehr zum Wahlgesetze von 1831 die erste Kammer für ein gemein¬ sames Wirken behufs Herstellung der Verfassung von 1831 zu gewinnen. Allein weder der Bundestag uoch die erste Kammer ließ sich zur Betretung des von Preußen bezeichneten Weges, um eine „beruhigende Erledigung" der Verfassungssache herbeizuführen, bereit finden. Vielmehr hielt die letztere an der „Erklärung" auf die Verfassung von 1852 fest, und der erstere faßte am 24. März 1860 unter dem Widerspruche Preußens und einiger kleinern Staa¬ ten den Beschluß, daß die turhessischc Negierung aufzufordern sei, nach Maß. gäbe jeuer Stände-Erklärung und des Bundeöausschußberichts, ein endgil- tiges Stnatsgrundgesetz nebst Wahlordnung für das Kurfürstenthum zu erlassen. In Folge dessen wurde am 30. Mai 1800 eine dritte Verfassung mit Wahlgesetz verkündigt, und am 2. Juli die Anordnung neuer Ständewahlen darnach getroffen. Damit hörte die Aussicht auf, durch Vermittlung Preu¬ ßens am Bundestage das alte Verfassungsrecht hergestellt zu sehen. Auch sprach der preußische Minister des Auswärtigen, Herr v. Schleinitz. im Ber¬ liner Hause der Abgeordneten es geradezu aus, daß nunmehr das kurhessische Volk sich zunächst selbst zu entscheiden habe. Eine, solche Selbstentscheidung ist in unzweideutigster Weise erfolgt. Bereits unmittelbar nach Verkündigung der Maiverfassung wurden von alle» Seiten, selbst von einzelnen Gehöften der entlegensten Landestheile, Verwahrungen gegen die neue Ordnung der Dinge laut. Zugleich wurde nunmehr mit klarer Entschiedenheit der strenge Rechtsboden hervorgekehrt, und festhalten. Nicht blos die Kasseler Oberge¬ richtsanwälte und die ihnen beitretenden Anwälte in allen Landestheilen, son¬ dern auch die vornehmsten Stadtbehörden und Wahlkörperschaften sprachen es offen aus, daß nur durch Rückkehr zum Wahlgesetze von 1849 der Rechts- zusammenhang wieder gewonnen und gegen alle Anfechtung gewahrt werden könne. Während die UrWähler mit dem Nechtsvorbehalte zur Wahl schritten, daß daraus keine Anerkennung der neuen Verfassung und kein Aufgeben der alten gefolgert werden solle ?c. machten die Wahlmänner den Abgeordneten unter gleichem Vorbehalte besonders zur Pflicht, -nus Herstellung der Ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/377>, abgerufen am 16.01.2025.